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Empfehlungsentwurf der USPSTF
Doch kein Low-Dose-ASS in der Primärprävention?
Die „US Preventive Services Task Force“ will die Anwendung von niedrig dosiertem ASS in der Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen einschränken. Auch mit dem Nutzen von ASS zur Prävention von Darmkrebs hat sich die USPSTF erneut beschäftigt – und sieht nicht länger eine Evidenz in der Gabe von ASS. Die europäische Fachgesellschaft für Kardiologie (ESC) rät von einer allgemeinen Primärprävention mit ASS ab.
2016 empfahl die „US Preventive Services Task Force“ (USPSTF) die Einnahme von niedrig dosiertem ASS zur Primärprävention von kardiovaskulären Ereignissen und von Darmkrebs. Die USPSTF ist ein unabhängiges Expertengremium, das Empfehlungen für die Primärversorgung und Prävention ausspricht und vom US-Gesundheitsministerium ernannt und finanziert wird. Exakter traf ihre Empfehlung die beiden Altersgruppen der 50- bis 59-Jährigen und der 60- bis 69-Jährigen. Sie riet dazu, dass Erwachsene zwischen 50 und 59 Jahren, die ein Zehn-Jahres-Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung von mindestens 10 Prozent aufweisen und ohne erhöhte Blutungsgefahr, niedrig-dosiertes ASS einnehmen sollten. Zudem sollten diese Erwachsenen noch eine mindestens zehnjährige Lebenserwartung haben und gewillt sein, niedrig-dosiertes ASS sodann für mindestens zehn Jahre anzuwenden. Hinter dieser Empfehlung stand die USPSTF 2016 mit der Stärke B – es bestand ihrer Ansicht nach mit „hoher“ bis „moderater Sicherheit“ ein „mäßiger Nettonutzen“ für die Patient:innen.
Bei älteren Menschen zwischen 60 und 69 Jahren hingegen sollte die Entscheidung über den Start einer Primärprävention von kardiovaskulären Ereignissen und Darmkrebs „individuell“ getroffen werden, empfahl die USPSTF 2016. Ihre Empfehlungsstärke zu einem Therapieangebot war bei Älteren etwas schwächer (Empfehlungsstärke C), die USPSTF war jedoch mit einer „moderaten Sicherheit“ von einem „geringen Nettonutzen“ überzeugt. Für unter 50-Jährige und über 70-Jährige reichte die vorliegende Evidenz nicht für eine Empfehlung.
USPSTF beschränkt ASS in der Primärprävention
Nun – 2021 – will die USPSTF die kardiovaskuläre und onkologische Primärprävention mit niedrig dosiertem ASS einschränken und stuft ihre Empfehlungsstärken jeweils eine Stufe zurück, berücksichtigt dafür aber auch ab 40-Jährige und über 70-Jährige.
Geringer bis kein Nettonutzen
Die USPSTF kommt nun zu dem Schluss (mäßige Evidenz), dass die Einnahme von ASS in der Primärprävention von kardiovaskulären Erkrankungen bei 40- bis 59-Jährigen mit einem Zehn-Jahres-Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung von mindestens 10 Prozent, lediglich einen „geringen Nettonutzen“ mit sich bringt. Sie nimmt den Empfehlungsgrad von B auf C zurück, damit sollte die Entscheidung zur Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen mit ASS rein individuell getroffen werden. Laut der USPSTF gibt es „hinreichende Belege dafür, dass niedrig dosiertes ASS das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (nicht tödlicher Myokardinfarkt und Schlaganfall) bei Erwachsenen ab 40 Jahren, die keine Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Vorgeschichte haben, aber ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufweisen, in geringem Maße verringert“. Und es sei erwiesen, dass der Nutzen mit steigendem Zehn-Jahres-Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zunimmt und der lebenslange Nutzen größer ist, wenn mit der Einnahme von ASS in jüngerem Alter begonnen werde, erklärt die USPSTF. Allerdings gibt es auch Risiken – und damit auch „hinreichende Belege dafür, dass die Einnahme von ASS bei Erwachsenen das Risiko für gastrointestinale Blutungen, intrakranielle Blutungen und hämorrhagische Schlaganfälle erhöht“, so die USPSTF. Das Risiko sei insgesamt gering, aber in älteren Altersgruppen, insbesondere bei Erwachsenen über 60 Jahren, nehme es zu.
Aus diesem Grund agiert die USPSTF auch bei ab 60-Jährigen strenger: Sie sieht in der Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen mit ASS „keinen Nettonutzen“ (mäßige Evidenz) und rät deswegen, in dieser Altersgruppe keine Primärprävention mit ASS zu beginnen.
Kein ASS mehr zur Darmkrebsprävention
Und wie sieht es bei Darmkrebs aus? 2016 empfahl die USPSTF ASS noch zur Primärprävention – davon ist sie 2021 gänzlich abgekommen. Die USPSTF kam zu dem Schluss, dass die Evidenz für die Verringerung der Inzidenz oder Mortalität eines Kolorekatalkarzinoms durch niedrig dosiertes ASS unzureichend ist.
Die US Preventive Services Task Force stützt ihre neuen Empfehlungen zur kardiovaskulären Primärprävention mit ASS auf 13 randomisierte klinische Studien mit insgesamt 161.680 Teilnehmern. Zumeist hatten die Proband:innen 100 mg oder weniger ASS täglich eingenommen (in den Vereinigten Staaten liegt die gängige Dosis der kardiovaskuläre Prävention bei 88 mg). Das USPSTF fand heraus, dass durch primärpräventives ASS zwar das Risiko für Myokardinfarkt und Schlaganfall sank, nicht jedoch die kardiovaskuläre Mortalität oder Gesamtsterblichkeit.
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Weniger Daten (vier Studien) konnte das USPSTF zum Kolorektalkarzinomrisiko finden, zudem widersprachen sich die Studienergebnisse teilweise. Die ASPREE-Studie ergab ein erhöhtes Risiko für Darmkrebssterblichkeit, längerfristige Nachbeobachtungsdaten, wie in der WHS (Women`s Health Study) zeigten ein statistisch nicht signifikant reduziertes Risiko für Koloreaktalkarzinome nach 17,5 Jahren, doch könnte der Effekt über einen weiteren Zeitraum (17,5 bis 26 Jahre) nicht anhalten.
Risiko schwerer Blutungen
Dem potenziellen Nutzen einer Primärprävention mit ASS bei kardiovaskulären und Dickdarmkrebs-Erkrankungen stellte die USPSTF die möglichen Risiken durch Nebenwirkungen gegenüber. Eine gepoolte Analyse aus zehn Studien (119.130 Teilnehmer:innen), die laut USPSTF für die derzeitige Praxis am relevantesten war, zeigte, dass die Einnahme von maximal 100 mg ASS täglich ein um 58 Prozent erhöhtes Risiko für schwere gastrointestinale Blutungen mit sich brachte. Eine weitere gepoolte Analyse berücksichtigte elf Studien mit insgesamt 134.470 Proband:innen. Dort kam es durch ASS zu einem Anstieg der intrakraniellen Blutungen um 31 Prozent (verglichen mit Placebo). Allerdings schien die Einnahme von ASS nicht mit einem statistisch signifikanten Anstieg von tödlichen hämorrhagischen Schlaganfällen einherzugehen.
Bislang liegt die aktualisierte Empfehlung lediglich als Entwurf vor, sie wird bis zum 8. November öffentlich zur Diskussion gestellt. Erst danach soll eine abschließende Empfehlung publiziert werden.
Europäische Fachgesellschaft für Kardiologie: keine allgemeine Primärprävention mit ASS
Die Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) „2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice“ spricht sich nicht für eine allgemeine Primärprävention mit ASS aus. Sie begründet ihre Einschätzung mit einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2009, veröffentlicht in „The Lancet“. In dieser reduzierte Low-Dose-ASS zwar das Risiko für schwere kardiovaskulärer Ereignisse um 12 Prozent, führte aber zu einem signifikanten Anstieg gastrointestinaler Blutungen. Eine erst 2019 veröffentlichte Meta-Analyse, veröffentlicht im „Journal of the American College of Cardiology“, fand keinen Vorteil einer ASS-Gabe hinsichtlich kardiovaskulärer Mortalität oder Gesamtsterblichkeit, sondern nur für nicht-tödliche Myokardinfakrte und ischämischer Schlaganfälle – und alles bei signifikant erhöhter Blutungsgefahr (nicht tödliche schwere, intrakranielle und schwere gastrointestinale Blutungen). Weitere Analysen bestätigen laut ESC diese Ergebnisse. „Insgesamt sollte ASS zwar nicht routinemäßig an Patienten ohne etablierte ASCVD (Atherosclerotic cardiovascular Disease) verabreicht werden, doch können wir nicht ausschließen, dass bei einigen Patienten mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulären Risiko die Vorteile die Risiken überwiegen“, erklärt das ESC.
Primärprävention in Einzelfällen möglich
So konnte in der ASCEND-Studie, veröffentlicht 2018 im „The New England Journal of Medicine“, niedrig dosiertes ASS bei Diabetikern ohne kardiovaskuläre Erkrankung das Risiko für schwere kardiovaskulärer Ereignisse signifikant um 12 Prozent reduzieren, erhöhte aber auch das Risiko schwerer Blutungen (gastrointestinal und extrakraniell). Laut einer Studie aus „Cardiovascular Diabetology“ (2019) liegt die Number needed to treat bei 95, um über fünf Jahre ein schweres kardiovaskuläres Ereignis (MACE) zu verhindern. „Daher kann Aspirin, wie auch bei Patienten ohne Diabetes mellitus, in Betracht gezogen werden, wenn das kardiovaskulärer Risiko außergewöhnlich hoch ist“, erklären die Leitlinienautoren.
In der Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse ist niedrig dosiertes ASS unumstritten.
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