Walpurgisnacht und Pharmazie

Von der Hexensalbe zum Notfallmedikament

30.04.2021, 20:00 Uhr

Bereits in heidnischen, vorchristlichen Zeiten wurden Ende April, Anfang Mai ausgiebige Frühlingsfeste gefeiert, in denen mit großen Feuern die bösen Wintergeister vertrieben bzw. Seuchen ferngehalten werden sollten. (Foto: Dariia Belkina / AdobeStock)

Bereits in heidnischen, vorchristlichen Zeiten wurden Ende April, Anfang Mai ausgiebige Frühlingsfeste gefeiert, in denen mit großen Feuern die bösen Wintergeister vertrieben bzw. Seuchen ferngehalten werden sollten. (Foto: Dariia Belkina / AdobeStock)


Viele von Aberglauben geprägte Bräuche und Rituale verlieren auch in modernen Zeiten nicht an Faszination. Dazu zählt auch die Walpurgisnacht, in der nach altem Volksglauben die Hexen ausfliegen und ihr magisches Unwesen treiben. Traditionell findet in vielen europäischen Regionen am Abend des 30. April und in der Nacht zum 1. Mai das Walpurgisfest mit „Hexenbrennen“ oder Maifeuer sowie Tanz in den Mai statt.

Der Name „Walpurgisnacht“ leitet sich von der Heiligen Walburga ab, Äbtissin des Benediktiner-Ordens im Kloster Heidenheim. Sie wurde an einem 1. Mai, so um das Jahr 870 herum, vom damaligen Papst Hadrian II. heiliggesprochen. Bereits in heidnischen, vorchristlichen Zeiten wurden Ende April, Anfang Mai ausgiebige Frühlingsfeste gefeiert, in denen mit großen Feuern die bösen Wintergeister vertrieben bzw. Seuchen ferngehalten werden sollten. Gleichzeitig beschwor man mit Maibäumen und Fruchtbarkeitssymbolen den neuen Wachstumszyklus der Natur und das gute Gedeihen aller Ackerfrüchte und Lebewesen. 

Hexenflug und Teufelstanz

Dass in der Nacht zum 1. Mai die Hexen mit ihren Besen auf den Blocksberg (gemeint ist der Brocken im Harz) fliegen und sich dort zum wilden Tanz mit dem Teufel treffen, ist ein alter Volksglauben, der in seinen Wurzeln nicht schlüssig zu begründen ist. Belegbar ist der „Hexensabbat“ erst in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts sowie die Walpurgisnacht in Goethes Faust, Teil 1, der im Jahr 1808 veröffentlicht und ungemein populär wurde. 
Moderne wissenschaftliche Erklärungen gibt es jedoch für die angeblichen Flugkünste der Hexen. Diese waren nichts anderes als Halluzinationen und Fantasien, ausgelöst durch die Anwendung der berühmt-berüchtigten Hexensalben, die nach mittelalterlichen Rezepturen angefertigt wurden.

Hexensalben – was ist überliefert?

Sie waren die Rauschdrogen des Mittelalters und der frühen Neuzeit: Salbenfömige Zubereitungen, die psychoaktive Substanzen („Hexenkräuter“) aus Nachtschattengewächsen und Mutterkornpilzen enthielten sowie eher symbolische Komponenten wie zum Beispiel Fledermaus- oder Vogelblut. Als Grundlage diente Tierschmalz. In alten Schriften heißen sie Hexensalbe, Flugsalbe, Hexenschmiere, Unguentum Sabbati, Unguentum populi (= Pappelsalbe) oder auch Buhlsalbe. Definierte Rezepturen sind nicht überliefert. Aus noch vorhandenen Prozessakten zur Hexenverfolgung geht hervor, dass die als Hexe angeklagten Frauen die Salben nach „Hörensagen“ zubereitet hätten oder gar nach exakter Anweisung des Teufels.  

Die optimale Wirkung erzielten Hexensalben, wenn sie auf Halsansatz, in Arm- und Kniekehlen, auf Handflächen und Fußsohlen sowie auf das Sonnengeflecht gestrichen wurden. Die Salbe funktionierte wie ein modernes transdermales therapeutisches System: Sie ließ die Wirkstoffe langsam durch die Haut in den Blutkreislauf eindringen. Berichtet wird von magischen, wilden Traumerfahrungen, die einem Drogenrausch gleichkommen. Typisch waren optische Halluzinationen, das Gefühl zu fliegen („Hexenritt“) sowie sexuell-erotische Stimulation („Teufelstanz“), aber auch Tobsuchtsanfälle. 

Ein Blick auf die Zutatenliste

Hexensalben und Hexentränke enthielten nach heutiger Erkenntnis vor allem Extrakte der Nachtschattengewächse Alraune, der schwarzen Tollkirsche, des schwarzen Bilsenkrauts, des gemeinen Stechapfels und des Krainer Tollkrauts, aber auch Mutterkornalkaloide und/oder Extrakte des blauen Eisenhuts. Die Nachtschattengewächse zeichnen sich durch ihren Gehalt an giftigen Tropan-Alkaloiden aus. S-Hyoscyamin, dessen Razemat Atropin sowie Scopolamin gelangen als lipophile Substanzen bereits über die intakte Haut in den Blutkreislauf und damit ins Gehirn. Sie können ebenso wie Mutterkornalkaloide starke Halluzinationen auslösen. Für die Anwendung von Aconit (blauer Eisenhut) ist beschrieben, dass die Betroffenen eine Verwandlung in eine Katze, einen Hund oder Wolf halluzinieren. Nach heutigem Wissen erregt Aconitin die sensiblen Nervenendigungen der Haut und lähmt sie. Das könnte das Gefühl erzeugen, es wüchse ein Fell.



Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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