Insulin icodec

Gibt es bald ein Wochen-Insulin?

Stuttgart - 20.07.2021, 09:15 Uhr

Den Ergebnissen der Studie zufolge schnitt die Blutzuckerkontrolle mit dem einmal wöchentlichen Insulin icodec nicht schlechter ab als mit täglichem Insulin glargin, die besten Ergebnisse konnten mit einer doppelten Anfangsdosis (Loading Dose) von Insulin icodec erzielt werden. (s / Foto: Syda Productions / AdobeStock)

Den Ergebnissen der Studie zufolge schnitt die Blutzuckerkontrolle mit dem einmal wöchentlichen Insulin icodec nicht schlechter ab als mit täglichem Insulin glargin, die besten Ergebnisse konnten mit einer doppelten Anfangsdosis (Loading Dose) von Insulin icodec erzielt werden. (s / Foto: Syda Productions / AdobeStock)


Weniger spritzen – welcher Diabetiker wünscht sich das nicht? NovoNordisk prüft derzeit Insulin icodec, das als Ultralangzeit-Insulin nur noch einmal wöchentlich injiziert werden muss. Doch wie sieht es mit der Blutzuckerkontrolle aus? Steigt das Risiko für Hypoglykämien? Wie reagiert der HbA1c?

Noch muss NovoNordisks Insulin icodec in Phase 3-Studien bestehen: Das Ultralangzeit-Insulin könnte aber – so die Studienergebnisse weiterhin so positiv ausfallen wie aus Phase 2 – das Leben von Diabetiker:innen deutlich erleichtern. Warum? Mit einer Halbwertszeit von 196 Stunden (etwa acht Tage) ermöglicht Insulin icodec, dass Diabetiker:innen dieses Basalinsulin nur noch einmal pro Woche spritzen müssen. Doch ist die blutzuckersenkende Wirkung tatsächlich so zuverlässig und sicher wie eine tägliche Insulininjektion, zum Beispiel mit dem Basalinsulin Insulin glargin? Und wie gelingt das Umstellen von täglichem Insulin auf wöchentliches am besten? Das untersuchten Wissenschaftler:innen unter anderem aus Kanada, den USA und Großbritannien in einer Phase 2-Studie, die im Juni 2021 im Fachjournal „Diabetes Care“ veröffentlicht wurde.

Insulin icodec

Insulin icodec ist ein neuartiges Insulinanalogon (Basalinsulin), das subcutan gespritzt wird. Die lange Halbwertszeit von etwa acht Tagen ermöglicht eine nur einmal wöchentliche Verabreichung. Wie schafft NovoNordisk eine so lange Halbwertszeit bei Insulin icodec? Dies gelingt durch die Bindung des Insulins an Albumin: Nach Applikation und Absorption in den Blutkreislauf bindet Insulin icodec stark und reversibel an Albumin (als Monomer) und bildet dort ein im Wesentlichen inaktives Insulindepot. Dieses Depot verlassen die Insulinmoleküle nur sehr langsam, um an ihren Insulinrezeptor im Zielgewebe zu gelangen. Die langsame Freisetzung von Insulin icodec aus seinem Depot sorgt für die lange Halbwertszeit und eine gleichmäßige Blutzuckersenkung über eine ganze Woche. 
Dockt Insulin an seinem Rezeptor an, öffnet sich die Zelle für Glucose, nimmt diese aus dem Blut auf und senkt dadurch den Blutzuckerspiegel. Durch die wöchentliche Insulininjektion wächst der Pool an Albumin-gebundenen Insulin icodec stetig an und erreicht nach drei bis vier Wochen ein Gleichgewicht (steady state) – dann ist die volle blutzuckersenkende Wirkung von Insulin icodec erreicht, und die verabreichte Insulinmenge entspricht der ausgeschiedenen. 
Zudem sind in Insulin icodec im Vergleich zu Humaninsulin drei Aminosäuren ausgetauscht, sodass das Insulinanalogon langsamer enzymatisch abgebaut wird, auch dies wirkt sich auf eine lange Halbwertszeit aus. 

Die Studienteilnehmer:innen – Typ-2-Diabetiker:innen [18 bis 75 Jahre (Durchschnittsalter 61,7 Jahre), BMI höchstens 40 kg/m2)], die im Mittel seit 15,1 Jahren an Diabetes litten, deren Blutzucker unzureichend kontrolliert war (HbA1c von 7 bis 10 Prozent), die auf ein Basalinsulin (ein- bis zweimal täglich mit einer Gesamtdosis von 10 bis 50 IE) eingestellt waren und zusätzlich mindestens ein blutzuckersenkendes orales Arzneimittel einnahmen [Metformin allein oder plus einen Dipeptidyleptidase-4-Inhibitor (wie Sitagliptin in  Januvia®) und/oder Natrium-Glucose-Cotransporter-Inhibitor (wie Dapagliflozin in Forxiga®)] – wurden auf Insulin icodec umgestellt, entweder mit oder ohne Loading-Dose. Das bedeutet: Beim Umstellen von täglichem auf wöchentliches Basalinsulin erhielten die Teilnehmer:innen entweder eine zusätzliche Dosis oder nicht. Diese Doppeldosis soll das Insulin-Albumin-Depot vergrößern und verhindern, dass sich der Nüchternblutzuckerspiegel vorübergehend verschlechtert. 

Die Teilnehmer:innen wurden 1:1:1 nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen aufgeteilt: einmal wöchentliches icodec mit einer anfänglichen 100-prozentigen Ladedosis (54 Teilnehmer:innen), einmal wöchentliches Insulin icodec ohne Ladedosis (50 Teilnehmer:innen) oder einmal tägliches Insulin glargin U100 (50 Teilnehmer:innen). Umgestellt wurde nach Unit: Wer zuvor einmal täglich 100 IE Insulin glargin erhielt, bekam 700 IE Insulin icodec wöchentlich (bei zwei Dosen Basalinsulin täglich oder 300 IE Insulin glargin pro Tag, reduzierte sich die Gesamtdosis um 20 Prozent, um Hypoglykämien vorzubeugen). Die Behandlungsdauer in der Studie betrug 16 Wochen, die Diabetiker:innen wurden anschließend noch fünf Wochen nachbeobachtet. Die Studie lief multizentrisch (34) in Deutschland, Italien, Kanada, Tschechien und den USA und zwischen Mai 2019 und Januar 2020.

Wie lange ist der Blutzuckerspiegel im Normbereich?

Als primären Endpunkt der Studie definierten die Wissenschaftler:innen die prozentuale Zeit, die sich der Blutzuckerspiegel im gewünschten Bereich (70-180 mg/dL bzw. 3,9-10,0 mmol/L) befand. Bestimmt wurde dies mittels kontinuierlicher Blutglucosemessung, die für die Wochen 15 und 16 der Studie ausgewertet wurde. Daneben interessierte die Wissenschaftler:innen, wie sich der HbA1C entwickelt, wie häufig es zu Hypoglykämien kommt und zu unerwünschten Ereignissen (sekundäre Endpunkte).

Beste Blutzuckerkontrolle mit Insulin icodec und Loading Dose

Den Ergebnissen der Studie zufolge schnitt die Blutzuckerkontrolle mit dem einmal wöchentlichen Insulin icodec nicht schlechter ab als mit täglichem Insulin glargin, die besten Ergebnisse konnten mit einer doppelten Anfangsdosis (Loading Dose) von Insulin icodec erzielt werden. 

Insulin icodec: längere Zeit im Blutzuckernormbereich

So war der Blutzuckerspiegel unter Insulin icodev plus Loading Dose (LD) 72,9 Prozent der Zeit im Normbereich, ohne Loading Dose waren es 66 Prozent der Zeit und mit Insulin glargin 65 Prozent der Zeit. Verglichen mit dem Ausgangswert verbesserte sich die tägliche Zeit der Blutzuckerkontrolle unter Insulin icodec mit LD um 3 h 42 min/Tag, ohne LD um 2 h 4 min/Tag und unter Insulin glargin um 1 h 49 min/Tag. Die Wissenschaftler:innen betonen die Bedeutung dieser Ergebnisse: Bereits eine 5-prozentige Erhöhung der täglichen Zeit im Blutzuckernormbereich bringe eine „klinisch signifikante Verbesserung der glykämischen Kontrolle und klinisch signifikante Vorteile für die Menschen“. Angestrebt wird eine zeitlich gesehen mindestens 70-prozentige Blutzuckerkontrolle – das wurde durch Insulin icodec mit Loading Dose erreicht. Der Unterschied hinsichtlich der Zeit im Blutzuckernormbereich erwies sich zwischen dem Therapieschema mit Insulin icodec mit Loading Dose und Insulin glargin als statistisch signifikant, das bedeutet: Die bessere Blutzuckerkontrolle lässt sich nicht allein durch Zufall erklären.

Kam es vermehrt zu Hypoglykämien?

Welche Nebenwirkungen bringt der Vorteil einer längeren Zeit im Blutzuckernormbereich mit sich – hatten die Diabetiker:innen unter der wöchentlichen Insulingabe vielleicht mehr Hypoglykämien? Auch hier überzeugte Insulin icodec in der Studie. Am wenigsten Hypoglykämien traten unter Insulin icodec ohne Loading Dose auf: 7,4 Prozent der Diabetiker:innen berichteten Hypoglykämien in der Insulin icodec Loading Dose-Gruppe, ohne Loading Dose waren es nur 4 Prozent und unter Insulin glargin 12 Prozent (kombinierte Stufe 2 und 3 Hypoglykämien mit Blutzuckerspiegeln unter 54 mg/dl und kognitiver Einschränkung der Diabetiker:innen). Bei Level-1-Hypoglykämien (Blutzucker unter 70 mg/dl und höchstens 54 mg/dl) unterschieden sich die Therapieschemata hinsichtlich der Unterzuckerung nicht.

Was macht der Langzeitblutzuckerwert (HbA1c)?

Bei allen Studiengruppen verbesserte sich der Hba1c-Wert: Er lag bei Teilnehmer:innen mit Insulin icodec und Loading Dose in Woche 16 bei 7,1 Prozent, ohne Loading Dose und bei Insulin glargin bei je 7,4 Prozent und hatte sich damit um 0,8 Prozent und um je 0,5 Prozent verbessert (Ausgangswert lag bei 7,9 Prozent).

Nebenwirkungen vergleichbar

Laut den Wissenschaftler:innen kam es in allen drei Gruppen zu vergleichbaren Nebenwirkungen. Die meisten seien mild gewesen und nur wenige stünden „möglicherweise oder wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Behandlung“, erklären die Forscher.  Zwei Probanden (Insulin icodec Loading Dose, Insulin glargin) erlitten einen Herzinfarkt. Diese stehen den wissenschaftlichen Begutachtern der Studie zufolge jedoch nicht im Zusammenhang mit der Insulintherapie. Insgesamt berichteten zwei Teilnehmer:innen der Loading-Dose-Gruppe über sieben schwere Ereignisse, kein Patient verstarb. Die Reaktionen an der Injektionsstelle waren durchweg milder Natur.

Insulin icodec: wirksam und gut verträglich

Die Wissenschaftler:innen sehen in ihre Studie einen Beleg, dass für Typ-2-Diabetiker:innen eine Umstellung von täglichem Basalinsulin auf einmal wöchentliches Insulin „wirksam und gut verträglich“ ist und eine gute Blutzuckerkontrolle ermöglicht. Verglichen mit der Umstellung auf einmal tägliches Insulin glargin U100 sei Insulin icodec mit anfänglicher Doppeldosierung ähnlich oder besser wirksam, ohne dass es dabei zu mehr Hypoglykämien gekommen sei. 

Nun stehen noch Phase 3-Studien an, so diese die bisherigen positiven Ergebnisse bestätigen, will NovoNordisk wohl bereits 2022 die Zulassung von Insulin icodec bei der FDA in den USA beantragen. 



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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