Forschung

PEI-Wissenschaftler stellen neuen Ansatz für COVID-19-Impfstoff vor

Düsseldorf - 25.05.2021, 09:15 Uhr

Die Wissenschaftler:innen setzen auf ein chimäres, von ihnen „Minispike“ genanntes Antigen. (x / Foto: IMAGO / Science Photo Library)

Die Wissenschaftler:innen setzen auf ein chimäres, von ihnen „Minispike“ genanntes Antigen. (x / Foto: IMAGO / Science Photo Library)


Das Paul-Ehrlich-Institut kümmert sich nicht nur um die Zulassungsverfahren und Pharmakovigilanz von Impfstoffen – seine Forscher:innen verfolgen auch eigene Ansätze. Jüngst stellten die Wissenschaftler:innen gemeinsam mit Kollegen der Universitäten München und Wien ihre Arbeiten an einem COVID-19-Impfstoff vor, der in seiner Wirkung von den bisher zugelassenen deutlich abweicht.

Eine ganz „neue Impfstoffplattform“ gegen die COVID-19-Pandemie sei es, was die Forscher:innen des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) gemeinsam mit Wissenschaftler:innen der Universitäten München und Wien entwickelt und nun veröffentlicht haben – so teilte das Institut jetzt mit. Um das entsprechend einordnen zu können, muss man wohl zunächst einen Blick auf den Status Quo der COVID-19-Vakzine werfen.

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100 Impfstoffkandidaten gegen COVID-19 zählt die Weltgesundheitsorganisation WHO derzeit, die sich aktuell (Stand 20. Mai 2021) in der klinischen Testphase befinden. Weitere 184 Kandidaten werden genannt, die sich in der vorklinischen Erforschung befinden – und verschiedenen Quellen wie etwa dem Verband der forschenden Pharma-Unternehmen vfa zufolge kommen noch mindestens zwölf weitere Projekte hinzu.

Vier Impfstoffe sind bekanntermaßen hierzulande derzeit zugelassen: die mRNA-Impfstoffe Comirnaty® von Biontech/Pfizer und der von Moderna sowie die beiden Vektorimpfstoffe Vaxzevria® von AstraZeneca und der von Janssen (aka Johnson & Johnson).

Rechnet man noch die russischen Impfstoffe Sputnik V (Vektor) und  EpiVacCorona (Totimpfstoff), den chinesischen Sinopharm (mit inaktivierten Viren) sowie den indischen Vektorimpfstoff Covaxin hinzu, sind derzeit acht Vakzinen in Anwendung.

Gemeinsam ist diesen acht und der überwiegenden Zahl der noch in Erforschung befindlichen COVID-19-Impfstoffe allerdings eines – egal ob mRNA-basiert, bei den Vektorimpfstoffen DNA-basiert oder bei den Totimpfstoffen ganz klassisch auf Proteinbasis: das Antigen.

Bisherige COVID-19-Impfstoffe setzen auf das vollständige Spike-Protein als Antigen

Im Wesentlichen setzen die Vakzine auf das vollständige Spike-Protein (S-Protein) des SARS-CoV-2, welches in weitgehend unmodifizierter Form und in der Regel auf dem 2019er-Wildtyp des Virus basierend dem Immunsystem als Antigen dargeboten wird. Das ist auch beim chinesischen und russischen Totimpfstoff der Fall, wobei dort „naturnah“ auch alle anderen Virusproteine als Antigen dienen können.

Auf der molekularbiologischen Ebene haben die Forscher:innen des Paul-Ehrlich-Instituts um den Leiter der Forschungsgruppe „Pathogenese von Atemviren“, Dr. Christian Pfaller, gemeinsam mit den Gruppen von Professor Karl-Klaus Conzelmann vom Max von Pettenkofer-Institut der Uni München und von Dr. Christiane Riedel vom Institut für Virologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien hinsichtlich des Antigens etwas mehr „Bastelarbeit“ produziert.

Was ist ein Minipspike-Antigen?

Die Wissenschaftler:innen setzen auf ein chimäres, von ihnen „Minispike“ genanntes Antigen. Dabei legen sie den Fokus auf die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) des S-Proteins. Jenen Bereich also, der die Bindung des SARS-CoV-2-Spike-Proteins an den Rezeptor ACE 2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) und damit letztlich den Eintritt des Virus in die Zelle vermittelt.

Antikörper, die konkret gegen die RBD gerichtet sind, haben einen neutralisierenden Effekt auf das Virus. Neben der Markierung und Aggregation der Viruspartikel verhindern diese Antikörper auch unmittelbar das Andocken des Erregers an seine Zielzellen.

Das große vollständige S-Protein könne dagegen, so schreiben die Forscher:innen in ihrer Arbeit, „nicht-neutralisierende Antikörper induzieren, die unter Umständen impfinduzierte Komplikationen hervorrufen können oder eine COVID-19-Erkrankung verstärken können“. Die Arbeit wurde jetzt im Fachblatt PLOS Pathogens veröffentlicht.

VSV als Vektor und Rabies-G-Protein-Transmembran-Anker

Der Impfstoffansatz der deutschen und österreichischen Forscher:innen unterscheidet sich noch in weiteren Punkten. Das Minispike nämlich besteht neben der RBD noch aus einem Transmembran-Anker, den die Wissenschaftler:innen aus dem Glykoprotein (G) des Tollwutvirus RABV (Rabies Virus) entnommen haben. Diese Proteinchimäre wird dann in Form eines RNA-Replikons mittels eines Vektors injiziert und erst in den Zellen exprimiert. Als Vektor setzen die Forscher:innen dabei nicht wie bei AstraZeneca oder Johnson & Johnson auf Adenoviren, sondern auf das Vesikulare Stomatitisvirus VSV.

Die Vesikulärstomatitis ist eine Krankheit vor allem bei Huftieren, verläuft in der Regel mild und äußert sich durch kleine Bläschen im Maulbereich. Als Zoonose ist sie auf den Menschen übertragbar und äußert sich dann mit grippeähnlichen Symptomen wie Fieber und Halsschmerzen. Es ist eine anzeigepflichtige Tierseuche, die in Europa zuletzt 1996 im Kosovo auftrat.

Die VSV-Vektoren, die die PEI-Forscher:innen in ihrem Vakzin verwenden, sind allerdings nicht vermehrungsfähig und können mangels eigener Erbinformation keine Erkrankung auslösen. Stattdessen transportieren sie das mRNA-Replikon, das einzig für das chimäre Minispike codiert.

Noch etwas ist anders bei diesem COVID-19-Impfstoffansatz: Der Transmembrananker aus dem Rabiesvirus führt auch dazu, dass die mit dem Replikon „beimpften“ Zellen das Protein nicht nur auf ihrer Membran präsentieren. Gleichzeitig bewirkt der Anker, dass virusähnliche Partikel (Virus like Particles VLP) sekretiert werden – Pseudoviren –, die das Minispike auf ihrer Oberfläche tragen.

„Ein sicherer und effizienter 2 in 1-Ansatz“

Das, so die Wissenschaftler:innen, sei ein „kombinierter 2-in-1-Ansatz“. VLP haben eine erhöhte immunogene Wirkung und regen ebenfalls die Bildung von dann gegen die RBD gerichteten Antikörpern an.

Der Impfstoff befindet sich allerdings noch in der vorklinischen Erforschung. Getestet haben die Forscher:innen ihre Vakzine bislang erst im Tierversuch. In Mäusen gelang es ihnen bereits mit einer Dosis einen Titer an neutralisierenden Antikörpern zu erreichen, der äquivalent sei zu dem bei COVID-19-Patienten gefundenen. Eine zweite Booster-Injektion habe die virusneutralisierende Aktivität weiter erhöhen können.

Man habe mit der Arbeit zeigen können, dass sich „nicht ausbreitende Rhabdovirus-RNA-Replikons, die Minispike-Proteine exprimieren, eine wirksame Impfstoffplattform bieten können, die das bestehende Repertoire an Impfstoffen erweitern“, so die Forscher:innen.

Übertragung des Prinzips auf Vakzine gegen andere Erreger denkbar

Conzelmann und der Erstautor Alexandru Hennrich setzen der Veröffentlichung zufolge auf ihre Erfindung und haben in ein Patent auf die „Rabdovirus-Minispike-Anwendung“  investiert.

Obwohl es unter den rund 300 Impfstoff-Kandidaten Ansätze mit VLPs und andere Vektor-Varianten gibt, ebenso wie Impfstoffe mit Protein-Untereinheiten des S-Proteins, ist die Arbeit er deutschen und österreichischen Forscher:innen wohl in der Kombination recht einzigartig. Weitere Ergebnisse in den weiteren Testphasen dürften interessant sein.

Die Variante der gleichzeitigen Antigen-Präsentation auf den Zellen wie mit VLPs dürfte auch auf Vakzin-Ansätze gegen andere Erreger übertragbar sein.

Ein Problem könnte sich für die konkrete COVID-19-Vakzine allerdings durch den Variantenreichtum von SARS-CoV-2 ergeben. Alle vier als besorgniserregend eingestuften Varianten (britisch, brasilianisch, südafrikanisch und indisch) tragen insbesondere in der RBD Mutationen, was die Wirkung von dagegen gerichteten Antikörpern reduzieren könnte.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Impfexperimente

von Edith SCHUG am 25.05.2021 um 19:50 Uhr

Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht. Es gibt Proteinimpfstoffe...mit guter wirksamkeit und übersehbaren nebenwirkungen. warum werden diese nicht verwendet?

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