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COVID-19-Impfstoffe für alle
Pro und Contra: Hilft eine Patentfreigabe?
Die Corona-Pandemie betrifft die ganze Welt – arme Länder ebenso wie reiche. Die Frage ist: Wie lässt sich sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu Impfstoffen erhalten? In den vergangenen Wochen wurde immer wieder der Ruf nach einer Patentfreigabe laut. Wäre dies wirklich eine Lösung? Oder würde eine solche Freigabe die Situation noch verschlimmern? DAZ.online hat zum Pro und Contra gebeten. Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen und Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharmaunternehmen, legen ihre Positionen dar.
Contra
Han Steutel, Präsident des Verbands forschender Pharmaunternehmen (vfa), ist klar gegen eine Patentfreigabe:
„Diese Pandemie wird nur überwunden, wenn sie weltweit überwunden wird. Wir brauchen dafür so schnell wie möglich Milliarden-Mengen an Impfdosen. Daher darf es nicht bei den momentanen, limitierten Produktionskapazitäten bleiben. Über diese Punkte sind sich Regierungen, NGOs und Pharmaindustrie einig. Kontroverse Auffassungen herrschen aber dazu, wie der Bedarf gerade ärmeren Ländern am schnellsten gedeckt werden kann.
Einige Staaten und NGOs sehen eine Lösung darin, Patente für die COVID-19-Impfstoffe aufzuheben, damit jeder, der es sich zutraut, sie produzieren darf. Doch davon ginge es den bislang unterversorgten Ländern nicht besser: Der Impfstoffengpass besteht jetzt; 2022 wird er dank der ständigen Kapazitätsausweitungen bei den Originalherstellern und ihren vielen Produktionspartnern jedoch überwunden sein. Dann werden diese Hersteller schon nach heutigem Planungsstand mehr Impfstoff-Dosen produzieren, als die Weltbevölkerung benötigt. Hingegen könnten Unternehmen, die erst jetzt mit dem Ausrüsten und Schulen für eine eigene Produktion beginnen, nicht schon dieses Jahr oder Anfang 2022 liefern. Das sieht man an den Vorbereitungszeiten, die auch erfahrene Unternehmen in diesem Jahr benötigten, bis sie zum Impfstoff-Output beitragen konnten – und das bei maximaler Unterstützung durch den jeweiligen Originalhersteller. Also könnten Patentfreigaben für keine einzige vorverlegte Impfstofflieferung sorgen. Sie wären reine Symbolpolitik statt Hilfe in der Not.
Eine Patentaufhebung wäre obendrein schädlich, denn Investoren müssten sie als Zeichen dafür verstehen, künftig kein Geld mehr in Seuchen-Bekämpfung zu stecken. Sie müssten ja erwarten, dass in gleicher Weise auch mit Patenten für therapeutische Medikamente und weitere Impfstoffe vorgegangen wird. Angesichts der Notwendigkeit von Varianten-adaptieren Corona-Impfstoffen, ungelösten Probleme bei der Therapie von COVID-19 und Long COVID und der Gefahr weiterer Epidemien wäre das fatal!
Die Impfstoffproduktion wirklich beschleunigen würde es hingegen, wenn nicht länger die Belieferung von Herstellern mit dringend benötigten Zutaten, Geräten und Ersatzteilen durch Exportverbote in Erzeugerländern blockiert wird. Und der globalen Versorgung käme es zugute, wenn es Unternehmen in allen Staaten, in denen sie produzieren, erlaubt würde, von dort aus über das COVAX-Programm der WHO arme Länder zu beliefern. Deutschland und die EU gestatten das und stützen COVAX auch finanziell. Das sollte überall so sein.“
Pro
Elisabeth Massute, politische Referentin in der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen, meint, es dürfe keine Option ungenutzt bleiben, um mehr Impfstoffe, Medikamente und Tests zur Eindämmung von COVID-19 verfügbar zu machen. Sie plädiert für eine Freigabe der Impfstoff-Patente.
„Corona ist nicht das erste Virus, gegen das die Menschheit gemeinsam kämpfen muss: Auch beim HI-Virus setzte weltweit eine fieberhafte Suche nach einem Gegenmittel ein. Und schließlich wurden Medikamente entwickelt, um es zu stoppen. Doch Patente beschränkten den Zugang derart, dass sie für die Menschen im Süden praktisch unerreichbar waren. Noch Millionen Menschen starben, obwohl sie hätten gerettet werden können. Nach dieser Tragödie versicherte die Pharmaindustrie, sie habe aus ihren Fehler gelernt. Doch bei COVID-19 zeigt sich dieselbe Haltung, mit denselben Folgen.
Über 300 Millionen Menschen sind bis heute an COVID-19 gestorben. Die rettenden Impfstoffe sind da. Aber nur in bestimmten Ländern, und in anderen kommt kaum etwas an – auch, weil die herstellenden Firmen, die Patente und das Know-How nicht freigeben. Und so warten Ärztinnen und Krankpfleger in vielen ärmeren Ländern weiter auf eine Immunisierung, während Länder wie die USA oder Deutschland bereits jungen gesunden Menschen ein Impfangebot machen.
Der historisch einmalige Bedarf an Impfstoff soll durch einzelne wenige Hersteller gedeckt werden. Sie schaffen es aber nicht, in der Kürze der Zeit so viel zu produzieren, und so wird das globale Impfstoffangebot künstlich verknappt. Zugleich stellen immer mehr Firmen weltweit Lizenzanträge an die Hersteller, um die Produktion zu unterstützen. Doch viele erhalten bislang nur Absagen. Das bekannteste Beispiel ist die kanadische Firma Biolyse. Sie muss nun sogar den Weg einer Zwangslizenz gehen, um bei der Produktion helfen zu können. Zwangslizenzen sind aber produktspezifisch und langwierig und deshalb keine Lösung für die globale Unterversorgung in dieser Pandemie.
Auch Hersteller aus Vietnam, Marokko, Israel und weiteren Ländern sagen, dass sie die nötigen Voraussetzungen haben, um schnell in die Produktion einsteigen zu können. Deshalb braucht es nun nicht nur eine Patentaussetzung, die den Prozess deutlich vereinfachen und mehr Rechtssicherheit für neue Hersteller bieten würde. Nötig ist auch ein schneller Technologietransfer der bestehenden Hersteller. Im Durschnitt dauerte dieser für COVID19 Impfstoffe, auch für mRNA-basierte Technologien, nur sechs Monate. Es gibt also die Chance, bis Ende des Jahres mehr Impfstoffe global zu produzieren. Doch sie wird nicht genutzt. Die Folge: Nach bisherigen Berechnungen werden Menschen in ärmeren Ländern teilweise bis 2024 auf eine Impfung warten müssen. Mit dem Risiko auch, dass dort Mutationen entstehen, die dann auf die Industrieländer zurückfallen.
Fazit: Der Mangel an Impfstoff ist teilweise hausgemacht. Freiwillige Lizenzen werden nicht ausreichend erteilt, Kapazitäten bleiben ungenutzt. Die Möglichkeiten, Barrieren für den Zeitraum der Pandemie zu auszusetzen, werden weiterhin nicht von allen WTO-Mitgliedern unterstützt. Die Pandemie wird dadurch künstlich in die Länge gezogen. Das kostet Menschenleben!
Wenn die Aussage „Die Pandemie ist erst dann vorbei, wenn sie für alle vorbei ist“ und das globale Menschenrecht auf Gesundheit ernst genommen werden, dann darf keine Option ungenutzt bleiben, um mehr Impfstoffe, Medikamente, Tests etc. zur Eindämmung von COVID-19 verfügbar zu machen. Es wird so getan, als könnten wir nicht mehr tun. Das ist falsch! Kurzfristig sollten Länder, die bereits jetzt junge gesunde Menschen impfen, Dosen für die Immunisierung von Gesundheitspersonal und Risikogruppen abgeben. Mittelfristig sollten Patente ausgesetzt werden und Technologietransfers an geeignete Hersteller stattfinden. Langfristig müssen neue Produktionskapazitäten, vor allem auf dem afrikanischen Kontinent, aufgebaut werden.
Mehr Impfstoff ist machbar. Aber dafür müssen wir jetzt gemeinsam die Weichen stellen.“
3 Kommentare
Patentlos?
von Reinhard Rodiger am 22.05.2021 um 18:09 Uhr
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Biontech und Pfizer....
von Michael Weigand am 22.05.2021 um 9:49 Uhr
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300 Millionen Tote?
von Doktor Tee am 21.05.2021 um 19:28 Uhr
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