Corona-Impfverordnung unter Beschuss

Härtefallregelung vermisst

Berlin - 18.01.2021, 15:15 Uhr

Die Corona-Impfverordnung steht in der Kritik. Was sagen die Gerichte? (Foto: imago images / Action Pictures)

Die Corona-Impfverordnung steht in der Kritik. Was sagen die Gerichte? (Foto: imago images / Action Pictures)


Stadt lenkt nach gerichtlichem Hinweis ein

Also zog die Patientin mit einem Eilantrag gegen die Stadt Hamburg vor das Verwaltungsgericht – ein Hauptsachverfahren hätte viel zu lang gedauert. Sie wollte erreichen, schnellstmöglich eine Impfung zu erhalten. Dazu trug sie vor, dass das grundgesetzlich verankerte Recht auf Leben gebiete, ihr vor ihrer Operation einen Anspruch auf die erste Schutzimpfung einzuräumen. Insoweit verstoße die Corona-Impfverordnung gegen das Grundgesetz (Art. 2 Abs. 2 i.V.m 1 Abs. 3 GG).

Die Stadt Hamburg trat dem Antrag zunächst entgegen. Sie verwies drauf, dass die Priorisierung in der Corona-Impfverordnung auf einem Beschluss der STIKO basiere. Die STIKO habe Abstufungen erarbeitet, welche Personengruppen ein besonders hohes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf haben. Demnach rechtfertige weder eine von der STIKO und dem Verordnungstext ausdrücklich berücksichtigte Krebserkrankung noch eine bevorstehende Therapie mit gravierenden Auswirkungen auf das Immunsystem die Abweichung von den Sollvorgaben des § 1 Abs. 2 Satz 1 CoronaImpfV. Eine vorrangige Berücksichtigung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 CoronaImpfV sei nur innerhalb einer Gruppe von Anspruchsberechtigten vorgesehen, nicht aber zwischen den Gruppen. Zudem sei aus individualmedizinischer Sicht wissenschaftlich nicht eindeutig belegt, ob eine Schutzimpfung vor einer Chemotherapie wirklich bessere Wirkung entfalte.

Keine adäquate Härtefallregelung

Nachdem das Gericht die Stadt Hamburg darauf hinwies, dass der Verordnung nach seiner Überzeugung eine adäquate Härtefallregelung fehlt, stimmte die Stadt schließlich doch noch einer vorgezogenen Schutzimpfung der antragstellenden Patientin zu. Mittlerweile ist die Frau geimpft und beide Parteien gaben vor Gericht Erledigungserklärungen ab (Beschluss vom 11.01.2021 - 3 E 7/21).

Rechtsanwalt Jascha Arif, der die Patientin vor Gericht vertreten hat, ist überzeugt, dass die Verordnung nicht nur daran krankt, dass sie nicht aus dem Parlament stammt. Auch die Priorisierungsvorgaben seien unausgewogen, da sie Einzel- und Härtefälle nicht berücksichtigen. „Es bedarf einer Härtefallregelung, welche die Berücksichtigung exponierter Vulnerabilität ermöglicht“, so Arif gegenüber DAZ.online. Die Lage von Krebspatient:innen lasse sich auch auf andere sekundäre Immunschwächestörungen übertragen. Arif meint: „Gegenwärtig werden die Impfziele – die Mortalität und Morbidität mit dem bestmöglichen Nutzen zu beeinflussen – nicht erreicht“. Der Anwalt sieht daher den Gesetzgeber gefordert. Er sollte umgehend nachbessern und Betroffene nicht dahin treiben, vor den Verwaltungsgerichten – potenziell Leben rettende – einstweilige Anordnungen beantragen zu müssen.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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