Mutanten genau im Auge behalten

Ungehinderte Verbreitung macht SARS-CoV-2 immer fitter

Remagen - 25.05.2021, 10:45 Uhr

Wissenschaftler:innen bezeichnen die rasante Zunahme der Anzahl und Arten neuer SARS-CoV-2-Mutationen in der Weltbevölkerung innerhalb eines Zeitraums von Wochen bis Monaten in ihrer Publikation als „bemerkenswertes biologisches Ereignis“. (Foto: Aldeca Productions / AdobeStock)

Wissenschaftler:innen bezeichnen die rasante Zunahme der Anzahl und Arten neuer SARS-CoV-2-Mutationen in der Weltbevölkerung innerhalb eines Zeitraums von Wochen bis Monaten in ihrer Publikation als „bemerkenswertes biologisches Ereignis“. (Foto: Aldeca Productions / AdobeStock)


Parallel zur weltweiten Ausbreitung

Im Rahmen ihrer Analyse stellten die Wissenschaftler fest, dass der Anstieg neuer Mutationen parallel zur schnellen weltweiten Replikation von SARS-CoV-2 verlief. Bis Ende Januar 2021 wurden neben den bekannten besorgniserregenden Virusvarianten (Variants of Concern) aus Großbritannien, Südafrika, Brasilien und Kalifornien/USA weltweit zwischen 70 und 100 neue Mutationen im SARS-CoV-2-Genom nachgewiesen. Diese beschränken sich nicht auf das Spike-Protein, sondern erstrecken sich über das virale Genom. Die Autoren leiten aus ihren Ergebnissen den Schluss ab, dass eine schnelle regionale Expansion und effiziente Virusreplikation in menschlichen Populationen mit einem sehr unterschiedlichen genetischen und sozioökonomischen Hintergrund die Selektion neuer Mutationen im viralen RNA-Genom vorantreiben. Außerdem könnten Unterschiede in den Abwehrmechanismen in verschiedenen Populationen und/oder die verschiedenen therapeutischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Infektion die Auswahl neuer Mutanten beeinflusst haben, so ihre Vermutung. Auf jeden Fall macht die Geschwindigkeit, mit der das Virus auch während des Lockdowns unterwegs war, ihrer Meinung nach deutlich, wie schwierig es ist, die Übertragung hochansteckender Atemwegsviren zu unterdrücken. 

Abwehrmechanismus umgedreht

Aus der Detailanalyse der Mutationen haben die Forscher noch einen weiteren interessanten Hinweis abgeleitet: Mehr als 50 Prozent der weltweit registrierten Mutanten kamen durch einen Austausch der Basen Cytosin und Uracil im RNA-Genom von SARS-CoV-2 zustande, was eine Verbindung zu einem mRNA-Editing-Mechanismus nahelegt. Maßgeblich für den Austausch von Cytisin gegen Uracil ist die APOBEC-Klasse (Cellular apolipoprotein B mRNA-editing enzyme, catalytic polypeptide-like) der mRNA-Editing-Cytidin-Deaminasen. Eigentlich gilt das APOBEC-Editing als zelluläre Abwehr gegen eindringende virale Genome, aber: „Das Virus hat es offenbar geschafft, eine vermeintliche Schutzfunktion menschlicher Zellen, möglicherweise das sogenannte APOBEC-System, für seine Zwecke auszunutzen“, erklärt Stefanie Weber

Mehr sequenzieren und schneller impfen

Die Autoren bezeichnen die rasante Zunahme der Anzahl und Arten neuer SARS-CoV-2-Mutationen in der Weltbevölkerung innerhalb eines Zeitraums von Wochen bis Monaten in ihrer Publikation als „bemerkenswertes biologisches Ereignis“. Der Virologe Doerfler befürchtet, dass die hohe Effizienz der Mutagenese langfristig erhebliche Probleme für die Therapie und die Impfprogramme gegen das Virus generieren könnte. „Wir möchten keine Panik machen, aber das Problem klar benennen und aufzeigen, was da gerade passiert“, fasst er die Intention des Teams zusammen. Zwar wird aktuell erwartet, dass die Impfstoffe gegen die neuen Varianten – wenn auch vielleicht weniger stark – wirken, aber sie raten trotzdem zur Vorsicht. Außerdem empfehlen die Forscher dringend, die „aggressivere virale Evolution“ als mögliche Folge von Impfprogrammen ebenfalls genau im Auge zu behalten. „Sequenzierungstechnologien und schnelle PCR-Tests sollten sich also baldmöglichst in Deutschland etablieren, denn es ist für die COVID-19-Diagnose und -Therapie sowie für die Impfstoffentwicklung essenziell, Virusmutanten und -varianten zu verstehen“, betont Doerfler. „Je länger wir die Impfung verzögern, umso schneller können sich neue Mutanten durchsetzen und den Impferfolg langfristig infrage stellen.“



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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