Stromausfall, zerstörte Arztpraxen, fehlende Rezeptvordrucke

„Wir haben hier unsere eigenen Gesetze geschaffen“

Stuttgart - 20.07.2021, 17:50 Uhr

Im Ahrtal trat der Fluss über die Ufer und überschwemmte ganze Ortschaften. Im Bild der Ort Dernau, Landkreis Ahrweiler. (x / Foto: IMAGO / Future Image)

Im Ahrtal trat der Fluss über die Ufer und überschwemmte ganze Ortschaften. Im Bild der Ort Dernau, Landkreis Ahrweiler. (x / Foto: IMAGO / Future Image)


Für diesen Fall gibt es praktisch keine Handlungsanweisungen

Doch für Witzmann, die anderen Apotheker und den leitenden Notarzt geht es aktuell darum, die mittelfristige Versorgung der Menschen mit Hilfe der Arztpraxen und Apotheken zu sichern. In Altenahr liege die medizinische Vor-Ort-Versorgung gewissermaßen brach. Das Hochwasser habe sogar dazu geführt, dass den Ärzten Rezeptvordrucke fehlten. Dies sei vor allem im Bereich der Betäubungsmittelverordnungen besonders tragisch, da die Präparate aus dem Palliativ- und Schmerzbereich akut und ohne Unterbrechung benötigt werden. „Wir haben für alles Gesetze und Verordnungen“, so Witzmann, „aber für diesen Fall gibt es praktisch keine Handlungsanweisungen.“ Damit es trotzdem im Katastrophengebiet „irgendwie“ funktioniert, gehen die Helferinnen und Helfer ganz pragmatisch an die Sache: „Wir haben hier unsere eigenen Gesetze geschaffen“, erklärt der Apotheker im Ruhestand. Und wer meint, dass elektronische Rezepte das Problem mit den fehlenden Rezeptblättern gelöst hätten, sollte realisieren, sagt Witzmann, dass der großräumige Stromausfall bzw. die Abschaltung des Netzbetriebs den digitalen Weg nur sehr schwer bis unmöglich gemacht hätte.

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Laut Witzmann werden in Altenahr aktuell zwei Container aufgestellt, um darin die Arzneimittelversorgung zu organisieren. Notapotheken quasi, die von den Großhändlern beliefert werden. Mittels Apothekenwirtschaftssystem wird die Medikation dann dem jeweiligen Patienten zugeordnet, konfektioniert und ausgeliefert. Die Apotheker vor Ort sind zuversichtlich, dass sie im Laufe dieser Woche gemeinsam mit dem Krisenstab wieder etwas mehr Normalität herstellen können. Die zuständige Landesapothekerkammer Rheinland-Pfalz hat bereits reagiert und die Dienstbereitschaft der Apotheken in den Notdienstbereichen modifiziert. So dürfen Apotheken, die ihren Betrieb ohne Einschränkungen aufrechterhalten können, auch über das Wochenende für den Publikumsverkehr geöffnet bleiben. Heute meldete die Kammer, dass in Rheinland-Pfalz mindestens 18 Apotheken betroffen und nicht dienstbereit seien. Die Zahlen seien jedoch weiterhin vorläufig, noch immer könnte nicht mit allen Apotheken im Flutgebiet in Kontakt getreten werden.

„Erhöhte Sensibilität gegenüber Katastrophen und den Auswirkungen  im Berufsstand ist notwendig“

Günter Witzmann hält es für dringend notwendig, dass es im Berufsstand zu einer erhöhten Sensibilität gegenüber Katastrophen und den Auswirkungen kommen muss. Neben den existenziellen Gefahren für jede betroffene Apotheke gehe es dabei vor allem um die Aufrechterhaltung der flächendeckenden und bevölkerungsnahen Versorgung. Hier sieht er auch die Bundesregierung in der Pflicht. Denn auf solche Szenarien könne man sich vorbereiten. Dabei weist er auf den in den vergangenen Monaten viel zitierten „Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012“ hin. In dieser Drucksache (17/12051) des Deutschen Bundestags, die bereits am 3. Januar 2013 an die Bundestagsabgeordneten, Ministerien und Länder ging, wurde bekanntlich unter der fachlichen Federführung des Robert Koch-Instituts analysiert, wie man am besten gegen ein außergewöhnliches Seuchengeschehen mit einem neuartigen Erreger wirken kann. Im selben Papier geht es auch um ein weiteres Ergebnis einer Risikoanalyse – und zwar bei „Extremen Schmelzhochwasser aus den Mittelgebirgen“.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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