Die aktualisierte Leitlinie „Alkoholbezogene Störungen“

Empfehlungen zum Umgang mit Alkoholproblemen

Stuttgart - 16.04.2021, 09:15 Uhr

Es könnten nach Modellrechnungen knapp 2.000 Leben jährlich gerettet werden, wenn die entsprechenden psycho- und pharmakotherapeutischen Angebote anstatt derzeit rund 10% etwa 40% der Betroffenen erreichen würden. (Foto: Vadym / stock.adobe.com)

Es könnten nach Modellrechnungen knapp 2.000 Leben jährlich gerettet werden, wenn die entsprechenden psycho- und pharmakotherapeutischen Angebote anstatt derzeit rund 10% etwa 40% der Betroffenen erreichen würden. (Foto: Vadym / stock.adobe.com)


21 Tage auf Entzug

Eine qualifizierte Entzugsbehandlung ist eine Akutbehandlung, die über die körperliche Entgiftung hinausgeht und in der Regel 21 Behandlungstage umfasst. Entzugssymptome beginnen etwa sechs bis acht Stunden nach Beendigung oder Reduktion des Alkoholkonsums und äußern sich in Hyperaktivität, Ängstlichkeit, Tremor, Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen und einem erhöhten Sympathikustonus. Ihren Peak erreichen sie nach etwa zehn bis 30 Stunden, und sie enden nach etwa 40 bis 50 Stunden. Psychische Beschwerden klingen oft erst Wochen später ab. 

Etwa 5% der Betroffenen erleiden schwere Entzugssymptome in Form von epileptischen Anfällen oder einem Delir. Das Risiko steigt, wenn bereits in der Vergangenheit Entzüge durchgeführt wurden. Der Entzug sollte dann auf jeden Fall stationär erfolgen. Eine ambulante Entgiftung sollte nur von erfahrenen Ärzten durchgeführt werden, die engmaschige Kontrolluntersuchungen und eine sichergestellte 24-Stunden-­Erreichbarkeit anbieten können. Die rein körperliche Entgiftung reicht jedoch nicht aus, um eine Alkoholabhängigkeit erfolgreich zu behandeln. Wichtig ist, dass möglichst nahtlos weitere suchtmedizinische Angebote zur Verfügung stehen, um die Abstinenz zu stabilisieren. 

Liegen gleichzeitig psychische Störungen wie Psychosen, Depressionen oder bipolare Störungen vor, sollten beide Störungen integriert oder zumindest koordiniert behandelt werden. Als Behandlungsverfahren werden motivationale Interventionen und kognitive Verhaltens­therapie empfohlen. Bei gleichzeitig vorliegender Tabakabhängigkeit sollten Beratung und Unterstützung zum Rauchstopp angeboten werden.

Pharmaka helfen beim Entzug

Die Leitlinie empfiehlt, mittelschwere und schwere Alkoholentzugssymptome pharmakologisch zu behandeln. Zu den Behandlungsmöglichkeiten gehören vor allem der zeitlich begrenzte Einsatz von Benzodiazepinen oder Clomethiazol (s. Kasten Seite 3), die auch das Risiko schwerer Entzugskomplikationen wie Delirien oder von Entzugskrampfanfällen verringern. Clomethiazol sollte dabei wegen seines Abhängigkeitspotenzials nicht ambulant oder in Kombination mit Benzodiazepinen verabreicht werden. 

Bei leichten bis mittelschweren Entzugssymptomen helfen Antikonvulsiva oder eine Kombination aus Antikonvulsiva und dem Neuroleptikum Tiaprid. Bei eingeschränkter Leberfunktion sollten vorzugsweise Gabapentin oder Levetiracetam eingesetzt werden. Bei Halluzinationen oder Wahnsymptomen während des Entzugs können Benzodiazepine oder Clome­thiazol auch mit Antipsychotika (z. B. Haloperidol) kombiniert werden. 

Clonidin oder Betablocker lindern vegetative Entzugssymptome wie Schwitzen oder Zittern. Vom Einsatz von Baclofen, Gamma-Hydroxybuttersäure oder Alkohol als Medikament wird abgeraten.



Sarah Rafehi, Apothekerin
redaktion@daz.online


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