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Neue Ansätze für Analgetika
Schmerzen stillen mit Sonnenblumen
Ein Forscherteam der Medizinischen Universität Wien, der Universität Queensland in Australien und der australischen Flinders University hat jetzt die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlicht, in denen es ein vielversprechendes neues Analgetikum aus der Sonnenblume präsentiert.
Sicherlich ist es eine pharmazeutische Binsenweisheit, dass kaum etwas gleichzeitig so sehr Segen und Fluch ist wie Betäubungs- und Schmerzmittel. Es bringt aber auf den Punkt, weshalb die Entwicklung neuer Schmerzmittel, die besonders als Alternative zu Opioiden eingesetzt werden können, große Bedeutung hat.
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Die Forschungsgruppe von Assistenzprofessor Christian Gruber vom Institut für Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien hat nun gemeinsam mit Wissenschaftler:innen der Universitäten Queensland und Flinders (Adelaide) in Australien eine Studie veröffentlicht, in der sie einen alternativen Kandidaten zum Schlafmohn aus dem Pflanzenreich genauer unter die Lupe genommen haben – die Sonnenblume Helianthus annuus.
Erschienen ist die Studie mit dem Titel „Design of a Stable Cyclic Peptide Analgesic Derived from Sunflower Seeds that Targets the κ-Opioid Receptor for the Treatment of Chronic Abdominal Pain“ jetzt im Fachjournal „Medicinal Chemistry“.
Wirkstoffkandidat aus Sonnenblumenkernextrakt ermittelt
Ausgehend von der schmerzstillenden und antientzündlichen Wirkung eines methanolischen Extrakts aus Sonnenblumenkernen, der in der traditionellen Medizin verwendet wird, machte sich dabei der Doktorand Edin Muratspahić auf die Suche nach dem zugrunde liegenden Wirkstoff darin. Der wesentliche Bestandteil dieses Extraktes wurde als Kandidat ermittelt und hinsichtlich seiner Bindungsfähigkeit an den Kappa-Opioid-Rezeptor (KOR) untersucht.
„Der KOR wird als Zielstruktur gegen Schmerzen erforscht, um mögliche Alternativen für Morphin und morphinähnliche Wirkstoffe wie etwa Fentanyl zu finden“, erklärt Gruber. Hintergrund sei, erklärt er, dass die bisherigen sogenannten Opioid-Schmerzmittel vorwiegend am My- und Delta-Opioid Rezeptor im Zentralen Nervensystem wirkten und bekanntermaßen mitunter zur starken Abhängigkeit sowie bei Überdosierung zum Tod durch Atemlähmung führen könnten. Als Beispiel für eine solche Entwicklung verweist er auf die sogenannte „Opioid Crisis“ in den USA.
Der Kappa Rezeptor werde daher als „besseres“ Schmerzmittel-Wirkstoffziel erforscht, erste zugelassene Kappa-Wirkstoffe sind etwa Difelikefalin zur Gabe nach OP-Schmerzen. Die österreichischen und australischen Forscher:innen fanden als wirksamen KOR-Liganden das kleine cyklische Peptid SFTI-1. Das steht für „Sun Flower Trypsin Inhibitor-1“.
Das sei damit das erste aus Pflanzen isolierte zyklische Opioid-artige Peptid, das eine Bindung an den KOR zeige, so die Forscher:innen.
Molekül auf pharmakologische Wirkung hin optimiert
Mit der Beschreibung und Erforschung dieses Moleküls, das zu den kleinsten in der Natur vorkommenden zyklischen Peptiden gehört, gaben sich die Wissenschaftler:innen aber nicht zufrieden. Sie versuchten das Molekül auf eine schmerzstillende Wirkung hin zu optimieren. Insgesamt 19 Peptide wurden chemisch optimiert und pharmakologisch getestet. „Eine dieser Varianten erwies sich als unser Top-Kandidat als mögliches neuartiges Schmerzmittel, besonders für Schmerzen im Magen-Darm-Trakt oder in den peripheren Organen“, erklären Gruber und Muratspahić. Dieses Peptid sei äußerst stabil, hochpotent und wirke restriktiv in der Körperperipherie. Daher sei bei Anwendung auch weniger der typischen Nebenwirkungen von Opioiden zu erwarten.
Der Verbindung gaben die Forscher:innen den Namen Helianorphin-19. „Das Peptid besteht aus dem Grundgerüst von SFTI-1, wobei einzelne Aminosäurebausteine gegen ein endogenes Peptidhormon, nämlich Dynorphin A1-17, ausgetauscht wurden. Dynorphin ist das körpereigene Opioid-Hormon, welches vorwiegend an den KOR bindet“, sagt Gruber.
Helianorphin-19 binde und moduliere den KOR dabei mit sehr guter Potenz bereits bei einer nanomolaren Dosierung. „Das pflanzliche Peptid tut dies nur sehr schwach – mit einer hohen mikromolaren Dosierung.“
„Helianorphin-19 wirkt selektiv am Kappa Rezeptor, aktiviert nur jenen Signalweg, welcher in Verbindung mit Analgesie steht, wirkt hauptsächlich peripher, da es möglicherweise nicht die Blut-Hirn-Schranke passieren kann und ist sehr stabil. Das heißt, es hat eine längere Wirksamkeit im Magen-Darm-Trakt und/ oder die Einnahme als Tablette wäre möglich“, erklärt der Forscher.
Tests im Tiermodell
Getestet wurde der mögliche neue Analgetika-Kandidat bislang im Tierversuch. Dabei habe man im Tiermodell eine sehr gute schmerzstillende Wirkung bei sogenannten Viszeralschmerz beobachtet. Es seien ferner keine typischen Nebenwirkungen wie Antriebslosigkeit beobachtet worden, außerdem keine schmerzstillende Wirkung auf zentrale Schmerzweiterleitung. „Das heißt, es sind auch keine typischen Nebenwirkungen wie Abhängigkeit, was zentral gesteuert wird, zu erwarten“, sagt Gruber.
Die Tierversuche wurden dabei vor allem mit Mäusen überwiegend in Australien durchgeführt. Dabei wurde unter anderem mittels Dinitrobenzolsulfonsäure-Gabe eine Entzündung des Darms induziert. Als einer der Tests der Wirkung auf das ZNS wurde etwa ein „Rotarod-Test“ durchgeführt, bei dem festgehalten wird, wann die Tiere mit oder ohne Gabe des Wirkstoffes von einer rotierenden Trommel fallen.
Man sehe aus den bisherigen Versuchen ein großes Potenzial, aus dem Peptid in Zukunft ein sicheres Medikament gegen Schmerzen im Magen-Darm-Trakt entwickeln zu können, das oral in Tablettenform verabreicht werden könnte. Eventuell sei es auch bei anderen schmerzhaften Leiden wie etwa entzündlichen Darmerkrankungen anwendbar.
Entzündliche Darmerkrankungen als nächstes Anwendungsgebiet wird untersucht
„Wir wollen als Nächstes die Wirkung bei solchen entzündlichen Darmerkrankungen wie bestimmten Autoimmunerkrankungen – etwa Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn – erforschen“, sagt der Österreicher. Langfristiger sei es dann notwendig, einen Firmeninvestor zu finden, der die Entwicklung eines solchen alternativen Schmerzmittels durchführen wolle. Daher könne man noch nicht abschätzen, wann Heliorphin-19 eventuell zur Marktreife gelangen könnte. „Mit einem ähnlichen Peptid, welches gegen Multiple Sklerose eingesetzt werden soll, ist uns dies aber bereits gelungen. Die schwedische Firma Cyxone versucht einen zyklischen Peptidwirkstoff basierend auf unserer Forschung zu entwickeln“, sagt der Forschungsgruppenleiter.
Als Weg zur Synthese sei der chemisch-synthetische Weg über die Festphasenpeptidsynthese wohl der wahrscheinlich beste. „Es gibt allerdings bereits die Möglichkeit zur Synthese über biotechnologische Verfahren etwa in Bakterien oder Hefe sowie die rekombinante Produktion in Pflanzen. Bei beiden Verfahren muss dazu allerdings die Ausbeute – vor allem wegen der Zyklisierung der Peptide – noch verbessert werden“, sagt Gruber.
Arzneimittelforschung
Welche neuartigen Opioide sind in der Pipeline?
Neben der möglichen und angestrebten Weiterentwicklung des Wirkstoffs zu einem Arzneimittel sehen die Forscher:innen ihre Arbeit aber auch als Beweis für die Richtigkeit ihres grundsätzlichen Forschungsansatzes – der generellen Idee, den Bauplan der Natur zu nutzen, um optimierte Wirkstoffe zu entwickeln. „Dafür durchsuchen wir große Datenbanken mit Erbinformation von Pflanzen und Tieren, entschlüsseln neuartige Peptidmoleküle und untersuchen deren Struktur, um sie dann pharmakologisch an Enzymen oder Membranrezeptoren und schließlich im Krankheitsmodell zu testen“, sagt Gruber.
Aus der Natur gewonnene Peptide seien „eine reiche Quelle, um neue Arzneimittel zu entdecken und zu entwickeln“, schreiben die Forscher:innen.
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