„Glück“ im Lissaboner Apothekerhaus:

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie unsere Kellner

Wien - 02.08.2021, 17:45 Uhr


Wer im Lissaboner Stadtteil Santa Catarina vor der eindrucksvollen Villa aus dem 18. Jahrhundert mit seinen schmiedeeisenen Portalen, der Freitreppe und der großen Terrasse mit Blick auf den Fluss Tejo steht, muss sich entscheiden: Zuerst essen (und trinken) und anschließend ins Apothekenmuseum oder umgekehrt? Die Gefahr ist groß, solange im Restaurant Pharmacia der Starköchin Susana Felicidade sitzen zu bleiben, dass der Museumsbesuch auf ein andermal verschoben werden muss.

Zuerst schaut alles noch ganz unverdächtig aus: vor dem Essen einen Aperitif. Bitte die Getränkekarte. Was darf es denn sein? Man traut seinen Augen kaum: Antidot oder LSD? Antivirus oder Anticoagulant? Dieses kommt beispielsweise in einer Dosis von 105 Millilitern und enthält als aktive Substanzen Zubrowka Wodka und Ingwerbier, daneben noch Koriander, Stangensellerie und Ingwerscheiben. „Alle Aperitifs aus dem Laboratorium Felicidade sind verschreibungspflichtig; bei Unklarheiten bitte die Kellnerin oder den Kellner konsultieren.“

(Foto: Susanne Krejsa MacManus)

Die medizinisch verfasste Getränkekarte und die zu Trinkgläsern umfunktionierten ehemaligen Messbecher sind nicht die einzige Überraschung. Wer seinen Blick von seinem Drink hebt und über die Nachbartische schweifen lässt, hat ein Deja-vu-Erlebnis: Diese Formen, diese ganz typisch gebogenen Metallteile, diese Hocker … wo hat man das schon gesehen? Plötzlich dämmert es: Das sind doch Möbel aus alten Apotheken, Labors, Krankenzimmern, Untersuchungsräumen! Sie stammen tatsächlich aus Beständen des Apothekenmuseums, aber auch von Flohmärkten und Trödlern, manches ließ Susana Felicidade nach ihren Vorstellungen aus Einzelteilen neu zusammenbauen. Ebenso ist es mit dem Geschirr und sonstigen Utensilien: Das Besteck wird in metallenen Nierenschalen gebracht, Eiskübel sind weißgestrichene Erste-Hilfe-Kästen, Wasser kommt in großen Medizinflaschen auf den Tisch, die Suppe wird in Reagenzgläsern serviert. Ebenso ist es mit der Inneneinrichtung – die Vitrinen stammen geradewegs aus dem Labor; Eprouvetten, Bunsenbrenner und andere Geräte und Hilfsmittel aus der Apotheke stehen zwischen Geschirr, Salzstreuern, Shakern ... Plakate mit alter Arzneimittelwerbung an den Wänden, Medikamentenpackungen im ‚Giftschrank‘, Mikroskope, Untersuchungsstühle, Körperwaagen, alles holt die Besucher zurück in die Zeit, als viel Eigenproduktion in den Apotheken stattfand. Viele kleine Medizin-Symbole finden sich auch auf den Tapeten, die ebenso wie das Logo des Restaurants von der Designerin Cristiana Couceiro gestaltet wurden. In diesem Zusammenhang ist auch ein Gang auf die Toilette empfehlenswert, einfach den Pfeilen folgen: Den Weg weisen Bilder einer Krankenschwester mit Häubchen bzw. eines Apothekers im weißen Kittel – der aktuellen Situation angepasst mit Mundschutz!

Zum Abschluss nach all dem Essen und Schauen jetzt noch einen Digestif, um die Produktion von Magensaft zu fördern und die Verdauung zu erleichtern: vielleicht 65 Milliliter „Corticosteroid“? Dabei handelt es sich um einen Cocktail nach einem alten Rezept aus hausgemachtem Whiskey und rotem Wermuth über getrocknetem geräuchertem iberischem Schinken.

Die Geschichte der Apothekerfamilie Silva

Die Besitzerin Susana Felicidade stammt aus einer Familie von Küchenchefs und Restaurantbetreibern an der wilden Atlantik-Küste Portugals, deren Küche von nordafrikanischen und arabischen Rezepten beeinflusst wird. Als sie vor mehr als zehn Jahren von der portugiesischen Apothekervereinigung ANF – dem Zusammenschluss von rund 2.800 selbständigen Apotheken – eingeladen wurde, ein Restaurantkonzept zu entwickeln, erfand sie die Geschichte der Apothekerfamilie Silva: Sie beginnt mit Alfredo Silva, der um 1910 das palastartige Gebäude erbaut und seine Apotheke eröffnet hat. Sein Sohn erweiterte die Apotheke in den 1950er-/1960er-Jahren um ein großes Labor. Schließlich folgte der Enkel, musste aber in den 1990er-Jahren schließen. Aus dieser Phantasiegeschichte erklärt sich die bunte Mischung von Möbeln und Utensilien aus mehr als 80 Jahren. Wie bei allen neuen, noch nie gesehenen Ideen dauerte es eine Weile, bis das Restaurant-Konzept von den (auch pharmazeutischen und medizinischen) Gästen verstanden und wertgeschätzt wurde, inzwischen ist es jedoch in alle Ratgeber und Restaurant-Guides als eines der innovativsten aufgenommen.



Dr. phil. Susanne Krejsa MacManus, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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