Restaurant Pharmacia Felicidade
Rua Marechal Saldanha, 1
1249-069 Lissabon
+351 21 346 2146
facebook.com/restaurantepharmacia
chef-felicidade.pt
Metro Baixa-Chiado. Tram 28
Health and Pharmacy Museum Lisbon
+351 213 400 688
museudafarmacia.pt
Wer im Lissaboner Stadtteil Santa Catarina vor der eindrucksvollen Villa aus dem 18. Jahrhundert mit seinen schmiedeeisenen Portalen, der Freitreppe und der großen Terrasse mit Blick auf den Fluss Tejo steht, muss sich entscheiden: Zuerst essen (und trinken) und anschließend ins Apothekenmuseum oder umgekehrt? Die Gefahr ist groß, solange im Restaurant Pharmacia der Starköchin Susana Felicidade sitzen zu bleiben, dass der Museumsbesuch auf ein andermal verschoben werden muss.
Zuerst schaut alles noch ganz unverdächtig aus: vor dem Essen einen Aperitif. Bitte die Getränkekarte. Was darf es denn sein? Man traut seinen Augen kaum: Antidot oder LSD? Antivirus oder Anticoagulant? Dieses kommt beispielsweise in einer Dosis von 105 Millilitern und enthält als aktive Substanzen Zubrowka Wodka und Ingwerbier, daneben noch Koriander, Stangensellerie und Ingwerscheiben. „Alle Aperitifs aus dem Laboratorium Felicidade sind verschreibungspflichtig; bei Unklarheiten bitte die Kellnerin oder den Kellner konsultieren.“
Die medizinisch verfasste Getränkekarte und die zu Trinkgläsern umfunktionierten ehemaligen Messbecher sind nicht die einzige Überraschung. Wer seinen Blick von seinem Drink hebt und über die Nachbartische schweifen lässt, hat ein Deja-vu-Erlebnis: Diese Formen, diese ganz typisch gebogenen Metallteile, diese Hocker … wo hat man das schon gesehen? Plötzlich dämmert es: Das sind doch Möbel aus alten Apotheken, Labors, Krankenzimmern, Untersuchungsräumen! Sie stammen tatsächlich aus Beständen des Apothekenmuseums, aber auch von Flohmärkten und Trödlern, manches ließ Susana Felicidade nach ihren Vorstellungen aus Einzelteilen neu zusammenbauen. Ebenso ist es mit dem Geschirr und sonstigen Utensilien: Das Besteck wird in metallenen Nierenschalen gebracht, Eiskübel sind weißgestrichene Erste-Hilfe-Kästen, Wasser kommt in großen Medizinflaschen auf den Tisch, die Suppe wird in Reagenzgläsern serviert. Ebenso ist es mit der Inneneinrichtung – die Vitrinen stammen geradewegs aus dem Labor; Eprouvetten, Bunsenbrenner und andere Geräte und Hilfsmittel aus der Apotheke stehen zwischen Geschirr, Salzstreuern, Shakern ... Plakate mit alter Arzneimittelwerbung an den Wänden, Medikamentenpackungen im ‚Giftschrank‘, Mikroskope, Untersuchungsstühle, Körperwaagen, alles holt die Besucher zurück in die Zeit, als viel Eigenproduktion in den Apotheken stattfand. Viele kleine Medizin-Symbole finden sich auch auf den Tapeten, die ebenso wie das Logo des Restaurants von der Designerin Cristiana Couceiro gestaltet wurden. In diesem Zusammenhang ist auch ein Gang auf die Toilette empfehlenswert, einfach den Pfeilen folgen: Den Weg weisen Bilder einer Krankenschwester mit Häubchen bzw. eines Apothekers im weißen Kittel – der aktuellen Situation angepasst mit Mundschutz!
Zum Abschluss nach all dem Essen und Schauen jetzt noch einen Digestif, um die Produktion von Magensaft zu fördern und die Verdauung zu erleichtern: vielleicht 65 Milliliter „Corticosteroid“? Dabei handelt es sich um einen Cocktail nach einem alten Rezept aus hausgemachtem Whiskey und rotem Wermuth über getrocknetem geräuchertem iberischem Schinken.
Die Besitzerin Susana Felicidade stammt aus einer Familie von Küchenchefs und Restaurantbetreibern an der wilden Atlantik-Küste Portugals, deren Küche von nordafrikanischen und arabischen Rezepten beeinflusst wird. Als sie vor mehr als zehn Jahren von der portugiesischen Apothekervereinigung ANF – dem Zusammenschluss von rund 2.800 selbständigen Apotheken – eingeladen wurde, ein Restaurantkonzept zu entwickeln, erfand sie die Geschichte der Apothekerfamilie Silva: Sie beginnt mit Alfredo Silva, der um 1910 das palastartige Gebäude erbaut und seine Apotheke eröffnet hat. Sein Sohn erweiterte die Apotheke in den 1950er-/1960er-Jahren um ein großes Labor. Schließlich folgte der Enkel, musste aber in den 1990er-Jahren schließen. Aus dieser Phantasiegeschichte erklärt sich die bunte Mischung von Möbeln und Utensilien aus mehr als 80 Jahren. Wie bei allen neuen, noch nie gesehenen Ideen dauerte es eine Weile, bis das Restaurant-Konzept von den (auch pharmazeutischen und medizinischen) Gästen verstanden und wertgeschätzt wurde, inzwischen ist es jedoch in alle Ratgeber und Restaurant-Guides als eines der innovativsten aufgenommen.
So gestärkt und erfrischt geht es jetzt doch auf die andere Seite der Villa, in das Apothekenmuseum.
Portugiesische Pharmaziegeschichte unterscheidet sich von unserer vertrauten mitteleuropäischen Pharmaziegeschichte durch die Impulse, die aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum sowie aus Kolonialgebieten kamen.
Dazu kommt eine unterschiedliche landesspezifische Auswahl an Pflanzen (und Tieren), die für die Herstellung von Arzneimitteln herangezogen wird. Daher öffnet es uns Zugang zur portugiesischen Pharmaziegeschichte und zeigt uns die Herkunft von Arzneidrogen aus fernen Ländern, wie Bezoare des Stachelschweins, künstliche Bezoare (Lapis de Goa) oder die Chinarinde, auch Jesuitenrinde genannt.
Auf drei Stockwerken wird die Entwicklung von den Anfängen bis zu den neuesten Entdeckungen des späten 20. Jahrhunderts präsentiert. Einige der musealen Highlights sind beispielsweise rekonstruierte Innenräume einer portugiesischen Apotheke aus dem 18. Jahrhundert im Barockstil – inklusive Krokodil aus der Naturaliensammlung -, eine traditionelle chinesische Apotheke aus Makalu mit aufwendig geschnitzten Wanddekorationen, die Suche nach dem Stein der Weisen und den Versuchen der Jesuiten, ihn zu schaffen, Zauberfiguren, die für Heilrituale, Weihrauch und andere Zaubertränke verwendet wurden. Zeithistorische Exponate sind Geräte zur Herstellung von Medikamenten, Herbarien, Flaschen und Kartons, in denen Medikamente aufbewahrt wurden, Apothekengeräte aus verschiedenen Zeiträumen, Werkzeuge zum Dosieren und Wiegen von Zutaten und vieles mehr. Zu sehen sind auch Keuschheitsgürtel für Frauen und Männer, Beispiele der Kriegspharmazie/Frontapotheken und die Medikamentenausstattungen von Weltraummissionen.
Schließlich führt der Weg der BesucherInnen vorbei an einer grünen Jacke mit großen goldenen Knöpfen. Sie stammte von der bei uns weitgehend unbekannten HIV-Pionierin Maria Odette Santos Ferreira (1925 - 2018). In den tiefen Taschen „schmuggelte“ sie im September 1985 mit dem AIDS-Virus kontaminierte Reagenzgläser auf ihrem Flug von Lissabon nach Paris, wobei es auf die Erhaltung der Temperatur von 37 Grad ankam, um die Stabilität der Proben zu gewährleisten.
In ihrer Zusammenarbeit mit dem französischen Pasteur-Institut ab den 1980er-Jahren entwickelte sie Erkennungstechniken für das HIV-1 Lymphadenopathie-assoziierte Virus (LAV), einen der ätiologischen Erreger von HIV. Sie war für die Diagnose der ersten AIDS-Fälle in Portugal verantwortlich, einschließlich des Falles von António Variações, eines berühmten portugiesischen Sängers. In Zusammenarbeit mit den Nobelpreisträgern Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier gelangt ihr die Identifizierung eines neuen AIDS-Virus, HIV-2, wodurch vergleichende Studien zwischen HIV-1 und HIV-2 möglich wurden. Für ihre wissenschaftliche Arbeit erhielt sie vielen Ehrungen, wurde Koordinatorin des portugiesischen Nationalprogramms zur Bekämpfung von AIDS und Beraterin des AIDS-Programmes der WHO.
Die besondere Aufmerksamkeit des Lissaboner Apothekenmuseums für Ferreira rührt aus ihrer Lebensgeschichte. Sie stammte selbst aus einer Apothekerfamilie; aus politischen Gründen war ihr das Pharmaziestudium jedoch lange verwehrt geblieben. Als sie es endlich geschafft hatte, wurde sie zu einer Kämpferin für die Weiterentwicklung des Studiums, für die Aufwertung des Berufes und für den Zugang von Frauen – „sogar“ in die Riege der selbständigen Apothekenleiterinnen.
Rua Marechal Saldanha, 1
1249-069 Lissabon
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Metro Baixa-Chiado. Tram 28
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