Bundestagswahl 2021 – Teil 5: AfD

„Bei der Arzneimittelproduktion auf Europa zu setzen, ist blauäugig"

Stuttgart - 16.08.2021, 07:00 Uhr

Der Bundestagsabgeordnete Jörg Schneider, der seinen Wahlkreis in Gelsenkirchen hat, sitzt seit vier Jahren für die AfD im Gesundheitsausschuss. (c / Foto: IMAGO / Christian Spicker)

Der Bundestagsabgeordnete Jörg Schneider, der seinen Wahlkreis in Gelsenkirchen hat, sitzt seit vier Jahren für die AfD im Gesundheitsausschuss. (c / Foto: IMAGO / Christian Spicker)


„PTA müssen lernen und bereit sein, sich Wissen anzueignen“

Angesprochen auf die Zukunftsfähigkeit der Branche sieht Schneider vor allem bei den PTA Nachholbedarf. Hier gebe es Nachwuchsprobleme, weil der Job nicht attraktiv genug sei – wie in vielen Gesundheitsberufen, erklärt er. Schneider ist der Auffassung, dass man künftig an einer Akademisierung des PTA-Berufs nicht vorbei kommt. „Wenn Apotheken von reinen Einzelhändlern zu Gesundheitsdienstleistern werden sollen, reicht eine Ausbildung nicht. Dann muss man bei den PTA bessere Voraussetzungen schaffen, dass das umgesetzt werden kann. Sie müssen lernen und bereit sein, sich Wissen anzueignen. Der Trend zur Individualisierung in der Arzneimitteltherapie trägt dazu bei, dass es um weit mehr geht, als nur Packungen herauszureichen“, erklärt er. Und weiter: „Wir müssen weg davon, dass der Apotheker Verkäuferinnen um sich schart, das ist ein altes Bild. Wenn die Apotheken zusätzliche Aufgaben bekommen, wie Impfen oder Testen, müssen wir uns davon verabschieden.“ 

In Schneiders Augen braucht es eine grundlegende Reform der PTA-Ausbildung. Wenn weiterhin immer nur wenig nachgebessert werde, drohe eine immer größere Lücke zu den Approbierten. Die Apotheker sieht Schneider nämlich gut gerüstet für zusätzliche Aufgaben: „Die haben im Gegensatz zu den PTA durch ihre akademische Ausbildung gelernt, sich Wissen anzueignen“, erklärt er. Und auch beim Studium sieht er keinen übermäßigen Handlungsbedarf. Durch die Verzahnung von Forschung und Lehre gehe die universitäre Ausbildung mit der Zeit. Wenn PTA – entsprechend qualifiziert – zusätzliche Aufgaben wahrnehmen, müsse das natürlich mit einem besseren Gehalt einhergehen, was wiederum über zusätzliche Dienstleistungen in den Apotheken zu erwirtschaften sei.

Weniger Selbstständige durch „zunehmende Fixierung auf den Sozialstaat“

Die Nachwuchssorgen vieler Inhaber:innen lassen sich in Schneiders Augen nicht mit mehr Geld im System lösen. Selbständige Apotheker:innen verdienten aus Sicht eines Berufsanfängers immer noch sehr gut. Wegen ein paar Tausend Euro mehr mache sich keiner selbständig, davon ist Schneider überzeugt. Er sieht zwar die eine oder andere Stellschraube, mit der man kurzfristig ein paar Dinge ändern könnte, aber die grundsätzlich fehlende Bereitschaft, in die Selbständigkeit zu gehen, ist damit laut Schneider nicht zu beheben.

In den Nachwuchsproblemen der Apotheker zeige sich nämlich ein gesamtgesellschaftliches Problem, erklärt er. Dass die Bereitschaft sich selbständig zu machen, zurückgegangen ist, liegt seiner Meinung nach, an einer zunehmenden Fixierung auf den Sozialstaat, der alles regeln soll. „Die Menschen wollen alle Freiheiten haben, aber keine Verantwortung übernehmen“, erklärt der Abgeordnete. „Wir müssen wieder dahin kommen, dass Menschen Verantwortung für sich selber übernehmen. Sie können frei leben – das ist ein wesentliches Element unserer Gesellschaft und Grundordnung –, aber sie müssen dann auch mit den Konsequenzen ihres Handelns leben. Die Politik hat aber in den letzten Jahrzehnten die Menschen von dieser Verantwortung entbunden. Da müssen wir gegensteuern. Dann werden auch Apotheker wieder einfacher Nachfolger finden.“

„Größere Filialverbünde oder Ketten sind aktuell keine Lösung“

Größere Filialverbünde oder gar Ketten sind für Schneider zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung für das Problem der Nachfolgersuche: „Konzernstrukturen mit abhängigen Beschäftigungen würden an den zentralen Elementen des Apothekerdaseins rütteln“, erklärt er. „Wenn man irgendwann an den Punkt kommt, dass die Versorgung nicht mehr gesichert ist, müssen wir vielleicht auch über sowas nachdenken. Im Moment sehe ich aber noch nicht, dass wir alles über den Haufen werfen müssen. Das muss aber nicht für alle Ewigkeit so bleiben.“



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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7 Kommentare

AZ-Mittelproduktion nationalisieren?

von Pharmaziestudent am 20.08.2021 um 12:42 Uhr

Wie stellt er sich die Nationalisierung denn vor? Denkt er da an so kleine Medikamentmanufakturen die dann in Niederammerau oder so am morgen Ramipril und am Abend dann Haloperidol herstellen?

Ich find ja auch, dass die APS-Produktion wieder mehr nach Europa muss, aber die Vorstellung, Deutschland könnte für sich alleine annähernd eine Autonomie erreichen, liegt jenseits von Gut und Böse. Von der Medikamentenvielfalt, über die Anzahl der PatientInnen, zu den verschiedensten Lizenzmodellen einfach utopisch.

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AW: AZ-Mittelproduktion nationalisieren

von Gunnar WITZMANN am 21.08.2021 um 9:03 Uhr

Macron hat Sanofi aufgefordert sie Produktion wichtiger Arzneimittel nach Frankreich zurückzuholen.
Als EU-Ratsvorsitzende hat Merkel geforderet, die Produktion wichtiger Arzneimittel nach Europa und Deutschland zurückzuholen.
Ist Ihnen nicht bekannt, daß Deutschland mal als "Apotheke der Welt" bezeichnet wurde ? Die Produktionskapazitäten Deutschlands können Sie sehr leicht selbst googlen. Und was Deutschland kann, sehen Sie doch aktuell , wie schnell der Aufbau von Produktionskapazitäten bei Impfstoffen geht.Ideologische Verblendung ist bei Sachfragen eben nicht sehr hilfreich. Für Sie ein kleiner Hinweis.

AW: AZ-Mittelproduktion nationalisieren

von Pharmaziestudent am 21.08.2021 um 9:54 Uhr

Die Produktion wichtiger Arzneimittel nach Europa zurückzuholen sehe ich auch als einen wichtigen Schritt den wir gehen sollten.

Und ja, ich weiß dass Deutschland durchaus einst so genannt wurde. Das ist allerdings jetzt auch schon gut 70 Jahre her, dass dieser Titel an Beutung verlor, und seit ungefähr 40 Jahren hat Deutschland diesen Titel sicher nicht mehr inne.

Seitdem ist viel passiert in der Pharmazie. Die Zahl an Stoffen, Applikationsformen und PatientInnen ist zu stark gestiegen, als das man auf eine breite National-autarke Versorgung zurückkehren könnte.
Das Ärzteblatt schätzte 1980 die Zahl der zugelassenen Medikamente in der Bundesrepublik auf 26.000, im Jahr 2021 listet Statista 100.000 für Deutschland. Also alleine da eine Vervierfachung.
Die Zahl der medikamentös zu behandelnden Menschen 1980 abzuschätzen ist schwieriger. Aber wir können anhand der Altersverschiebung, dem Wachstum der Bevölkerung von 79 auf 83 Millionen und der umfassenderen Behandlung von Krankheiten durchaus auch da einen massiven Anstieg vermuten.

Aus dieser Kombination aus Vielfalt und Masse ziehe ich meine Idee, das Deutschland keine ausreichende, autarke Versorgung aufstellen kann.

Europäisch könnte dies möglich sein. Auch dort werden wir sicherlich nicht für jedes Medikament Lösungen finden, und müssen wir ja auch nicht. Vielleicht könnte Deutschland Kapazitäten aufbauen, um zumindest die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der WHO zu decken (und das ist ein sehr großes Vielleicht, siehe Medikamente wie Paclitaxel), aber wenn wir annehmen das dies jedes Land für sich machen wollen würde, hätten wir da auf jeden Fall Länder, die das nicht schaffen würde, und es wäre höchst ineffektiv.

AW: AZ-Mittelproduktion nationalisieren

von Gunnar WITZMANN am 22.08.2021 um 11:46 Uhr

Retrospektiv haben Sie recht. Wenn aber die Volkswirtschaft die Gesundheitswirtschaft als 6. Kontradieff bezeichnet, dann muss man perspektivisich aich anschauen, wie Deutschland für die Zukunft aufgestellt ist. Die Gesundheitswirtschaft ist in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber. Mit der Medizintechnik ist Deutschland auf dem Weltmarkt gut aufgestellt. Aber wie sieht es mit der Grundversorgung mit den unverzichtbaren Arzneimitteln aus, wieviele Biologicals haben deutsche Firmen im Vergleich zu UK/US und anderen ausländischen Firmen auf den Markt gebracht und für die nächsten drei Jahre in der Pipeline ? Da sehen die Daten nicht rosig aus und da werden die Preise der Kostentreiber die Politik noch beschäftigen. Von amerikanischen Kollegen habe ich einen Button bekommen, der auch deutschen Kollegen demnächst gut stünde; "Go in Politics or leave Pharmacy" Was das PBM nach amerikanischem Vorbild,für die deutschen Apotheken unter dem Begriff Rabattverträge, bedeutet, ist nur ein kleiner Vorgeschmack.

AW: AZ-Mittelproduktion nationalisieren

von Pharmaziestudent am 01.09.2021 um 15:51 Uhr

Erstmal Klugscheißermoment: Der Kerl hieß Kondratjew.

Und das in Deutschland Innovationsflaute herrscht, bestreiten glaube ich eher wenige. Und dass immer weiter steigende Arzneimittelpreise ein Problem sind, sehen wir auch alle denke ich gleich. Aber der Implikation dass eine Förderung der (generischen) Produktion spezifisch in Deutschland dessen Heilsbringer sein soll, kann ich nicht zustimmen. Was sollte deutsche Unternehmen davon abhalten, ihre Preise mit dem amerikanischen Markt abzustimmen? Warum sollte ein deutsches Unternehmen sagen "Aus Liebe zu Deutschland unterbieten wir unsere ausländischen Kollegen"? Wenn man jetzt wieder sagt, deutsche Unternehmen dürfen nicht über dieser Grenze ihr Produkt verkaufen, wird der Innovationsstandort Deutschland sicher nicht wachsen.

Und wie die Generikaproduktion da jetzt mit reinspielen soll, versteh ich sowieso nicht. Auch mit einem wirtschaftlichen Aufschwung im Gesundheitssektor (welcher tendenziell eh mit verantwortlich ist, dass die Preise steigen) wird die Machbarkeit dieses Gedanken nicht realistischer. Es ist ja nicht so, dass Ressourcen für ein Projekt dieser Größenordnung einfach irgendwo ungenutzt rumliegen. An anderer Stelle müsste ein Sektor (erhebliche) Einbußen machen, dann wird dort wieder geweint. Auch darum macht eine europäische Aufgabenverteilung Sinn.

Am Ende des Tages sind aber weder Sie noch ich denke ich technische Chemiker mit Industriespezialisierung, welchen ich noch am ehesten zutrauen würde, die realistische Machbarkeit eines solchen Projektes einzuschätzen.

Interview Schneider NsAFD

von Mann einer PTA am 18.08.2021 um 13:35 Uhr

Schneider weiß gar nichts über die PTA-Ausbildung und zeigt wieder deutlich wie informiert er und seine blaubraunen Kameraden im Bundestag sind. Diese Partei tut so überheblich und hat als stärkste Kraft der Opposition, außer mit Abwesenheit, nirgends geglänzt. Armutszeugnis

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AW: Interview Schneider NsAFD

von Gunnar WITZMANN am 21.08.2021 um 8:49 Uhr

Mit Ihren ideologisch vernebelten Farbspielen verstellen Sie sich den Blick auf die Arbeit der MdB. Glauben Sie tatsächlich, daß ein MdB sich den ganzen Tag mit der PTA-Ausbildung beschäftigt ? Nicht einmal die gerinbgste Absicht in der Sache zu diskutieren , ist Ihrem Beitrag zu entnehmen.

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