100 Tage im Amt

Zambo: „Können keine Versicherung gegen politische Fehlentscheidungen anbieten“

Stuttgart - 12.08.2021, 09:15 Uhr

Zum 1. Mai übernahm Tatjana Zambo das Amt als Präsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg.(Foto: LAV Baden-Württemberg)

Zum 1. Mai übernahm Tatjana Zambo das Amt als Präsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg.(Foto: LAV Baden-Württemberg)


Zum 1. Mai übernahm Tatjana Zambo die Nachfolge von Fritz Becker und damit das Amt als Präsidentin des Landesapothekerverbands Baden-Württemberg. Im Interview mit der DAZ spricht sie anlässlich ihrer ersten 100 Tage im Amt über die bisherige Verbandsarbeit unter dem Eindruck der Corona-Pandemie, über die geplanten Modellvorhaben zur Grippeimpfung in Apotheken, über drängende Honorarfragen sowie über Risiken, denen sich die Mitglieder ausgesetzt fühlen.

Im Frühjahr 2021 endete beim Landesapothekerverband Baden-Württemberg (LAV) eine Ära: Nach mehr als 20 Jahren als Präsident gab Fritz Becker den Staffelstab an seine Nachfolgerin Tatjana Zambo weiter. Da dieser historische Wechsel jedoch mitten in der Corona-Pandemie stattfand, konnten Antrittsbesuche in der Landespolitik und bei anderen wichtigen Institutionen bisher nicht im gewohnten Maß durchgeführt werden. Außerdem fordert die Pandemie Zambo und ihre Vorstandskollegen auch nach wie vor in den eigenen Apotheken stark.

Gegenüber der DAZ erläutert die LAV-Präsidentin, welche Schwerpunkte die Verbandsarbeit derzeit hat und wie sie die Apothekerschaft in Baden-Württemberg für die Zukunft rüsten will – gerade im Hinblick auf die Einführung der E-Rezepte. Außerdem argumentiert sie gegen die Kritik, die Apothekerverbände hätten mehr für die Betroffenen der AvP-Pleite und der Hochwasserkatastrophe tun müssen.

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DAZ: Frau Zambo, Sie sind als neu gewählte Präsidentin des LAV auf Fritz Becker gefolgt, der fast 30 Jahre standespolitisch aktiv war, davon 20 Jahre auf Bundesebene. Welchen Ratschlag hat Ihnen Herr Becker mit auf Ihren Weg gegeben? 

Zambo: Fritz Becker hat mir viele Ratschläge mitgegeben. Der wichtigste ist, sich nie entmutigen zu lassen und stets für die Interessen der Apothekerinnen und Apotheker zu kämpfen. Egal, welche Rückschläge man in seiner Laufbahn erlebt: Es gilt immer wieder die Ärmel hochzukrempeln und für die eigenen Überzeugungen einzustehen. Allein das macht den Erfolg standespolitischer Arbeit aus. 

Welche Besonderheiten herrschen im Apothekenwesen von Baden-Württemberg? Was macht die Verbandsarbeit aus? 

Wir sind der zweitgrößte Berufsverband für Apotheker auf Landesebene. Dementsprechend blicken wir auf ein sehr vielschichtiges Themenspektrum, das wir im Interesse unserer Mitglieder bearbeiten. Dadurch beschäftigen wir auch die unterschiedlichsten Experten in unserer Geschäftsstelle, weil es mal um Digitalisierung, dann um Recht, ein anderes Mal um Retax- oder wirtschaftliche Fragestellungen geht. 

Das Bundesland Baden-Württemberg spielt auch im Bereich der AOKen eine bedeutende Rolle, da dieser Landesverband beispielsweise federführend bei der Ausschreibung der bundesweiten AOK-Rabattverträge agiert. Hat dies Einfluss auf die Arbeit des LAV? 

Die Zusammenarbeit mit der AOK Baden-Württemberg läuft grundsätzlich gut und wir können immer wieder im Sinne der AOK-Versicherten im Bundesland wichtige Vereinbarungen und Verträge schließen. Ich bin mir sicher, dass dies ein positives Signal nach außen ist. 

Mit der AOK Baden-Württemberg konnten Sie sich für die kommende Saison auch auf ein Modellvorhaben für Grippeimpfungen in Apotheken einigen. Andere Apothekerverbände starteten bereits ein Jahr zuvor. Weshalb die Verzögerung? 

Tatsächlich war es vonseiten der AOK eine zunächst zurückhaltende Befürwortung, abhängig davon, wie die Ärzteschaft zu diesen Pilotprojekten steht. Zum Glück konnten sich aber alle Beteiligten auf die Rahmenbedingungen einigen und haben vor allem die Dringlichkeit des Themas erkannt. Auch die Corona-Pandemie hatte im vergangenen Jahr zu einer Verzögerung der Praxisseminare geführt. Nun wird es aber endlich ab September in den Regionen Mannheim, Ostwürttemberg und Plochinger Kranz losgehen können. 

Weshalb fiel die Wahl ausgerechnet auf diese drei LAV-Regionen? 

Für die AOK und uns ist es sehr wichtig, dass die Modellvorhaben nicht nur dem Ausprobieren dienen, sondern einen echten Beitrag zur Durchimpfung der Bevölkerung leisten sollen. In den Regionen Mannheim, Ostwürttemberg und Plochinger Kranz blickt man auf eher geringe Impfraten und daher sollen die Apotheken hier mit dem niederschwelligen Impfangebot die Situation in der kommenden Saison verbessern. Deshalb wird es auch keine Deckelung der Anzahl an teilnehmenden Apotheken und einsetzbaren Impfdosen geben. 

„Es ist  schwierig zu evaluieren, welche Betriebe  ‚TI-ready‘ sind“

Welche Themen haben Sie darüber hinaus in den ersten 100 Tagen Ihrer Amtszeit bearbeitet? 

Das meiste hat uns natürlich die Corona-Pandemie vordiktiert: Wir haben dafür gesorgt, dass unsere Mitglieder in ihren Apotheken die Testverordnung bestmöglich umsetzen konnten. Die Versorgung der Hausarztpraxen mit den COVID-19-Impfstoffen war eine große Herausforderung. Und derzeit beschäftigt uns natürlich die Ausstellung der Impf- und Genesenenzertifikate über das Verbändeportal. Ein Ende ist nicht in Sicht, denn der Gesetzgeber bereitet schon die Corona-Maßnahmen für die kommenden Monate vor. Dazu muss man anmerken, dass wir im Präsidium und Vorstand natürlich nicht nur ehrenamtlich mit diesen Themen in Berührung kommen. Seit Beginn der Pandemie sind praktisch alle Inhaberinnen und Inhaber noch mehr gefordert in ihren eigenen Apotheken. Da bleibt nur noch weniger Zeit für weitere Aktivitäten darüber hinaus. 

Und abseits der Pandemie: Welches Thema hat aktuell die höchste Priorität für Sie im Apothekerverband? 

Sicher die Einführung des E-Rezepts und alles, was mit dem Anschluss der Apotheken an die Telematikinfrastruktur zusammenhängt. Wir möchten unsere Mitglieder bei diesem Prozess begleiten und das ist zum Teil eine sehr individuelle Angelegenheit, denn es treten die unterschiedlichsten Fragen in der Geschäftsstelle auf. Nach wie vor gibt es vereinzelt Apotheken, die erst jetzt beginnen sich mit der Materie zu beschäftigen. Es ist auch schwierig zu evaluieren, welche Betriebe jetzt tatsächlich „TI-ready“ sind und bei welchen es noch hapert. In dem einen Fall müssen noch die elektronischen Zugangskarten ausgestellt werden, im anderen Fall fehlt noch der Konnektor. Insgesamt liegen wir aber im Bundesdurchschnitt. 

Die Honorierung ist ja eines der originären Arbeitsfelder eines Verbands und inzwischen hat die Apothekenvergütung durchaus mehrere Gesichter: Einerseits existiert das Packungshonorar, hinzu kommen die fondsbasierten Honorierungen der Nacht- und Notdienste, dann wurden relativ spontan diverse Corona-Maßnahmen vergütet und schließlich hat das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) den Weg zu den honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen geebnet. Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf? 

Die Apothekenvergütung muss stets weiterentwickelt werden und dazu gehört vor allem, dass sie auch den tatsächlichen Kosten immer wieder angepasst wird. Dazu zählen wir nach wie vor das Packungshonorar, das seit Jahren keine Dynamisierung erfahren hat. Es reicht einfach nicht aus. Und die rund 150 Millionen Euro für die pharmazeutischen Dienstleistungen sind viel zu niedrig kalkuliert. Darin wird schon das bisherige Leistungsspektrum nicht gewürdigt. Wie sollen die Apotheken unter diesen Voraussetzungen neue Tätigkeiten erbringen? 
 

„ Wir schaffen die Grundlage, dass die Apotheken ihren Versorgungsauftrag erfüllen können“

Es gibt ja Stimmen, wie zum Beispiel die vom Nürtinger CDU-Bundestagsabgeordneten Michael Hennrich, die meinen, dass eine Regionalisierung der pharmazeutischen Dienstleistungen dem System besser getan hätte. Teilen Sie diese Einschätzung? 

Nein. Die pharmazeutischen Dienstleistungen sollen von allen Apotheken erbracht werden und allen Versicherten in Deutschland zugutekommen. Übrigens nicht nur den gesetzlich Versicherten, sondern auch den Mitgliedern der PKV. Eine Regionalisierung würde das System ungerecht werden lassen. Es könnte einerseits zur Über- und andererseits zur Unterversorgung kommen. Daher plädiere ich stark dafür, dass sich in dieser Angelegenheit die Verbände auf Bundesebene einigen, auf die wir ja entsprechend auch Einfluss haben können. 

Die vergangenen eineinhalb Jahre haben auch verdeutlicht, mit welchen Risiken Unternehmen kalkulieren müssen – nicht nur durch die Corona-Pandemie. Im Fall der Apotheken gleicht die Insolvenz des Rechenzentrums AvP einer Zäsur. Auch die Hochwasserkatastrophe hat zuletzt gezeigt, wie schnell Existenzen zerbrechen können. Hinzu kommen Risiken im Bereich der Digitalisierung. Inwiefern unterstützen Sie Ihre Mitglieder bei der Prävention bzw. Bewältigung dieser Themen? 

Bei allem Verständnis für die prekäre Lage, in der sich die AvP- und Hochwassergeschädigten Kolleginnen und Kollegen befinden, müssen wir immer wieder realisieren, dass es ein unternehmerisches Risiko gibt, gegen das der LAV nicht wirken kann. Das müssen wir als Unternehmerinnen und Unternehmer selbst in die Hand nehmen. Wir können als Verband auch keine Versicherung gegen politische Fehlentscheidungen anbieten. Was wir aber tun, ist die Grundlage zu schaffen, dass die Apotheken ihren Versorgungsauftrag erfüllen können. Hierzu gehören wirtschaftliche Aspekte sowie die Verteidigung der Apothekenpflicht und des Fremdbesitzverbots. Und um die Vorteile der Digitalisierung, beispielsweise der E-Rezepte, zu genießen, muss man sich auch mit dem Thema Cyberangriffe auseinandersetzen. Dazu bieten wir unseren Mitgliedern entsprechende Beratungsangebote an, die wir auch noch weiterentwickeln werden. 

Frau Zambo, vielen Dank für das Gespräch. 



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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1 Kommentar

Unternehmerisches Risiko

von Nikolaus Guttenberger am 13.08.2021 um 15:27 Uhr

Bei Avp von „unternehmerischen Risiko“ zu sprechen, ist eine absolute Unverschämtheit. Ich empfehle der Dame den betreffenden Wikipedia Artikel dazu. Dass die Abrechnungsgelder zunächst von den Banken für eigene Fehlentscheidungen teilweise geklaut, und dann bei white & case versumpfen, hat absolut NICHTS mit betriebswirtschaftlichen Entscheidungen zu tun, die ein Apothekenleiter fällen könnte. Einen Totalverust bildet unser Honorar auch nirgendwo ab

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