Wichtige Entzündungsmarker

GM-CSF als interessanter Angriffspunkt bei schwerem COVID-19

Remagen - 23.03.2021, 12:15 Uhr

Während IL-6 sich bereits als lohnendes Ziel für Therapien erwiesen hat, könnte GM-CSF zu einem neuen Schweregradmarker für COVID-19 und Ziel für die Behandlung werden. (Foto: IMAGO / agefotostock)

Während IL-6 sich bereits als lohnendes Ziel für Therapien erwiesen hat, könnte GM-CSF zu einem neuen Schweregradmarker für COVID-19 und Ziel für die Behandlung werden. (Foto: IMAGO / agefotostock)


Ein britisches Wissenschaftler-Konsortium hat ein breites Spektrum von Biomarkern für Entzündungen unter die Lupe genommen, die den Schweregrad von COVID-19 anzeigen und helfen könnten, dieses von anderen viralen Lungenerkrankungen zu unterscheiden. Außerdem könnten die aktuellen Therapie-Optionen damit noch besser fokussiert werden. Sie schlagen vor, den Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktor (GM-CSF) als vielversprechendes Ziel stärker ins Visier zu nehmen.

Schweres COVID-19 ist mit erhöhten Markern für systemische Entzündungen verbunden. Die vorteilhafte Wirkung von Kortikosteroiden und IL-6-Rezeptorantagonisten unterstreicht, dass eine Immunhemmung in fortgeschrittenen Stadien der Krankheit von Vorteil sein kann. Es wäre allerdings wünschenswert, noch weitere Entzündungsmediatoren und deren Profile zu entschlüsseln. Damit könnten zusätzliche therapeutische Angriffspunkte definiert werden, die dann in klinischen Studien priorisiert werden sollten. 

Forscherteams aus ganz Großbritannien, darunter das Imperial College London, die University of Edinburgh und die University of Liverpool, haben gemeinsam herausgefunden, dass nur ausgewählte Merkmale der Zytokinreaktion auf COVID-19 hierfür geeignet zu sein scheinen. Sie gehören zu einem britischen Konsortium von Ärzten und Wissenschaftlern namens ISARIC (International Severe Acute Respiratory Infection Consortium), das sich im Rahmen der ISARIC-WHO-CCP-UK-Studie (International Severe Acute Respiratory and emerging Infections Consortium - WHO – Clinical Characterisation Protocol UK) der klinischen und biologischen Charakterisierung von COVID-19 verschrieben hat. Die prospektive Kohortenstudie an hospitalisierten Patient:innen wird an 258 Krankenhäusern in England, Schottland und Wales durchgeführt. Im Rahmen der Studie entwickelten sie einen pragmatischen Risikoscore zur Vorhersage der Sterblichkeit, den ISARIC-4C-Mortalitäts-Score.

Breite Palette von Reaktionen untersucht

Unter Verwendung der ISARIC4C-Plattform rekrutierten die Wissenschaftler:innen 471 hospitalisierte COVID-19-Patient:innen, die nach Schweregrad der Erkrankung stratifiziert waren, sowie 39 ambulante Patient:innen mit leichten Erkrankungen. Durch den außergewöhnlichen Umfang der Studie konnten sie eine breite Palette von Reaktionen untersuchen, die das Spektrum von COVID-19 widerspiegeln. Außerdem analysierten sie ausgewählte Proben von Patient:innen mit schwerer Influenza aus der A/H1N1-Pandemie 2009-10 und verglichen diese mit der spezifischen Pathogenese von COVID-19. Die Ergebnisse haben sie jetzt in Science Immunology veröffentlicht.

Drei Cluster nach Schweregrad und Mediatoren

Für ihre Studie teilten die Wissenschaftler:innen die COVID-19-Patient:innen mit der Ordnungsskala der Weltgesundheitsorganisation nach Schweregrad in fünf klinische Gruppen ein und bestimmten mithilfe von Immunoassays 33 Mediatoren. Sie konnten zeigen, dass schweres COVID-19 mit erhöhten Spiegeln zahlreicher Plasmamediatoren assoziiert ist, die mit der Gerinnung, Endothelaktivierung und breiten Entzündungsreaktionen in Zusammenhang stehen. Darüber hinaus identifizierten sie drei Patientengruppen mit unterschiedlichen klinischen Merkmalen und Mustern an Mediatoren:  

  • Cluster A (n = 59) hatte eine mildere Erkrankung (ohne Todesfälle), war häufiger weiblich (56 Prozent), hatte ein niedrigeres Durchschnittsalter (54,7 Jahre) und niedrigere Raten von Diabetes mellitus (15 Prozent). Der Cluster war auch mit niedrigeren Spiegeln der meisten Mediatoren assoziiert.
  • Patienten in Cluster C (n = 174) waren erheblich schwerer erkrankt (32 Prozent tödlich, 34 Prozent mit mechanischer Beatmung), hatten höhere Entzündungsmarker (Neutrophile und CRP) und Temperatur sowie niedrigere Lymphozytenzahlen. Die Patienten waren auch älter (Median 64,1 Jahre), überwiegend männlich (74 Prozent) und hatten häufiger Diabetes mellitus (33 Prozent). Dieser Cluster war mit den höchsten Konzentrationen vieler Mediatoren assoziiert.
  • Cluster B (n = 238) umfasste Patienten mit einem mittleren klinischen Phänotyp im Vergleich zu den Clustern A und C und einem gemischteren Profil von Immunmediatoren.

IL-6 und GM-CSF von zentraler Bedeutung

Als Schlüsselfaktoren für die Clusterzuordnung führen die Studienautor:innen IL-6 (Interleukin 6), das Chemokin CXCL10 und den Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierenden Faktor GM-CSF an, wobei sie IL-6 und GM-CSF eine zentrale Rolle zuschreiben. Während IL-6 sich bereits als lohnendes Ziel für Therapien erwiesen hat, könnte GM-CSF ihrer Meinung nach zu einem neuen Schweregradmarker für COVID-19 und Ziel für die Behandlung werden. Im Vergleich mit den archivierten Proben von Patient:innen mit schwerer Influenza erwies er sich außerdem als spezifischer Marker für COVID-19.  

Das Zytokin wurde auch bei einer frühen COVID-19-Infektion nachgewiesen. Es könnte bei einigen Patienten also auch eine pathologische Rolle bei der frühen Krankheitsentwicklung spielen, so ihre Vermutung. Zwar zeigten ältere Patient:innen eine stärkere allgemeine Entzündungsreaktion, aber das Alter war in der Studie keine spezifische Determinante für die GM-CSF-Spiegel. 

Studien mit monoklonalen Antikörpern laufen schon

Die Wissenschaftler hoffen, dass ihre Form der Analyse die Phänotypisierung von COVID-19-Patient:innen erleichtern kann. Vor allem die Basismessung von IL-6 und GM-CSF könnte eine Stratifizierung von Patient:innen in Untergruppen ermöglichen, von denen erwartet werden kann, dass sie einen schweren Verlauf erleiden und von spezifischen Anti-Zytokin-Therapien profitieren. Phase 2 und 3-Studien mit Ansätzen gegen GM-CSF, etwa mit den monoklonalen Antikörpern Mavrilimumab,  Lenzilumab (NCT04583969) und Otilimab bei schwerem COVID-19 (NCT04376684) sind bereits im Gange.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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