Vorwurf der Steuerhinterziehung

Prozess gegen Ex-AvP-Chef Wettstein zieht sich

Düsseldorf - 20.09.2021, 17:00 Uhr

Vor dem Landgericht Düsseldorf wird gerade geklärt, inwieweit sich Ex-AvP-Chef Mathias Wettstein der Steuerhinterziehung strafbar gemacht hat. (c / Foto: IMAGO / Michael Gstettenbauer)

Vor dem Landgericht Düsseldorf wird gerade geklärt, inwieweit sich Ex-AvP-Chef Mathias Wettstein der Steuerhinterziehung strafbar gemacht hat. (c / Foto: IMAGO / Michael Gstettenbauer)


Der ehemalige Vorstandsvorsitzende des insolventen Apothekenrechenzentrums AvP, Mathias Wettstein, muss weiter auf sein Urteil warten. Seit Mai sitzt er in Untersuchungshaft, seit Ende August muss er sich vor dem Landgericht Düsseldorf verantworten. In dem Strafprozess geht es allerdings ausschließlich um die Steuerdelikte Wettsteins und nicht primär um die Zahlungsunfähigkeit von AvP. Am heutigen Montag wurde die Beweisaufnahme vor Gericht fortgesetzt – zu einer Urteilsverkündung kam es jedoch nicht. 

Seit Ende August läuft vor dem Landgericht Düsseldorf das Gerichtsverfahren gegen Mathias Wettstein, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des insolventen Apothekenrechenzentrums AvP. Wie bereits berichtet, ermittelt seit Anfang des Jahres die Schwerpunktabteilung für Wirtschaftsstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf gegen fünf ehemalige Führungskräfte des privaten Rechenzentrums. Es geht unter anderem um den Verdacht auf Insolvenzverschleppung, Bilanzfälschung, Urkundenfälschung, Betrug, Bankrott sowie Untreue. Während die Ermittlungen gegen die übrigen Personen offenbar andauern, startete der Prozess gegen Wettstein bereits am 24. August 2021. Seit Mitte Mai sitzt er in Untersuchungshaft. Doch vor dem Landgericht Düsseldorf geht es aktuell „nur“ um Steuerhinterziehung und nicht um die Vorwürfe im direkten Zusammenhang mit den Geschehnissen, die zur Zahlungsunfähigkeit des Rechenzentrums AvP Anfang September 2020 geführt haben.

Dem Ex-AvP-Manager wird vielmehr vorgeworfen, von 2012 bis Ende Februar 2020 bei seinen Einkommensteuerbescheiden eine zu geringe Steuer festgesetzt zu haben – dahinter sollen verdeckte Gewinnausschüttungen stecken, die nicht gemeldet wurden. Es geht nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft um rund 8,8 Millionen Euro, die nicht gezahlt wurden. Wettstein hatte selbst auf den Sachverhalt hingewiesen und ihn geschildert – allerdings kam er auf einen weit geringeren Fehlbetrag als die Staatsanwaltschaft.

Am heutigen vierten Verhandlungstag wurde deutlich, wie komplex der Sachverhalt ist. Ein Mitarbeiter des Finanzamts Düsseldorf Nord, der als Zeuge geladen war, brachte es mit seiner Einschätzung auf den Punkt, dass die Höhe und Vielfalt der Wettstein-Einkünfte auch in der eigenen Behörde für besondere Situationen gesorgt hätten. Allein zwischen 2016 und 2019 soll Wettstein 13 Millionen Euro für die private Lebensführung aufgewendet haben. Dazu gehörte vor allem die Finanzierung der Fliegerei als Hobby – mit eigenem Flugzeug und Firma. Doch Wettstein soll Gelder, die er mutmaßlich aus verdeckten und nicht angezeigten Gewinnausschüttungen zog, auch in weitere Unternehmen und Immobilien investiert haben. Seine zunächst auf 15 Millionen Euro geschätzte Privatvilla konnte inzwischen mithilfe eines Maklers für rund 7,8 Millionen Euro veräußert werden.

Da die Höhe einer Strafe am Ende des Steuerprozesses maßgeblich davon abhängt, ob der hinterzogene Betrag zurückgezahlt werden kann, versucht Wettstein derzeit unter Hochdruck, sein Vermögen zu liquidieren. Um seine Unternehmen zu stabilisieren, hatte er jedoch unmittelbar nach Bekanntwerden der AvP-Pleite im vergangenen Jahr damit begonnen, Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern zu tilgen. In dem aktuellen Verfahren haben sich die Prioritäten aber geändert: Nun geht es primär um die Begleichung der Steuerschuld.

Weitere Zeugen sollen angehört werden

Laut groben Schätzungen eines Steuerberaters, der am heutigen Montag ebenfalls als Zeuge auftrat, könnte für Wettstein nach Begleichung der Steuerschuld und Befriedigung von Gläubigerforderungen durchaus noch Geld übrigbleiben. Allerdings sind in dieser Kalkulation nicht die Forderungen einberechnet, die AvP-Insolvenzverwalter Jan-Philipp Hoos aufgestellt hat: Dieser beziffert die Verbindlichkeiten des Rechenzentrums bekanntlich auf 593,8 Millionen Euro. In diesen Betrag fließen vor allem die offenen Forderungen der etwa 2.900 öffentlichen Apotheken ein – also die fehlenden Abrechnungsgelder aus dem August 2020. Zum Gläubigerkreis zählen darüber hinaus aber auch Krankenhausapotheken und sonstige Leistungserbringer. Insgesamt soll es sich um rund 5.000 Gläubiger handeln.

Manch einer mag bereits diesen Monat mit einer Urteilsverkündung gerechnet haben. Doch die Frage, inwiefern Wettstein tatsächlich Steuerhinterziehung vorgeworfen werden kann, muss weiter untersucht werden – und dazu will das Gericht noch weitere Zeugen hören. Kompliziert wird es nämlich bei der Schuldfrage bezüglich der Steuererklärung für 2011, die Wettstein erst drei Jahre später abgegeben hatte.

Daher drehte sich der heutige Verhandlungstag vor allem um den sogenannten 95-Prozent-Zeitpunkt. Die Vollendung der Steuerhinterziehung tritt nämlich erst dann ein, wenn im jeweiligen Veranlagungsbezirk des Finanzamts 95 Prozent der Veranlagungsarbeit abgeschlossen wurde. Hat das Finanzamt weniger als 95 Prozent der Veranlagungsarbeit erledigt, liegt in der Regel eine versuchte Steuerhinterziehung vor. Bei mehr als 95 Prozent der Veranlagungsarbeit spricht man dann von einer Vollendung der Tat.

Außerdem hatte Wettstein beim zuständigen Finanzamt Düsseldorf Nord um Fristverlängerung wegen Beraterwechsel gebeten und 2014 dann die Steuererklärungen aus den drei Vorjahren zusammen eingereicht.

Um diese Frage besser zu klären, wurden heute drei weitere Verhandlungstage bis Anfang November anberaumt.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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