Studie aus den USA

Hälfte der COVID-19-Infektionen kommt von Menschen ohne Symptome

Remagen - 26.02.2021, 07:00 Uhr

Eine Forschergruppe aus Chicago hat SARS-CoV-2-Infekionen in NYC unter die Lupe genommen. (Foto: IMAGO / Levine-Roberts)

Eine Forschergruppe aus Chicago hat SARS-CoV-2-Infekionen in NYC unter die Lupe genommen. (Foto: IMAGO / Levine-Roberts)


Asymptomatische Infektionen mit SARS-CoV-2 gehören zu den großen Tücken des Infektionsgeschehens. Eine neue Studie der University of Chicago hat ergeben, dass während der ersten Welle des COVID-19-Ausbruchs in New York City tatsächlich nicht einmal 20 Prozent der Fälle Symptome hatte. Je nachdem, wie infektiös die Betroffenen sind, könnten sie die Pandemie erheblich mehr befeuern als aktuell angenommen.

Der Beitrag asymptomatischer Infektionen zum Infektionsgeschehen und zur Herdenimmunität und ist einer der Schlüssel zur Kontrolle der Corona-Pandemie. Er ist allerdings nur schwer abschätzbar. Es gibt zwar Modelle, die epidemiologische Daten verwenden, um unentdeckte Fallzahlen und Übertragungsraten zu schätzen, aber diese differenzieren nicht zwischen unentdeckten und asymptomatischen Fällen, und außerdem lassen sie Änderungen bei den PCR-Testkapazitäten außer Acht, die anfangs noch sehr spärlich waren.

Ein US-Wissenschaftler-Team von der Universität Chicago hat ein neues epidemiologisches Modell entwickelt, das diese Probleme beheben soll. Laut Aussage der Forscher handelt es sich um das erste von Experten überprüfte Modell, das Daten über die tägliche Testkapazität und Änderungen der Testraten im Zeitverlauf berücksichtigt. Die damit ermittelten Ergebnisse für die Millionen-Metropole New York City wurden vor einigen Tagen in den „Proceedings der National Academy of Sciences“ veröffentlicht.

Warum gerade New York?

„Ohne Daten zur Testkapazität ist es sehr schwierig, zwischen Fällen, die aufgrund fehlender Tests nicht gemeldet wurden, und Fällen, die tatsächlich asymptomatisch waren, zu unterscheiden“, erklärt der Erstautor Rahul Subramanian, Doktorand für Epidemiologie an der Universität Chicago. „Wir wollten diese beiden Dinge entwirren, und da New York City eine der ersten Städte war, die die tägliche Anzahl abgeschlossener Tests meldete, konnten wir anhand dieser Zahlen abschätzen, wie viele COVID-19-Fälle symptomatisch waren“, ergänzt die Leitautorin der Studie Mercedes Pascual, die die Louis Block-Professur für Ökologie und Evolution an der Universität Chicago innehat.

Welche Rolle spielt die Infektiosität?

Auf der Basis der Ergebnisse erachten die Forscher die Wahrscheinlichkeit, dass ein exponierter Mensch Symptome entwickelt, als gering. Ihren Berechnungen zufolge könnte der Anteil der symptomatischen Fälle zwischen 13 und 18 Prozent liegen. „Auch wenn asymptomatische Menschen das Virus nicht mit hoher Rate übertragen, machen sie etwa 80 Prozent aller Infektionen aus“, stellt Co-Autorin Qixin He, Assistenzprofessorin an der Purdue University, fest. „Dieser Anteil ist ziemlich überraschend.“

Und wie steht es mit der Übertragbarkeit? Nach Darlegung der Wissenschaftler haben symptomatische und asymptomatische Individuen ähnliche Viruslasten, aber eine hohe Viruslast impliziert nicht unbedingt eine hohe Infektiosität. Übertragen sich asymptomatische Infektionen mit ähnlichen Raten wie symptomatische, so müsste die Gesamtreproduktionszahl über alle Klassen hinweg höher sein als oft angenommen, so die Vermutung der Forscher. Ihre Schätzungen gehen in Richtung 3,2 und 4,4. Tun sie das nicht, so müsste im Gegenzug jeder symptomatische Fall im Durchschnitt eine höhere Anzahl von Sekundärinfektionen erzeugen als üblich angenommen. Die Autoren gehen für diese Konstellation von einer Reproduktionszahl von 3,9 bis 8,1 aus. Aber auch wenn die Reproduktionszahl symptomatischer Fälle hoch ist, würden immer noch mehr als 50 Prozent der Übertragungen von präsymptomatischen und asymptomatischen Infizierten stammen.

Reproduktionszahl eventuell höher als angenommen

Die Wissenschaftler betrachten diese deswegen als wesentlichen Faktor für die Entwicklung des Infektionsgeschehens und auch für die Herdenimmunität und fordern, die nichtsymptomatischen Fälle bei den Maßnahmen gegen die Pandemie stärker zu berücksichtigen. Ihrer Meinung nach könnten sie für die Milderung von Ausbrüchen von entscheidender Bedeutung sein. Unabhängig davon raten die US-Wissenschaftler dazu, aktuelle Annahmen über die grundlegende Reproduktionszahl von SARS-CoV-2 zu überdenken. Diese könnte größer sein als häufig angenommen, so ihre Befürchtung, je nachdem, wie infektiös die asymptomatischen Fälle sind.

Testgeschehen stärker berücksichtigen

Weiterhin halten die Chicagoer Forscher es für dringend erforderlich, dass öffentliche Gesundheitsbehörden ihre Testprotokolle und -Zahlen öffentlich zugänglich machen, damit diese Daten in Übertragungsmodelle integriert werden können. 

„Die Bereitstellung dieser Informationen ist ebenso wichtig wie die Angabe der Anzahl der Fälle“, betont Pascual. „Andernfalls besteht eine Diskrepanz zwischen der Anzahl und Art der Fälle, die im Laufe der Zeit gemeldet werden, und der zugrunde liegenden Übertragungsdynamik. Diese Daten sind für die epidemiologische Modellierung von essenzieller Bedeutung.“



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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