Ein Jahr nach Symptombeginn

Die Hälfte der COVID-19-Patienten hat noch Beschwerden

Stuttgart - 13.09.2021, 15:15 Uhr

Müdigkeit, Erschöpfung, Dyspnoe und Depressionen: Auch ein Jahr nach COVID-19-Diagnose leidet die Hälfte der Patient:innen noch an einschränkenden Symptomen. (Foto: kieferpix / AdobeStock)

Müdigkeit, Erschöpfung, Dyspnoe und Depressionen: Auch ein Jahr nach COVID-19-Diagnose leidet die Hälfte der Patient:innen noch an einschränkenden Symptomen. (Foto: kieferpix / AdobeStock)


Was bleibt von einer COVID-19-Erkrankung zurück? Selbst ein Jahr nach Symptombeginn beeinträchtigen die Folgen einer Corona-Infektion noch die Hälfte der Patient:innen – am häufigsten berichten sie über Müdigkeit und Muskelschwäche, aber auch Dyspnoe. Die meisten Symptome haben sich zwar gebessert, doch leiden ein Jahr nach Diagnose mehr Patient:innen an Depressionen als noch sechs Monate zuvor.

Noch immer ist das ganze Spektrum der langfristigen gesundheitlichen Folgen von COVID-19 unklar. Erholen sich die Patient:innen vollständig – wenn ja: wann? Oder bleiben Einschränkungen der Lungenfunktion, der Belastbarkeit und der Arbeitsleistung zurück – vielleicht auch psychische Folgen? Diesen Fragen näherte sich ein Team von chinesischen Wissenschaftler:innen. Sie verglichen die Langzeitfolgen von COVID-19 sechs und zwölf Monate nach Symptombeginn bei überlebenden Patient:innen, die wegen COVID-19 im Jon Yin-tan Krankenhaus in Wuhan (China) behandelt worden waren. Die Ergebnisse ihrer Studie gibt es nachzulesen im Fachjournal „The Lancet“ („1-year outcomes in hospital survivors with COVID-19: a longitudinal cohort study”).

Die Studie

Von den 2.469 Patient:innen, die zwischen dem 7. Januar und dem 29. Mai nach COVID-19-Erkrankung das Krankenhaus in Wuhan verließen, werteten die Wissenschaftler:innen schließlich die Daten von 1.276 Patient:innen aus – ausgeschlossen wurden Patient:innen, die in Pflegeheimen lebten, die an Demenz, psychischen oder Knochen- und Gelenkerkrankungen litten oder immobilisiert waren. Auch flossen die Daten von COVID-19-Patient:innen, die zwischen der Sechs- und Zwölf-Monate-Auswertung verstarben, nicht in die Abschlussanalyse ein. Etwa jeder vierte Patient (318) benötigte während des Klinikaufenthalts keinen zusätzlichen Sauerstoff, rund zwei Drittel (864) der Patient:innen waren auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen und knapp jeder 14. Patient (94) musste nicht invasiv (7 Prozent, 86) oder invasiv (1 Prozent, 8) beatmet werden. Die Patient:innen waren im Mittel 59 Jahre alt, 53 Prozent (681) waren männlich, 47 Prozent (595) weiblich.

Um zu bewerten, welche Beschwerden die Menschen möglicherweise weiterhin haben, befragten und untersuchten die Wissenschaftler:innen die Patient:innen ausführlich. Diese mussten zusätzlich diverse Fragebögen ausfüllen, unter anderem zu Atemnot und Lebensqualität, und mussten einen sechsminütigen Gehtest absolvieren.

Nach einem Jahr besser als nach sechs Monaten

Die wichtigsten Botschaften sind wohl: Auch ein Jahr nach der SARS-CoV-2-Infektion leidet ein Großteil der Patient:innen weiterhin an Symptomen und Beschwerden, wenngleich sich die meisten – verglichen mit dem Status nach sechs Monate – auch verbessert haben. So berichten zwei von drei ehemals Infizierten (68 Prozent) über mindestens ein Folgesymptom sechs Monate nach Beginn der Erkrankung, nach zwölf Monaten sank dieser Anteil auf jeden zweiten (49 Prozent). Diese Verbesserung konnte unabhängig von der Schwere der COVID-19-Erkrankung beobachtet werden. Doch was schränkt die Menschen auch weiterhin ein?

Müdigkeit und Muskelschwäche

Am häufigsten berichten die Patient:innen über Müdigkeit und Muskelschwäche, und das sowohl nach sechs (52 Prozent) wie auch nach zwölf Monaten (20 Prozent), wenngleich auch hier eine Verbesserung beobachtet wird. Auch Geruchs- (11 Prozent vs. 4 Prozent) und Geschmacksstörungen (7 Prozent vs. 3 Prozent), Schlafstörungen (27 Prozent vs. 17 Prozent) und Haarausfall (22 Prozent vs. 11 Prozent) besserten sich bei den Patient:innen in der Studie. Beim Sechs-Minuten-Gehtest lagen sechs Monate nach Infektion 14 Prozent unterhalb des Normbereichs, nach zwölf Monaten waren es mit 12 Prozent signifikant weniger.

Mehr Depressionen und Atemnot

Allerdings gibt es auch Symptome, die sich im Laufe der Zeit verschlechterten: Es leiden zwölf Monate nach Symptombeginn mehr Menschen an Atemnot (30 Prozent vs. 26 Prozent), Angststörungen und Depressionen (26 Prozent vs. 3 Prozent) als sechs Monate zuvor, was die Studienautor:innen als „besorgniserregend“ einordnen. Die psychischen Symptome nach COVID-19 könnten zwar eine direkte Auswirkung der Infektion sein – zum Beispiel durch eine abweichende Immunreaktion oder Hyperreaktion des Immunsystems –, doch könnten sie auch indirekte Folge von verringerten sozialen Kontakten, Einsamkeit und der nicht vollständig wiederhergestellten Gesundheit sein, räumen die Wissenschaftler:innen ein.

88 Prozent arbeiten wieder in früherem Beruf

88 Prozent der COVID-19-Patient:innen arbeitet ein Jahr nach Erkrankung wieder im früheren Beruf, davon drei Viertel (76 Prozent) auf dem gleichen Leistungsniveau. Von den 12 Prozent, die ihren Vor-COVD-19-Job nicht wieder aufnahmen, begründet ein Drittel (32 Prozent) dies mit einer eingeschränkten körperlichen Funktion (die restlichen Patienten wollten nicht wieder in dem Job arbeiten, wurden arbeitslos oder nannten andere Gründe).

Mehr Schmerzen und geringere Lebensqualität als Nicht-Infizierte

Zudem untersuchten die Wissenschaftler:innen nicht nur, wie sich der Gesundheitszustand der COVID-19-Patient:innen innerhalb eines Jahres nach Symptombeginn veränderte, sie verglichen die Patient:innen auch mit Menschen, die nicht mit SARS-CoV-2 infiziert gewesen waren. Es zeigten sich deutliche Unterschiede: So haben die COVID-19-Patient:innen deutlich mehr Probleme mit der Mobilität, mit Schmerzen oder Unwohlsein, Angst und Depressionen und stufen ihre Lebensqualität schlechter ein als die Kontrollgruppe. Auch hinsichtlich der abgefragten Symptome unterscheiden sich die ehemals Infizierten von den Nicht-Infizierten: 66 Prozent der COVID-19-Patient:innen beschreiben mindestens ein vorherrschendes Symptom, in der Kontrollgruppe liegt dieser Anteil bei 33 Prozent, also der Hälfte.

Lungendiffusionsstörungen auch nach einem Jahr

Die Wissenschaftler:innen beobachteten außerdem, dass vor allem Patient:innen mit schwerem und teilweise beatmungspflichtigem COVID-19 nach zwölf Monaten ein höheres Risiko für Diffusionsstörungen der Lunge – was auf Epithelschäden in der Lunge oder auf interstitielle oder pulmonale Gefäßanomalien zurückzuführen sein könnte – zeigen, als Patient:innen, die während der Akutphase der Erkrankung keinen Sauerstoff benötigten. Je nach Schweregrade der COVID-19-Erkrankung ist die Lungendiffusion bei 23 Prozent der Patient:innen ohne zusätzlichen Sauerstoff während der Akutphase der Erkrankung noch immer eingeschränkt, bei 31 Prozent der Patient:innen, die auf Sauerstoff angewiesen waren, und bei über der Hälfte der Patient:innen (54 Prozent), die nicht invasiv oder invasiv beatmet werden mussten. Jedoch unterscheiden sich die Patient:innen nicht, was Müdigkeit und Muskelschwäche angeht. In der letzten Gruppe verbesserte sich jedoch bei einem Teil der Patient:innen die Gesamtlungenkapazität: Der Anteil der Patient:innen, deren Gesamtlungenkapazität unter 80 Prozent des Referenzwerts liegt, sank von 39 Prozent nach sechs Monaten auf 29 Prozent nach zwölf Monaten, doch zeigen 76 Prozent dieser Patient:innen im CT-Bild immer noch SARS-CoV-2-typische Milchglasinfiltrate der Lunge.

Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Unterschiede scheint es den Ergebnissen der Studie zufolge zwischen Männern und Frauen zu geben: Frauen entwickelten mit höherer Wahrscheinlichkeit Angststörungen, Depressionen, Diffusionsstörungen der Lunge oder leiden an Müdigkeit oder Muskelschwäche. Letztere ließen sich offenbar durch eine intravenöse Immunglobulintherapie in der Akutphase der Erkrankung verringern.

Das Fazit: COVID-19 ist nach einem Jahr nicht „wieder gut“

Innerhalb von einem Jahr nach der akuten Infektion haben die meisten Krankenhausüberlebenden mit COVID-19 sich körperlich und funktionell gut erholt und kehren zu ihrer Arbeit und ihrem Leben zurück. Dennoch ist ihr aktueller Gesundheitszustand schlechter als in der nicht infizierten Kontrollgruppe. Eine beeinträchtigte Lungendiffusion ebenso wie radiologische Auffälligkeiten sind auch zwölf Monate nach Infektion bei schwerkranken Patient:innen häufig.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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