Kein Nutzen gegen Thrombosen bei schwerem COVID-19

Auch ASS in der RECOVERY-Studie durchgefallen

Remagen - 15.06.2021, 09:15 Uhr

Patienten, die ASS bekommen hatten, konnten etwas schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden, aber ASS konnte das Überleben von hospitalisierten COVID-19-Patienten nicht verbessern. (Foto: IMAGO / Joko)

Patienten, die ASS bekommen hatten, konnten etwas schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden, aber ASS konnte das Überleben von hospitalisierten COVID-19-Patienten nicht verbessern. (Foto: IMAGO / Joko)


Patienten mit COVID-19 haben ein erhöhtes Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln. Eine Behandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS) könnte deswegen von Vorteil sein. In der britischen RECOVERY-Studie hat sich diese Erwartung jedoch nicht erfüllt. ASS konnte das Überleben von hospitalisierten COVID-19-Patienten nicht verbessern.

Thrombosen sind ein Schlüsselmerkmal von schwerem COVID-19. Je nach Krankheitsschwere erleiden 5 bis 30 Prozent der stationären Patienten ein großes venöses thromboembolisches Ereignis (meist Lungenembolie) und bis zu 3 Prozent ein arterielles Ereignis, besonders einen Myokardinfarkt oder einen ischämischen Schlaganfall. Das Risiko für thromboembolische Komplikationen ist bei COVID-19 höher als bei anderen akuten Erkrankungen und viralen Atemwegsinfektionen und mit einer schlechteren Prognose verbunden.

Acetylsalicylsäure ist ein erschwingliches, weltweit erhältliches Medikament, das sowohl arterielle als auch venöse thrombotische Ereignisse reduzieren kann. Es wurde deswegen neben einer ganzen Reihe weiterer Therapieoptionen in der randomisierten, kontrollierten, offenen Plattformstudie RECOVERY (NCT04381936) an hospitalisierten COVID-19-Patienten getestet. Die Ergebnisse der Bewertung von ASS wurden vor wenigen Tagen auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlicht.

Kein Einfluss auf die Sterblichkeit

Zwischen dem 1. November 2020 und dem 21. März 2021 wurden rund 15.000 Patienten etwa im Verhältnis 1:1 nach dem Zufallsprinzip dem üblichen Behandlungsstandard plus einmal täglich 150 mg ASS bis zur Krankenhausentlassung bzw. dem üblichen Behandlungsstandard allein zugewiesen. Bei der 28-Tage-Mortalität als primärem Studienendpunkt zeigte sich kein signifikanter Unterschied: 17 Prozent in beiden Gruppen (Rate Ratio 0,96; 0,89-1,04). Die Ergebnisse waren in allen vordefinierten Untergruppen von Patienten konsistent. Auch bei dem sekundären Komposit-Endpunkt „Übergang zu einer invasiven mechanischen Beatmung oder ECMO oder Tod“ gab es keinen signifikanten Unterschied (21 Prozent mit ASS vs. 22 Prozent mit Standardbehandlung allein; Risk Ratio 0,96; 0,90-1,03).

Kürzerer Aufenthalt im Krankenhaus

Patienten, die ASS bekommen hatten, konnten allerdings etwas schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden (sekundärer Endpunkt; Median 8 Tage vs. 9 Tage) und ein höherer Anteil verließ das Krankenhaus innerhalb von 28 Tagen lebend (75 vs. 74 Prozent; Rate Ratio 1,06; 95 Prozent Konfidenzintervall 1,02-1,10). Die Einnahme von Aspirin verringerte zwar die thrombotischen Ereignisse um 0,6 Prozent, aber schwere Blutungsereignisse nahmen in demselben Maße zu. 

Breiter Einsatz nicht gerechtfertigt

„Die Daten zeigen, dass Aspirin bei Patienten, die mit COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, die 28-Tage-Mortalität oder das Risiko einer Progression zur invasiven mechanischen Beatmung oder Tod nicht verringert“, fasst der Joint Chief Investigator der RECOVERY-Studie Peter Horby vom Nuffield Department of Medicine der University of Oxford die Ergebnisse in einer Pressemitteilung zusammen. Es wurde zwar mit einer geringfügig erhöhten Wahrscheinlichkeit einer lebenden Entlassung in Verbindung gebracht, aber das scheint nicht auszureichen, um eine weit verbreitete Verwendung bei Patienten zu rechtfertigen, die mit COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Aktuell laufen noch einige weitere Studien mit ASS bei COVID-19, darunter die internationale REMAP-CAP-Studie. Sie untersucht die Wirkung des Thrombozytenaggregationshemmers an Patienten, die wegen eines schweren Verlaufs auf der Intensivstation behandelt werden.  

Erfolge und Misserfolge in RECOVERY

RECOVERY ist eines der größten Studienprojekte zur Evaluierung möglicher Therapieoptionen gegen COVID-19. In insgesamt 15 Armen werden erfolgversprechende Ansätze mit Standardbehandlung verglichen. Die am 19. März 2020 gestartete Studie mit 40.000 Teilnehmern wird in Großbritannien, Indonesien und Nepal durchgeführt. 
Während niedrig dosiertes Dexamethason und der monoklonale Antikörper Tocilizumab in RECOVERY bereits überzeugen konnten, fielen die Ergebnisse mit Lopinavir-Ritonavir, Hydroxychloroquin, Azithromycin und Rekonvaleszentenplasma negavtiv aus. Weiterhin werden in RECOVERY unter anderem die Immunmodulatoren Baricitinib und Dimethylfumarat, der Antikörper-Cocktail REGN-COV2, das Gichtmittel Colchicin, der Interleukin-1 Rezeptorantagonist Anakinra und der TNF-alpha-Inhibitor Infliximab untersucht. 


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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