Corona-Forschung

Erstes „Human Challenge Trial“ mit SARS-CoV-2 in Großbritannien

Remagen - 25.02.2021, 10:45 Uhr

Human Challenge Trial: Eine kleine Gruppe junger freiwilliger Probanden wird mit einem Impfstoffkandidaten geimpft und anschließend direkt mit dem Zielvirus infiziert. (Screenshot: ukcovidchallenge.com)

Human Challenge Trial: Eine kleine Gruppe junger freiwilliger Probanden wird mit einem Impfstoffkandidaten geimpft und anschließend direkt mit dem Zielvirus infiziert. (Screenshot: ukcovidchallenge.com)


In Großbritannien hat eine Ethikkommission weltweit die erste Genehmigung zur Durchführung einer Human Challenge-Studie mit SARS-CoV-2 erteilt. Das heißt: Probanden werden gezielt mit dem Virus infiziert. Die Studie soll dabei helfen, ein Modell zu entwickeln, mit dem in Zukunft Impfstoffe und Behandlungen für COVID-19 auf ihre Wirksamkeit getestet werden können. Solche Herausforderungsstudien sind allerdings heikel und deswegen nicht unumstritten.

Der britische klinische Auftragsforscher (CRO) Open Orphan hat weltweit die erste Genehmigung eines Ethikkomittees für die Durchführung eines Human Challenge Trials (HCT) mit dem neuartigen Coronavirus erhalten. Nach eigenen Angaben verfügt der CRO mit Sitz in London und im niederländischen Breda über eine breite Expertise bei der Erprobung von Impfstoffen und antiviralen Therapien mithilfe solcher Studien. Das Ziel des Projekts ist die Entwicklung eines Herausforderungsmodells, mit dem nachher potenzielle Corona-Impfstoffe und -Behandlungen am Menschen erprobt werden können. Es handelt sich also nicht um eine zulassungsrelevante klinische Studie. Die Open Orphan-Tochter hVIVO hatte bereits im Oktober einen Vertrag mit der britischen Regierung über die Entwicklung eines COVID-19-Modells geschlossen. Sponsor der Untersuchung ist das Imperial College London.

Suche nach der geringsten infektiösen Virusmenge

Für die Studie sollen bis zu 90 gesunde Freiwillige im Alter zwischen 18 und 30 Jahren ohne Vorgeschichte oder Symptome von COVID-19 und ohne Risikofaktoren für COVID-19 wie Herzerkrankungen, Diabetes oder Fettleibigkeit rekrutiert werden. In der Anfangsphase soll zur Viruscharakterisierung die kleinste Virusmenge ermittelt werden, die benötigt wird, um COVID-19 zu verursachen und eine Immunantwort auszulösen. Dazu wird die virale Dosis langsam erhöht. Der Anteil der Teilnehmer, die sich anstecken, und die Menge an Viren, die sie anschließend ausscheiden, werden verfolgt, um den Infektionsverlauf besser zu verstehen.

Ethik-Zustimmung als sehr wichtiger Meilenstein

„Diese Studie ist eine Schlüsselstudie, die es ermöglicht, das COVID-19-Challenge-Modell zu etablieren“, erklärt Andrew Catchpole, Chief Scientific Officer von hVIVO. „Außerdem soll damit eine breite Palette grundlegender wissenschaftlicher Fragen beantwortet werden, was mit herkömmlichen Feldversuchen nicht möglich ist, wie zum Beispiel, welche Art von immunologischer Reaktion erforderlich ist, um Schutz vor einer erneuten Infektion zu vermitteln.“ Die ethische Überprüfung des Forschungsplans ist für Catchpole ein wesentlicher Bestandteil der Durchführung klinischer Studien, und die Genehmigung durch die Ethikkommission „ein sehr wichtiger Meilenstein bei der Entwicklung des COVID-19-Herausforderungsmodells“. Dem Start der Studie stehe danach nichts mehr im Wege.

Risiken bei Human Challenge Trials

Um bei der Erprobung von Impfstoffen in der zulassungsrelevanten Phase III belastbare Ergebnisse zu produzieren, werden regelmäßig riesige Probandenzahlen benötigt. In dieser Phase muss ein Impfstoff zeigen, ob er im normalen Alltag zuverlässig vor einer Infektion schützt. HCTs nehmen hierbei quasi eine Abkürzung. Eine kleine Gruppe junger freiwilliger Probanden wird mit einem Impfstoffkandidaten geimpft und anschließend direkt mit dem Zielvirus infiziert. Auf diese Weise lässt sich die Schutzwirkung viel schneller und mit weniger Probanden untersuchen, weil man nicht auf zufällige Infektionen im Alltag warten muss. Als pivotale Zulassungsstudien sind Herausforderungsstudien allerdings eher nicht geeignet. Sie können aber zum Beispiel dazu dienen, die Pathogenese einer Infektion besser zu ergründen, potenzielle Immunkorrelate des Schutzes zu identifizieren oder ein optimales Studiendesign für konventionelle Wirksamkeitsstudien zu ermitteln. Human Challenge Trials sind mit einigen Risiken behaftet und unterliegen deshalb wichtigen Einschränkungen. So sollte die Krankheit, die der betreffende Organismus verursacht, akut auftreten und leicht und objektiv erkennbar sein. Außerdem sollte es wirksame Behandlungen dafür geben. Die Weltgesundheitsorganisation hat in einer Leitlinie vorsorglich ethische Bedingungen für solche Versuche mit SARS-CoV-2 formuliert.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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