Walpurgisnacht und Pharmazie

Von der Hexensalbe zum Notfallmedikament

30.04.2021, 20:00 Uhr

Bereits in heidnischen, vorchristlichen Zeiten wurden Ende April, Anfang Mai ausgiebige Frühlingsfeste gefeiert, in denen mit großen Feuern die bösen Wintergeister vertrieben bzw. Seuchen ferngehalten werden sollten. (Foto: Dariia Belkina / AdobeStock)

Bereits in heidnischen, vorchristlichen Zeiten wurden Ende April, Anfang Mai ausgiebige Frühlingsfeste gefeiert, in denen mit großen Feuern die bösen Wintergeister vertrieben bzw. Seuchen ferngehalten werden sollten. (Foto: Dariia Belkina / AdobeStock)


Atropin – heute als Notfallmedikament

Bereits im 19. Jahrhundert nutzte man Atropin in niedriger Dosis als Arzneimittel, zunächst zur Behandlung von Asthma, was jedoch wegen zu starker Nebenwirkungen wieder aufgegeben wurde. Atropin vermindert die Wirkung des Parasympathikus, wodurch der Einfluss des Sympathikus steigt. Als kompetitiver, reversibler Antagonist verdrängt Atropin den Neurotransmitter Acetylcholin von den Muskarinrezeptoren. Damit gehört Atropin zu den Parasympatholika bzw. Anticholinergika. Die Wirkungen auf das menschliche Organsystem sind vielfältig. Lange Zeit wurde es wegen seiner Wirkung auf das Herz als Mittel gegen Kreislaufstillstand eingesetzt, was heute allerdings nicht mehr empfohlen wird.

Dennoch steht Atropin auf der Liste der laut WHO unentbehrlichen Arzneimittel und zwar als Notfallmedikament bzw. Antidot bei Vergiftungen mit Stoffen, deren Giftwirkung auf einer irreversiblen Hemmung der Acetylcholinesterase beruht (zum Beispiel organische Phosphorsäureester, die als Pestizide/Insektizide und chemische Kampfstoffe entwickelt wurden). 

In der Augenheilkunde ist die Gabe von Atropin-haltigen Augentropfen noch üblich, um die Pupille zu erweitern.  

Vom Scopolamin zum bewährten Krampflöser

Ein halbsynthetisches Derivat des aus Pflanzen gewonnenen Tropanalkaloids Scopolamin ist der Arzneistoff Butylscopolaminbromid (Handelsname Buscopan). Es wirkt zuverlässig krampflösend auf die glatte Muskulatur, durchdringt aber nicht die Blut-Hirn-Schranke und zeigt daher keine oder nur sehr geringe zentrale anticholinerge Wirkungen. Als Spasmolytikum steht Butylscopolaminbromid ebenfalls auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel. 

Scopolamin als transdermales therapeutisches System (Handelsname Scopoderm TTS) gehört zu den wirksamsten Mitteln gegen Reise- und Seekrankheit. Das verschreibungspflichtige Pflaster wird am besten acht Stunden vor Reisebeginn hinter das Ohr geklebt und wirkt 72 Stunden lang. Als unerwünschte Wirkungen werden Mundtrockenheit, Harnverhalt, Sehstörungen und Müdigkeit genannt. 

Homöopathie

Nachtschattengewächse wie Atropa belladonna, Mandragora, Hyoscyamus niger und Datura stramonium kennen wir in der Apotheke auch als homöopathische Zubereitungen, ebenso Aconitum napellus. Wegen der hohen Giftigkeit der Tropanalkoloide bzw. des Diterpen-Alkaloids Aconitin sind Potenzen bis D3 und die C1 verschreibungspflichtig. Aconit Schmerzöl ist ein anthroposophisches Arzneimittel, das bei schmerzhaften Verspannungen, Gelenkerkrankungen und Nervenschmerzen zur Anwendung kommt. 

Auf die Besen, fertig los!

Auch in unserer Zeit reisen Walpurgisnacht-Fans gerne Ende April in den Harz, der sich dann traditionell in einen sprudelnden Hexenkessel verwandelt. Die magische Gebirgswelt des Brockens und seiner Umgebung hat noch bis vor zwei Jahren mit seinem teuflischen Veranstaltungen viele Gäste in seinen Bann gezogen. Pandemiebedingt musste das magische Hexentreiben bereits 2020 ausfallen, auch 2021 gibt es vor Ort keine touristischen Walpurgis-Attraktionen. Wahre Fans setzen sich trotzdem auf die Besen und feiern digital das „Fest der dunklen Mächte“ – dazu braucht man garantiert kein Mittel gegen Reisekrankheit.



Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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