Mehr apothekenbasierte Dienstleistungen

Irische Apotheker nehmen ihre Regierung in die Pflicht

Remagen - 29.09.2021, 10:45 Uhr

Die Irish Pharmacy Union (IPU) fordert einen beschleunigten Ausbau der Apothekendienste. (x / Screenshot: ipu.ie / DAZ)

Die Irish Pharmacy Union (IPU) fordert einen beschleunigten Ausbau der Apothekendienste. (x / Screenshot: ipu.ie / DAZ)


In vielen Ländern haben sich die Apotheker eine Erweiterung ihrer Kompetenzen auf die Fahnen geschrieben, so auch in Irland. Gute Argumente dafür finden sie mit ihrer exzellenten Performance in der Pandemie und in dem guten Beispiel, mit dem der Nachbar Großbritannien diesbezüglich vorangeht. Aber auch bei ihrer Regierung heißt es offenbar „dicke Bretter bohren“. Die Irish Pharmacy Union pocht nun auf Erfüllung des Versprechens im Regierungsprogramm und fordert eine Reihe neuer apothekenbasierter Dienstleistungen.

Die Irish Pharmacy Union (IPU) will sich bei der Modernisierung des Apothekenwesens in Irland nicht länger hinhalten lassen. Sie hat gute Gründe, bei der Politik ordentlich auf den Putz zu hauen, denn auch auf der „grünen Insel“ haben die öffentlichen Apotheken während der Pandemie eine große Last getragen und die Aufgaben bravourös gemeistert. Im aktuellen Programm der irischen Regierung steht auch der Ausbau der Apothekendienste. Aber die Politik liefert nicht, deswegen macht der Apothekerverband jetzt Druck. In seiner gerade veröffentlichten Einreichung für den Haushaltsplan 2022 (Pre-Budget Submission) stellt die IPU einen satten Forderungskatalog an die Politik auf.

Mehr zum Thema

Mehr Kompetenzen und mehr Geld

Apotheker in Irland halten nicht länger still

VDPP zu Pharmazeutischen Dienstleistungen

„Chance nicht verspielen“

Allem voran reklamiert die IPU die unverzügliche Überarbeitung des Vertrags mit den öffentlichen Apotheken. Der bestehende Vertrag wurde 1996 ausgehandelt und zwischenzeitlich mehrfach ergänzt, geändert und nachgebessert. Zukunftsfähig ist er aus Sicht der Apotheker damit aber noch lange nicht, denn ihre Rolle bei der Bereitstellung von gemeindenaher Gesundheitsversorgung geht heute erheblich über die vor einem Vierteljahrhundert hinaus. Ohne neuen Vertrag, keine Modernisierung des Apothekerberufs, so das Fazit der IPU. Die Gespräche müssten nun unverzüglich aufgenommen werden. Die Pharmazie-Union verweist an dieser Stelle auch auf die sogenannte Sláintecare-Strategie der Regierung, wonach die Patienten in ihren Gemeinden auf der niedrigsten Komplexitätsstufe behandelt werden sollen.

Stark erhöhter Druck in der Pandemie

Auch in Irland hat die Bedeutung der Apotheken für die Öffentlichkeit während der Pandemie erheblich zugenommen. Während des Gesundheitsnotstands übernahmen sie eine deutlich höhere Verantwortung als üblich, sie beruhigten nervöse Patienten zu Anzeichen und Symptomen von COVID-19, widerstanden dem Druck, ihnen über ihren normalen Bedarf hinaus zusätzliche Arzneimittel abzugeben, managten Lieferunterbrechungen und Engpässe bei Großhändlern, implementierten auf die Schnelle ein neues elektronisches Adhoc-Verschreibungssystem und organisierten Lieferungen an immobile Patienten. Der Personalaufwand soll im Jahr 2020 gegenüber 2019 um 21 Prozent gestiegen sein. Während die irischen Hausärzte im letzten Jahr trotz partiell geschlossener Praxen zusätzliche COVID-19-Zahlungen von fast 200 Millionen Euro erhielten, gingen die Apotheker leer aus, obwohl sie durch die Aufrechterhaltung und Intensivierung ihrer Serviceleistungen während der Pandemie de facto nicht unerheblich für die Ärzte in die Bresche sprangen.

Triage-System für die öffentlichen Apotheken

Die Apotheker wollen diesen Status quo aber nun nicht etwa abbauen, sondern ihn zu einem dauerhaften Aspekt des Gesundheitssystems machen. „Die Entwicklung zusätzlicher apothekengestützter Dienste in Irland ist unerlässlich und dringend“, konstatiert der Apotheker und IPU-Präsidenten Dermot Twomey.

An erster Stelle des Wunschzettels steht die sofortige Entwicklung und Einführung eines nationalen Triage-Programms für die öffentlichen Apotheken, das drei Hauptdienste umfassen soll: ein Programm für leichte Erkrankungen (Minor Ailment Scheme), ein Angebot für leichte Verletzungen (Minor Injuries Service) und die Abgabe von Notfallmedikamenten. „Dies würde Patienten mit einer Krankenversicherungskarte kostenlosen Zugang zu rezeptfreien Behandlungen direkt aus ihrer Apotheke ermöglichen“, erklärt Twomey. „Es würde die Notwendigkeit von Hausarztbesuchen bei über 40 kleineren Beschwerden wie Heuschnupfen, Migräne oder häufigen Hauterkrankungen überflüssig machen.“

In vielen anderen Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden, Kanada und Australien seien Programme für leichtere Erkrankungen erfolgreich, fügt der IPU-Präsident an. Die Erfahrung in Schottland zeige, dass eine von 20 Notfallkonsultationen (A&E Visits) und jeder siebte Hausarztbesuch damit wegfallen könnte. Im Jahr 2016 haben die Iren bereits ein erfolgreiches Pilotprojekt dazu durchgeführt. Über 90 Prozent der Patienten waren mit dem Service zufrieden und das Feedback der teilnehmenden Apotheker und Hausärzte war ebenfalls positiv.

Weitere Posten auf der Wunschliste

  • Außerdem wünschen sich die Apotheker weitere apothekenbasierte Dienstleistungen zur Verbesserung des Managements chronischer Krankheiten, wie etwa die Einführung von Medicine Use Reviews (MUR) und eines New Medicine Service (NMS). Das heißt: die Beratung und Unterstützung in der Apotheke zu neu verschriebenen Medikamenten gegen bestimmte chronische Krankheiten wie Asthma, COPD, Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck. Beides sind etablierte NHS-Apothekendienste in Großbritannien.
  • Irische Frauen sollen in den Apotheken unverzüglich einen bequemen Zugang zu Verhütungsmitteln ohne Rezept erhalten, was in Großbritannien, den USA, Kanada und Neuseeland bereits möglich ist.
  • Neben Grippe- und COVID-19-Impfungen, bei denen die irischen Apotheker ihre Fähigkeiten bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben, wollen sie nun auch in das HSE-Pneumokokken-Impfprogramm des Landes aufgenommen werden.

Schluss mit den Kürzungen

Die irische Apothekerschaft will mehr tun, aber sie will dafür auch entsprechend honoriert werden. „Es ist nicht zu erwarten, dass Apotheken mehr für weniger leisten“, bekräftigt Dermot Twomey. Seit der Einführung des Gesetzes über finanzielle Notstandsmaßnahmen im öffentlichen Interesse (FEMPI) im Jahr 2009 mussten die Apotheken in Irland durch Kürzungen bei den Apothekenvergütungen über 1,7 Milliarden Euro an Einsparungen verkraften. Dies hat die Dienstleistungsfähigkeit der Apotheken unterminiert, und COVID-19 hat das Ungleichgewicht noch weiter verschärft. Die anhaltenden Kürzungen müssten nun dringend angegangen werden, um den Sektor für die Zukunft auf eine nachhaltige Grundlage zu stellen, heißt es in dem IPU-Entwurf.

Vertrauenswürdigste Berufsgruppe des Landes 

Die Irish Pharmacy Union ist die Vertretung und Berufsorganisation für über 1.800 öffentliche Apotheken und über 2.300 Apotheker in Irland. Der Sektor beschäftigt direkt und indirekt 31.000 Mitarbeiter. Die Hälfte der irischen Bevölkerung lebt innerhalb eines km von einer Apotheke entfernt und 85 Prozent wohnen im Umkreis von 5 km. Nach einer im März dieses Jahres von Ipsos MRBI veröffentlichten Umfrage sind die öffentlichen Apotheker in Irland im „Veracity Index 2021“ mit 96 Prozent die vertrauenswürdigste Berufsgruppe des Landes und eine Recherche im Auftrag der Apothekenaufsichtsbehörde PSI ergab, dass ebenso viele mit den Apothekendienstleistungen zufrieden sind.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.