Rückruf von Alpha-Liponsäure-Präparaten

Behörde hält „kleine Wunderwaffe“ für gesundheitsschädigend

Stuttgart - 22.07.2021, 15:15 Uhr

Eine bayerische Überwachungsbehörde rät, Alpha-Liponsäure von Naturafit und Valeacell im Hausmüll zu entsorgen. Für einen 70 kg schweren Erwachsenen sei eine tägliche Dosierung von bis zu 42 mg unbedenklich. Die zurückgerufenen Präparate enthalten ein Vielfaches dieser Menge. (Foto: kelifamily / AdobeStock)

Eine bayerische Überwachungsbehörde rät, Alpha-Liponsäure von Naturafit und Valeacell im Hausmüll zu entsorgen. Für einen 70 kg schweren Erwachsenen sei eine tägliche Dosierung von bis zu 42 mg unbedenklich. Die zurückgerufenen Präparate enthalten ein Vielfaches dieser Menge. (Foto: kelifamily / AdobeStock)


Die bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) rief in der vergangenen Woche zwei Alpha-Liponsäure-haltige Nahrungsergänzungsmittel zurück. Kunden sollen die Produkte entsorgen, da sie die Gesundheit schädigen. Verbindliche Höchstwerte existieren nicht. Weil Angaben zur Toxizität variieren, geht einer der Hersteller rechtlich gegen den Rückruf vor.

Innerhalb einer Woche müssen zwei Nahrungsergänzungsmittel-Hersteller Produkte mit Alpha-Liponsäure zurückrufen. Am 17. Juli sperrte die Naturafit GmbH ihr Präparat Alpha-Liponsäure 300 R+. Am Tag darauf gab die Firma Valeacell bekannt, Alpha Liponsäure aus ihrem Angebot zu nehmen. Weitere Rückrufe könnten folgen.

Wie war das noch?

Alpha-Liponsäure (auch als Thioctsäure bezeichnet) unterstützt als Koenzym die oxidative Decarboxylierung verschiedener enzymatischer Systeme. Beim Menschen wird sie endogen in Mitochondrien synthetisiert. Mangelerscheinungen sind nicht bekannt.

Weil das Koenzym Empfindungsstörungen bei diabetischen Polyneuropathien lindern kann, ist es bei dieser Indikation als Arzneimittel zugelassen, wenn Patienten auch bei korrekter Blutzuckereinstellung unter den Symptomen leiden. Üblicherweise nehmen Patienten das Arzneimittel oral ein, mitunter wird intravenös eine Initialdosis verabreicht.

Alpha-Liponsäure fungiert als Komplexbildner. Bei gleichzeitiger Anwendung kann Cisplatin seine antineoplastische Wirkung verlieren. Auch andere mehrwertige Kationen wie etwa in Eisen- oder Magnesiumpräparaten sollten nicht zeitgleich eingenommen werden.

Der Grund: Die Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) schätzt, dass die Präparate die Gesundheit schädigen können. Wer die Produkte gekauft hat, soll sie nicht weiter einnehmen, sondern im Hausmüll entsorgen.

Hersteller geht gegen Rückruf vor

Ernährungsberater:innen bewerben in Blogs Alpha-Liponsäure als „Alpha-Männchen unter den Antioxidantien“. Die Firma Naturafit spricht von der „kleinen Wunderwaffe“ für Sportler und Menschen während Diätphasen.

In einer Stellungnahme widerspricht der Nahrungsergänzungsmittelhersteller dem Rückruf der Überwachungsbehörde. Nach ihrer Empfehlung sollen Kunden täglich eine Kapsel zu je 300 mg Alpha-Liponsäure einnehmen. Diese Dosierung gefährdet nach Ansicht der Firma die Kunden nicht.

Sie stützen sich auf eine 2020 in „Antioxidants“ veröffentlichte Studie. Die Autor:innen erkannten bei täglichen Dosierungen von bis zu 1.800 mg kein signifikant erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen, die einer medizinischen Behandlung bedürfen. Daher will Naturafit rechtlich gegen den Rückruf der Bayerischen Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV) vorgehen.

Wie toxisch ist Alpha-Liponsäure?

Aktuell gibt es weder auf europäischer noch auf nationaler Ebene verbindliche Höchstmengen für Alpha-Liponsäure in Nahrungsergänzungsmitteln. Doch die Bayerische Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen argumentiert: Wenn Patienten lebenslang täglich Alpha-Liponsäure einnehmen, sei dies nur bis zu einer Dosierung von 0,6 mg pro Kilogramm Körpergewicht gesundheitlich unbedenklich.

Diesen Wert hatte das nationale dänische Lebensmittelinstitut nach einem Langzeitversuch an Ratten errechnet. Folgen Kunden den Verzehrempfehlungen der Hersteller, überschreiten sie die 0,6 mg pro Kilogramm Körpergewicht um ein Vielfaches. Dies führe zu unerwünschten Wirkungen, unter anderem zu Herzrhythmus- und myokardialen Störungen sowie Leberschädigungen.

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Der Fachliteratur zufolge können toxische Wirkungen ab Dosierungen von ca. 50 bis 100 mg Alpha-Liponsäure pro Kilogramm Körpergewicht auftreten. Schwere Überdosierungen äußern sich zunächst durch psychomotorische Unruhe oder Bewusstseinstrübung, später durch generalisierte Krampfanfälle und Hypoglykämien. Bei massiven oralen Dosierungen kommt die Gefahr für Schock dazu.

Spur nach seltener Nebenwirkung verblasst

Zudem erkrankten in 49 Fällen Patienten nach der Einnahme von Alpha-Liponsäure am Antiinsulinantikörper-Syndrom. Dabei handelt es sich um eine Autoimmunreaktion, bei der Autoantikörper gegen körpereigenes Insulin gebildet werden, ohne dass Insulin von außen zugeführt wurde. Nachdem die Patienten die Nahrungsergänzungsmittel abgesetzt hatten, klang das Syndrom nach einigen Wochen bis Monaten aus.

Um dieser Spur nachzugehen, gab die Europäische Kommission eine Studie in Auftrag, die den Zusammenhang untersuchen sollte. Die Ergebnisse wurden im Juni 2021 im „EFSA Journal“ veröffentlicht.

Die Studienautoren konnten keinen präzisen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Alpha-Liponsäure und dem Antiinsulinantikörper-Syndrom feststellen. Die Autor:innen vermuten, dass Patient:innen mit bestimmten genetischen Polymorphismen ein erhöhtes Risiko aufweisen könnten, die Autoimmunerkrankung zu entwickeln. Doch diese könne man nur mit Genomanalysen identifizieren.



Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


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