TI 2.0 der Gematik

Gesellschafter protestieren gegen Whitepaper-Veröffentlichung

Dresden - 18.02.2021, 09:15 Uhr

Die Vernetzung im Gesundheitswesen läuft derzeit noch recht holprig. Und es wird nicht besser: Jetzt zoffen sich die Gematik und ihre Gesellschafter wegen einer nicht abgestimmten Veröffentlichung. (Foto: IMAGO / Pius Koller)

Die Vernetzung im Gesundheitswesen läuft derzeit noch recht holprig. Und es wird nicht besser: Jetzt zoffen sich die Gematik und ihre Gesellschafter wegen einer nicht abgestimmten Veröffentlichung. (Foto: IMAGO / Pius Koller)


Vorwürfe, aufgebrachte Anrufer, und die Forderung einer Klarstellung – das alles hat die Veröffentlichung des „Whitepaper“ der Gematik zu ihrer Vision einer TI 2.0 ausgelöst. Die wollte lediglich ein Konzept zur Zukunft der Telematik vorstellen, hat aber vergessen, ihre Gesellschafter darüber zu informieren. Diese protestieren in einem unter anderem vom DAV unterzeichneten Brief an Gematik-Chef Leyck Dieken gegen dieses Vorgehen. Was nun?

Die Gematik, zuständig für die Digitalisierung des Gesundheitswesens, will die notwendige Telematikinfrastruktur generalüberholen. Geschehen soll das bis zum Jahr 2025, bedeuten wird es: weg mit Konnektoren, Heilberufsausweisen und Institutionskarten. Ein Plattformmodell soll das aktuelle, vergleichsweise starre System ersetzen. Über Schnittstellen mit dem Internet soll das neue Modell von überall aus erreichbar sein, erklärte die Gematik am 21. Januar, als sie ihre Vorstöße in dem Whitepaper „TI 2.0 - Arena für digitale Medizin“ veröffentlichte. 

Seither gibt es Streit mit den Gesellschaftern. Denn die fühlen sich übergangen und werfen der Gematik vor, das Whitepaper nicht abgestimmt zu haben. In einem Schreiben an Gematik-Chef Markus Leyck Dieken, das DAZ.online vorliegt, heißt es: Die Veröffentlichung sei unangekündigt und entgegen eines einstimmig gefassten Beschlusses der Gesellschafterversammlung (GSV) vom November 2020 erfolgt. Demnach habe die GSV die Neuausrichtung der TI zwar diskutieren, aber (noch) nicht beschließen wollen. Zudem sollte es zunächst eine Machbarkeitsanalyse geben.

Fatale Folgen

Die „vorschnelle“ Veröffentlichung des Whitepapers habe nun fatale Folgen. „Gerade vor dem Hintergrund der Einführung neuer Anwendungen wie der elektronischen Patientenakte (ePA) und dem E-Rezept, sowie der enormen Anstrengungen, die die Leistungserbringerorganisationen seit Jahren in die Überzeugungsarbeit ihrer Mitglieder stecken, war dieses unabgestimmte Vorgehen völlig kontraproduktiv“, monieren die Verfasser des Briefs. Beispielsweise würden die KBV und KZBV sowie die Ärzte- und Zahnärztekammern seit geraumer Zeit bei ihren Mitgliedern darum werben, den elektronischen Heilberufsausweis zeitnah zu beantragen. „Die Veröffentlichung des Whitepapers hat hier mit einem Schlag einen Großteil dieser langsam ihre Wirkung entfaltenden Überzeugungsarbeit zunichte gemacht.“ Ärzt:innen und Zahnärzt:innen riefen nun erbost bei ihren Kammern und K(Z)Ven an und beschwerten sich, „warum sie massiv von ihren eigenen Organisationen zum Kauf von etwas gedrängt werden, was jetzt schon wieder abgekündigt ist und von der Gematik quasi selbst als nicht zeitgemäß und nicht nutzerorientiert eingeschätzt wird“.

Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft berichtete demnach über Anfragen, inwieweit eine zeitnahe Anbindung der Kliniken an die TI auf Basis der derzeit auf dem Markt verfügbaren Komponenten überhaupt noch wirtschaftlich sinnvoll sei. „Diese Situation wurde zusätzlich dadurch verschärft, dass das Whitepaper die Behauptung enthält, die Konzepte seien das konsolidierte Ergebnis der Interviews der Gematik mit ihren Gesellschaftern und in einem Strategie-Workshop vorgestellt und diskutiert worden. Dabei hatten gerade die Leistungserbringerorganisationen deutlich gemacht, dass sie dies völlig anders sähen und ihre Hinweise aus den Gesprächen in keinster Weise gewürdigt worden seien“, schreibt Dr. Karl-Georg Pochhammer, Vorstandsvize der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Unterschrieben haben zudem Bundesärztekammer, Bundeszahnärztekammer, Deutsche Krankenhausgesellschaft, Deutscher Apothekerverband, Kassenärztliche Bundesvereinigung, GKV-Spitzenverband und der Verband der Privaten Krankenversicherung.

TI 2.0: Nicht mehr als eine Ideensammlung

Auch an der Pressemitteilung „Weichenstellung für mehr Zusammenarbeit im Gesundheitswesen“, die die Gematik am 21. Januar anlässlich der Veröffentlichung des Whitepaper verschickte, stoßen sich die Gesellschafter und fordern, „diese Zusammenarbeit auch mit Ihren eigenen Gesellschaftern umzusetzen“. Von der Gematik erwarten sie die Klarstellung, „dass das veröffentlichte Whitepaper als eine nicht mit den Gesellschaftern abgestimmte Ideensammlung der Gematik zu verstehen ist, die in den nächsten Wochen und Monaten mit den zuständigen Organisationen diskutiert werden wird“.

Gematik informiert Gesellschafter mit vier Tagen Verspätung

Aus einem internen Mailverkehr, der DAZ.online vorliegt, geht hervor, dass die Gematik ihre Gesellschafter erst mit vier Tagen Verspätung über die Pressemitteilung informierte. Grund dafür sei ein „leichtes Update unseres Verteilers“ gewesen. „Daher möchten wir sie Ihnen heute nachträglich per E-Mail zukommen lassen. Gegebenenfalls haben Sie die News auch schon über unseren RSS-Feed auf der Webseite und/oder unserem Twitter-/LinkedIn-Account verfolgt gehabt. Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen; bei künftigen Veröffentlichungen werden Sie selbstverständlich wieder direkt beschickt.“

Gematik handelt nicht entgegen der Beschlüsse

Unterdessen hat Gematik-Chef Leyk Dieken die Vorwürfe der Gesellschafter „entschieden“ zurückgewiesen. „Die Geschäftsführung der Gematik wird bei keinem Gegenstand jemals gegen Beschlüsse der Gesellschafter handeln“, erklärte er in einem Antwortschreiben. Das Whitepaper sei keineswegs als finales Konzept zu lesen, sondern ein „Diskussionspapier, welches insbesondere im Hinblick auf die geforderte Machbarkeitsstudie, den Dialog mit vielen Beteiligten im Gesundheitswesen benötigt, um entsprechend allfällig notwendige Adaptionen vorzunehmen, die eine realistische Umsetzung erst ermöglichen“. Die Gesellschafter würden dabei in Workshops, TI-Ausschuss und Gesellschafterversammlung weit intensiver einbezogen als die externen Partner.

Gematik-Chef spielt den Ball zurück

Weiter schreibt der Gematik-Chef: „Das Spannungsfeld, in dem wir uns gemeinsam befinden, ist gekennzeichnet sowohl durch die Nachfragen, die Sie zitieren, wie auch durch die immer lauter werdende Kritik an der nicht mehr zeitgemäßen TI. So darf von uns gemeinsam nicht übersehen werden, dass die derzeitige Struktur auch aus den Reihen der Leistungserbringer immer wieder Kritik erfährt.“ Gemeinsam verabschiedete Produkte wie die ePA würden selbst von den Mitgestaltern öffentlich in Misskredit gebracht und als „Aldi-Tüte des Versicherten“ oder „Scheinriese“ bezeichnet, so Leyk Diekens Seitenhieb auf KBV-Vize Stephan Hofmeister. Er hatte den Umsetzungsstand der ePA kürzlich in einer Pressekonferenz kritisiert.

„Eine solche Distanzierung von gemeinsam in der Spezifikation beschlossenen Produkten ist nicht ideal zur Überzeugung unserer Nutzer und widerspricht unserer gemeinsamen Verantwortung“, so Leyck Dieken. Er bittet alle Gesellschafter, „auf dieses Konzept zuzugehen und es erst an den Stellen zu verändern, wo man Besseres einbringt. Das Whitepaper gibt uns gemeinsam Anlass, endlich die lang erwartete Modernisierung der TI am Horizont erkennbar zu machen und auf dem Weg dorthin in den konkreten Ausgestaltungen gemeinsam zu entwerfen. Ich bedaure, dass dieser Schritt zu Irritationen führte, zu dem wir angesichts der Lage eher Zuspruch erwartet hätten. Zu weiteren Gesprächen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.“

BMG hält sich bedeckt

Auf Nachfrage von DAZ.online hält sich das Bundesgesundheitsministerium, mit 51 Prozent der größte Gematik-Gesellschafter, bedeckt. Das Ministerium „begrüßt einen sachlichen Diskurs über die Neuausrichtung der Telematik-Infrastruktur. Dafür bietet das Whitepaper die Grundlage. Zu weiteren Details wenden Sie sich bitte an die Gematik“, hieß es am gestrigen Mittwoch aus der Pressestelle. Die Frage, wie die Streitparteien zu einem konstruktiven Miteinander zurückkehren können, bleibt unbeantwortet.

Auch der Deutsche Apothekerverband äußert sich nicht näher. Schriftlich teilt er mit: Aus Sicht des DAV ist dem Schreiben der Gesellschafter vom 11. Februar 2021 derzeit nichts hinzufügen. „Die nächste Gematik-Gesellschafterversammlung wird sich sicherlich weiter damit befassen.“ Von der Gematik heißt es auf DAZ-Nachfrage: „Wünschenswert wären aus unserer Sicht mehr inhaltliche Diskussionen über die Neuausrichtung der TI.“ Mit den Gesellschaftern wolle man auch in Zukunft „gut und konstruktiv zusammenarbeiten“.



Anja Köhler, Freie Journalistin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Gematik

von Stephan Garrecht am 19.02.2021 um 17:33 Uhr

Whitepaper bitte künftig per Post verschicken
Fühle mich veräppelt
Der Letzte macht das Licht aus.Danke

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