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Nahrungsergänzungsmittel und Lebensmittel
Rückrufe wegen Ethylenoxid – was steckt dahinter?
Was haben sesamhaltige Lebensmittel, Speiseeis, Fertigmalhzeiten, Milchgetränke, Marmeladen, Joghurts, Zusatzstoffe wie Johannisbrotkernmehl (E410) oder Guarkernmehl (E412) mit Nahrungsergänzungsmitteln aus der Apotheke gemeinsam? Gewöhnlich nicht viel. In beiden Bereichen kam es aber zuletzt vermehrt zu Rückrufen aufgrund der Verunreinigung Ethylenoxid. Zuletzt sogar bei einem Bio-Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke.
Gerade neu auf dem Markt, muss Weleda seine Bio-Nahrungsergänzungsmittel „Naturweisheit“ wieder zurückrufen. Unter den Namen „Meine Immunformel“, „Meine Nacht“ und „Meine Vitalquelle“ waren sie im September neu eingeführt worden, im November 2021 soll „Meine Haare, Wimpern & Nägel“ folgen. Doch bevor es so weit ist, musste die Firma am 8. Oktober Chargenrückrufe für ihre Nahrungsergänzungsmittel „Meine Immunformel“ und „Meine Vitalquelle“ veröffentlichen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich Rückstände von Ethylenoxid in den betroffenen Chargen befinden, hieß es: „Aufgrund der mangelnden Vereinbarkeit mit unseren hohen Ansprüchen an die Produktqualität und den Qualitätsgrundsätzen der Weleda AG rufen wir die genannten Chargen aus Gründen des vorsorglichen Verbraucherschutzes zurück.“
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Bereits im Juli hatte die DAZ über einen Rückruf von Abtei-Tabletten mit Magnesium und Calcium berichtet. Grund war die Substanz 2-Chlorethanol, welche gleichwertig zu Ethylenoxid eingestuft wurde und als potenziell gesundheitsschädlich bewertet wird. Ethylenoxid stehe im Verdacht, auch bei geringen Konzentrationen in Lebensmitteln erbgutverändernd und krebserregend zu sein, hieß es.
Auf Anfrage der DAZ erklärte das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) im Juli, dass in Deutschland der Einsatz von Ethylenoxid als Pflanzenschutzmittelwirkstoff im Lebensmittelbereich seit 1981 verboten ist (Umsetzung der Richtlinie 79/117/EWG). Drittstaaten würden jedoch weiterhin die Begasung mit Ethylenoxid, zum Beispiel vor dem Schiffsversand, praktizieren. Weil Ethylenoxid eine sehr reaktive Verbindung sei, liege es in behandelten oder verarbeiteten Lebensmitteln nur noch in geringer Menge als Ethylenoxid vor, sondern hauptsächlich in Form seines Hauptabbauprodukts 2-Chlorethanol.
Bei Weleda ist die Lage somit einigermaßen klar, wird für die neue Marke „Naturweisheit“ doch mit natürlichen pflanzlichen Quellen geworben. Allerdings erklärte das MLR gegenüber der DAZ im Juli auch: „Die Ursache für die nachgewiesenen Gehalte an 2-Chlorethanol in den Nahrungsergänzungsmitteln, bei denen die Gehalte nicht aus pflanzlichen Zutaten herrühren, ist derzeit nicht bekannt. Möglicherweise handelt es sich bei dem nachgewiesenen Gehalt an 2-Chlorethanol um eine Prozesskontaminante aus der Herstellung des Kapsel-/Überzugsmaterials oder um einen Rückstand aus einer Begasung des Kapsel-/Überzugsmaterials mit Ethylenoxid. Aktuell laufen weitere amtliche Untersuchungen zur Ursachenermittlung. Gefragt sind gleichzeitig auch die Unternehmen selbst im Rahmen ihrer Eigenkontrollsysteme zu prüfen, ob ihre Produkte sicher sind und den rechtlichen Vorgaben entsprechen.“
Immer mehr Lebensmittel mit Ethylenoxid belastet
Wie die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im September meldete, sind derzeit immer mehr Lebensmittel mit Ethylenoxid belastet. Dabei geht es vor allem um Sesam und Zusatzstoffe wie Johannisbrotkernmehl (E410). Es sei nicht abzusehen, welche Produktgruppen künftig noch betroffen sein könnten, hieß es. Auch Instant-Asianudeln sollen von der Verunreinigung schon betroffen gewesen sein. Bereits seit Herbst 2020 sollen entsprechende Warnmeldungen für Lebensmittel nicht abreißen. Weiter erklärt die Verbraucherzentrale:
Inzwischen gibt es an die 700 Meldungen im europäischen Schnellwarnsystem (RASFF). Dabei beschränken sich die Meldungen nicht mehr nur auf Sesam und sesamhaltige Lebensmittel. Mittlerweile machen Zusatzstoffe, wie Johannisbrotkernmehl (E 410) oder Guarkernmehl (E412), die für die Herstellung von Speiseeis, Fertigmahlzeiten, Milchgetränke, Marmeladen und Joghurts verwendet werden, einen Großteil der Meldungen aus. Auch Nahrungsergänzungsmittel, Gewürzpulver und Pflanzenextrakte (z.B. Moringa) sind betroffen. In bio-zertifizierten Produkten ließen sich ebenfalls Rückstände des Pestizids nachweisen."
Seit 22. September beklagt die Verbraucher-Organisation Foodwatch eine „hohe Dunkelziffer bei Ethylenoxid in Lebensmitteln“. Während in anderen Ländern zum Teil Hunderte Eis-Produkte zurückgerufen wurden, erfolge in Deutschland nur in einer Handvoll Fälle ein öffentlicher Rückruf, heißt es dort.
„Tagesschau.de“ berichtete im August, dass es schwierig sei, das Risiko einzuordnen. So hieß es dort: „In der EU dürfen keine Lebensmittel verkauft werden, die mehr als 50 Mikrogramm Ethylenoxid enthalten. In den USA liegt der Grenzwert bei 7000 Mikrogramm. Laut dem Bundesamt für Risikobewertung (BfR) ist die Datenlage zur Wirkung des Stoffes ‚widersprüchlich und teilweise unvollständig‘.“
Das BfR schrieb allerdings in seiner gesundheitlichen Bewertung von Ethylenoxid-Rückständen in Sesamsamen im September 2021 auch: „Ethylenoxid ist erbgutverändernd und krebserzeugend. Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gibt es somit nicht, und Rückstände des Stoffes in Lebensmitteln sind grundsätzlich unerwünscht.“ Auch für das vorwiegend gefundene Abbauprodukt 2-Chlorethanol gebe es Hinweise aus Tierstudien auf eine erbgutverändernde Wirkung, heißt es.
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Es ist also nachvollziehbar, wenn Nahrungsergänzungsmittelhersteller derzeit (vorsorglich) ihre Produkte zurückrufen.
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