AstraZeneca

Seltene Thrombosen nach Vaxzevria-Impfung – eine Antwort und viele offene Fragen

Stuttgart - 01.04.2021, 17:55 Uhr

Eine routinemäßige Prophylaxe mit Antikoagulantien oder Thrombozytenaggregationshemmern mit dem Ziel, das Auftreten einer (atypischen) Thrombose als Folge der spezifischen immunologischen Reaktion nach Impfung mit dem AstraZeneca COVID-19 Vakzin zu verhindern, ist nicht indiziert. (Foto: IMAGO / Lagencia)

Eine routinemäßige Prophylaxe mit Antikoagulantien oder Thrombozytenaggregationshemmern mit dem Ziel, das Auftreten einer (atypischen) Thrombose als Folge der spezifischen immunologischen Reaktion nach Impfung mit dem AstraZeneca COVID-19 Vakzin zu verhindern, ist nicht indiziert. (Foto: IMAGO / Lagencia)


Der Corona-Impfstoff von AstraZeneca trägt mittlerweile zwar den neuen Handelsnamen Vaxzevria, doch die Probleme, die man derzeit mit der COVID-19-Impfung von AstraZeneca assoziiert, bleiben. Berichte über seltene schwerwiegende Thrombosen in Begleitung von Thrombopenien stellen derzeit Öffentlichkeit und Fachwelt gleichermaßen vor Rätsel. Ein Forscherteam aus Greifswald hat zwar bereits einen Mechanismus und damit eine Therapie dieser Symptome ins Spiel gebracht und das ist gut. Allerdings könnte es sein, dass am Ende doch alles anders ist.

Mit der Entscheidung der STIKO vom vergangenen Dienstag, die Impfung mit Vaxzevria (COVID-19 Vaccine AstraZeneca) nur noch Menschen ab 60 Jahren zu empfehlen, hat die Diskussion rund um die wahrscheinlich sehr seltene und noch ungeklärte Nebenwirkung schwerer Thrombosen und Thrombopenien neu an Fahrt aufgenommen. Die EMA hatte zwar schon am 18. März bekannt gegeben, dass der Nutzen der Impfung bei Weitem größer ist als deren Risiken, und bei diesem Statement ist sie am vergangenen Mittwoch vorerst auch geblieben. Doch hatte sie am 18. März auch schon betont, dass die Länder nun selbst und „informiert“ über die Impfungen mit AstraZeneca entscheiden können. Denn die Untersuchungen galten noch nicht als abgeschlossen und das sind sie auch jetzt noch nicht. Weitere Ergebnisse vonseiten der EMA werden für den Zeitraum vom 6. bis 9. April erwartet. 

Währenddessen fragen sich vor allem die (jüngeren) Patient:innen, die bereits einmal mit Vaxzevria geimpft wurden, was nun aus ihrer zweiten Impfung wird. Manche dürften sich auch fragen, ob ihnen noch Nebenwirkungen bevorstehen, obwohl sie die Impfung bis jetzt gut vertragen haben. Zu diesem Thema will die STIKO bis Ende April eine „ergänzende Empfehlung“ abgeben. Diese Zeit bleibt noch, denn wie die STIKO erklärte, sind die ersten Zweitimpfungen Anfang Mai vorgesehen, da die Impfung mit dem AstraZeneca-Impfstoff Anfang Februar begonnen wurde, bei einem empfohlenen Impfabstand von zwölf Wochen.

Keine routinemäßige Prophylaxe mit Antikoagulantien oder Thrombozytenhemmern 

Bereits am 19. März hatte DAZ.online über eine Stellungnahme der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung berichtet. Diese erfuhr große Aufmerksamkeit, weil medial verbreitet wurde, dass Forschende der Universitätsmedizin Greifswald den Mechanismus entschlüsselt hätten, wie die beobachteten Thrombosen entstehen. Das stimmte – wie so häufig dieser Tage in der Pandemie – nur zum Teil. Denn der genaue Mechanismus, wie es nun tatsächlich nachgewiesenermaßen durch den Impfstoff von AstraZeneca zu den beobachteten Nebenwirkungen kommt, konnte noch nicht gezeigt werden. Allerdings – und das kann allen potenziell Betroffenen Mut machen – wurde dort erklärt, wie die Nebenwirkungen am besten zu behandeln sind. Zuletzt wurde die Stellungnahme am 29. März aktualisiert und damit nochmals präzisiert. So heißt es dort konkret zu den einzusetzenden Präparaten:

„Bis zum Ausschluss einer (autoimmunen) HIT als Ursache einer akuten Thrombozytopenie/Thrombose sollte, sofern klinische Situation, Verfügbarkeit und Erfahrung es zulassen, auf eine Antikoagulation mit Heparinen verzichtet und auf alternative, HIT-kompatible Präparate ausgewichen werden. Diese Präparate umfassen Danaparoid, Argatroban, direkte orale Antikoagulantien (DOAKs) und ggf. Fondaparinux.

Bezüglich der Anwendung von Fondaparinux muss zwischen der Behandlung einer akuten Thrombose > 4 Tage nach Impfung mit dem AstraZeneca COVID-19 Vakzin und der medikamentösen Thromboseprophylaxe während der frühen Phase nach Impfung, die durch eine Aktivierung inflammatorischer, immunstimulierender Signalwege gekennzeichnet ist, unterschieden werden. In dieser frühen Phase könnte die Verabreichung von Fondaparinux zumindest theoretisch die Ausbildung von plättchenaktivierenden Antikörpern begünstigen.“

Eine routinemäßige Prophylaxe mit Antikoagulantien oder Thrombozytenaggregationshemmern mit dem Ziel, das Auftreten einer (atypischen) Thrombose als Folge der spezifischen immunologischen Reaktion nach Impfung mit dem AstraZeneca COVID-19 Vakzin zu verhindern, ist demnach allerdings nicht indiziert. (Auch spezielle Fälle, wie z.B. Antikoagulation bei Vorhofflimmern, werden dort erläutert.)

Therapieoptionen, ein „Neoantigen“ und Thrombosen an mehreren Stellen?

Zum Mechanismus hieß es schon am 19. März, dass es durch die Impfung wahrscheinlich wegen der inflammatorischen Reaktion und Immunstimulation zu einer Antikörperbildung gegen Plättchenantigene komme. Diese Antikörper induzierten dann abhängig oder unabhängig von Heparin über den Fc-Rezeptor eine massive Thrombozytenaktivierung in Analogie zur heparininduzierten Thrombozytopenie (HIT). Dieser Mechanismus wurde „HIT mimicry“ genannt. 

Am 28. März wurde die zugrundeliegende Studie auf dem Preprint-Server „Research Square“ veröffentlicht. Dort wurde schließlich konkret der Name „vaccine induced prothrombotic immune thrombocytopenia“ (VIPIT, Vakzine-induzierte prothrombotischen Immunthrombozytopenie) vorgeschlagen, um Verwechslungen mit der Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) zu vermeiden, heißt es. Und so liest man auch in der neuen Stellungnahme der GTH (Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung), dass, sollte der klassische HIPA-Test (oder SRA) negativ ausfallen, die Diagnostik um einen modifizierten HIPA-Test ergänzt werden müsse. Dieser sei im Labor von Professor Andreas Greinacher in Greifswald etabliert worden und weise pathophysiologisch relevante Antikörper nach, die ein anderes Reaktionsmuster zeigten als die Antikörper bei (autoimmuner) HIT. 

Die Fachgesellschaften DGHO, dgi und DGP 

Mittlerweile haben am 30. März auch die Fachgesellschaften DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie), dgi (Deutsche Gesellschaft für Infektiologie) und DGP (Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin) gemeinsam eine Information zum Umgang mit dem Risiko von Gerinnungskomplikationen bei der AstraZeneca COVID-19-Vakzine erarbeitet. Demnach gibt es bislang keine Hinweise, dass Patient:innen mit vorbestehenden, hereditären oder erworbenen Gerinnungsstörungen ein erhöhtes Risiko für diese Komplikationen haben. Außerdem ergänzt das Papier zur Therapie:

„Bei Patienten mit bestätigter VIPIT und kritischen, organgefährdenden und/oder lebensgefährlichen Thrombosen wie z. B. einer CSVT kann zusätzlich zur Antikoagulation die Gabe von hochdosierten intravenösen Immunglobulinen (IVIG) und Dexamethason empfohlen werden.“

Und schließlich steht dort auch, dass aufgrund des Pathomechanismus diese Komplikation auch bei anderen adenoviralen Vektor-basierten Impfstoffen auftreten könne. Wie bereits erwähnt, man hat nun einen Behandlungsansatz, aber noch immer keine konkrete Ursache für die Symptome gefunden. Gegenüber dem „Science Media Center Germany“ sagte in diesem Zusammenhang Dr. Robert Klamroth (Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Angiologie und Hämostaseologie Zentrum für Gefäßmedizin, Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Berlin, und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung):


Die Frage, die sich jetzt stellt: Was passiert da ganz genau? Warum macht das jetzt primär der AstraZeneca-Impfstoff? Ist das doch eher der Vektor – weil das Spike-Protein auch bei den anderen Impfstoffen synthetisiert wird und als Antigen fungieren könnte? Das muss man natürlich noch herausfinden. Es fehlen natürlich noch eine ganze Reihe von Mechanismen, die aufgeklärt werden müssen.”

Dr. Robert Klamroth, stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH)


Für Klamroth seien das Problem aber klar Antikörper, die durch ein Neoantigen zusammen mit dem Plättchenfaktor 4 getriggert werden und erst als Reaktion auf die Impfung entstehen. Darauf lasse auch das Zeitintervall von 4 bis 16 Tagen schließen, in dem die Komplikation aufzutreten scheint. 

Apropos England: Immer wieder kommt die Frage auf, warum die diskutierten Thrombosen dort eigentlich kein Thema sind. Klamroth äußerte sich auch dazu gegenüber dem SMC. Ein englischer Kollege habe ihm berichtet, dass man dort mit dem Yellow-Card-System gar nicht zufrieden sei. Es sei überhaupt nicht standardisiert. Das Paul-Ehrlich-Institut habe wenigstens einen standardisierten Bogen für Komplikationen, der aber auch nicht von allen genutzt werde. „Aber dort, wo es immerhin so eine leichte Standardisierung gibt, berichten Kollegen von einer Zunahme der Fälle, vor allem seitdem jüngere Menschen geimpft werden“, so Klamroth.

Die Aktivierung der Blutplättchen durch die Antikörper erzeuge dann Thrombosen an atypischen Orten, wie zum Beispiel in der Sinusvene im Gehirn. Klamroth meint dazu aber: „Wir kennen mittlerweile Einzelfälle von Patienten aus Italien und England, bei denen eine solche Thrombose zum Beispiel in der Bauchvene oder sogar in der Arterie aufgetreten ist. Ich denke, wenn man dort genauer nachschaut, wird sich das nicht nur auf die zerebralen Sinusthrombosen beschränken.”

Halbe Dosis – dem Adenovirus-Vektor auf der Spur?

Was also tun? Das fragte am 30. März auch Karl Lauterbach (SPD) auf Twitter und brachte öffentlich einen neuen Ansatz ins Spiel: „Prof. Rolf Marschalek [...]* schlägt im persönlichen Gespräch Senkung Dosis Astra vor. In der Zulassungsstudie wirkte der Impfstoff dann sogar besser, und Nebenwirkung müsste seltener sein“, schreibt Lauterbach. 

Marschalek ist Professor für Pharmazeutische Biologie in Frankfurt, er betrachtet den Fall aus immunologischer Sicht*, wie er gegenüber DAZ.online erklärte, und bezieht sich dabei auf die Studien zu Vaxzevria, die zu Beginn hinsichtlich der Wirksamkeit zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen waren. Eine der vielen Ungereimtheiten rund um den Impfstoff von AstraZeneca. 

Er hält es dieser Theorie entsprechend für wahrscheinlich, dass am Ende der eingesetzte Vektor Ursache der beobachteten Thrombosen ist. Adenoviren seien extrem immunogen und somit auch die Erklärung für die anderen beobachteten Nebenwirkungen und die längere Pause bis zur nächsten Impfung bei AstraZaeneca. 

Marschalek hält es angesichts dieser Überlegungen zwar für unwahrscheinlich, dass Nebenwirkungen, die bei der ersten Impfung noch nicht aufgetreten sind, bei der zweiten Impfung auftreten werden – glaubt aber auch, dass die STIKO schließlich zu dem Schluss kommen werde, dass einige Vakzine untereinander austauschbar sind, weil die Antigene (das Spike-Protein) überall gleich seien. Wenn es diese Option geben sollte, werden wohl viele auf die Zweitimpfung mit AstraZeneca verzichten.

Seltene genetische Mutationen?

Der Grund, warum Frauen offenbar vermehrt betroffen sind, könnte Marschaleks Einschätzung nach sein, dass sie anders auf Entzündungen reagieren als Männer. Er hält aber auch seltene genetische Mutationen der Betroffenen für eine mögliche Ursache der seltenen Venenthrombosen.

Am Ende ist all das spekulativ. Eine Textstelle aus dem Greifswalder Preprint stellt den Sachverhalt, beziehungsweise die potenziellen Ursachen, abschließend aber ähnlich dar wie Marschalek – dort steht: 

„Es scheint, dass die durch die Impfung induzierten plättchenaktivierenden Antikörper allein an nicht-komplexiertes PF4 binden, was auch in einigen Seren von Patienten mit Heparin-induzierter Thrombozytopenie festgestellt wurde. Ob es sich bei diesen Antikörpern um Autoantikörper gegen PF4 handelt, die durch den starken Entzündungsreiz der Impfung induziert werden, oder ob der Impfstoff selbst die Bildung von plättchenaktivierenden Antikörpern auslöst, kann in dieser Studie nicht unterschieden werden. Die erhöhte Reaktivität der Seren in vitro in Gegenwart von AZD1222 (Vaxzevria) könnte durch eine direkte Bindung des Virus an Thrombozyten erklärt werden. Das Adenovirus bindet an Thrombozyten und kann eine Thrombozytenvoraktivierung verursachen.“

*Dieser Text wurde zuletzt am 6. April 2021 um 12:52 verändert.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

AZ Elchtest die ...

von Christian Timme am 04.04.2021 um 20:16 Uhr

Wenn man alle Altersgruppen durch hat sollte man den Herstellernamen auch mal ändern ... nur so zur ... Als Apotheker und Hausarzt gibt es auch noch andere Möglichkeiten seinen Ruf zu verlieren ... aber die Chanche es gleichzeitug zu tun ... hat auch seinen Reiz ...

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: AZ Elchtest die

von Wdams am 07.04.2021 um 22:15 Uhr

Ältere sind im Allgemeinen gesünder und widerstandsfähiger als junge Menschen.
Deshalb vertragen sie Astrazeneca gut.
Es gibt zwar keine großen statistischeb Erhebungen darûber, weil bis vor kurzen Astrazeneca für ältere wegen geringerer Wirksamkeit nicht eingesetzt wurde. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, daß sie den Wirkstoff besser vertragen. Wenn der Impfstoff ein Auto wäre, würde der wegen Gefährdung von Menschenleben zurückgerufen!

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