B.1.1.529

Die Omikron-Variante: Zahlen, Fakten und Befürchtungen

Düsseldorf - 07.12.2021, 09:15 Uhr

Ein Teil der Gensequenz der Variante Omikron stammt allem Anschein nach sogar aus einem ganz anderen Coronavirus, dem weltweit seit vielleicht Jahrhunderten endemischen Humanen Coronavirus 229E (HCoV-229E). (Foto: dottedyeti / AdobeStock)

Ein Teil der Gensequenz der Variante Omikron stammt allem Anschein nach sogar aus einem ganz anderen Coronavirus, dem weltweit seit vielleicht Jahrhunderten endemischen Humanen Coronavirus 229E (HCoV-229E). (Foto: dottedyeti / AdobeStock)


Die jüngste besorgniserregende Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 sorgt für Beunruhigung unter Medizinern und Wissenschaftlern, in der Wirtschaft und in der Bevölkerung. Einige Fakten sind bereits bekannt, einige Entwicklungen geben Grund zur Sorge. Hier bieten wir eine Zusammenfassung dessen, was es über die SARS-CoV-2-Variante Omikron bereits zu wissen gibt. Viel ist das allerdings noch nicht. 

Anfang Dezember 2021 ist noch Delta die vorherrschende besorgniserregende Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 in Deutschland. Das RKI weist Stand 6. Dezember noch fast 100 Prozent der bestätigten Fälle als Delta aus – doch das könnte sich bald ändern, befürchten Experten – unter anderem die des ECDC, des Europäische Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten

Die erst am 24. November 2021 identifizierte Variante B 1.1.529, die nur zwei Tage später als VOC (Variant of concern, besorgniserregende Variante) Omikron von der Weltgesundheitsorganisation WHO eingestuft wurde, scheint auf dem Vormarsch zu sein. Die erste Probe eines Omikron-Infizierten stammt vom 9. November 2021. Seitdem steigt nicht nur in Südafrika die Anzahl der identifizierten Infektionsfälle sprunghaft an.

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So meldete das ECDC am 5. Dezember für Europa 182 bestätigte Fälle in 17 europäischen Ländern – Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Island, Irland, Italien, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, Spanien und Schweden. Nur einen Tag später, Stand 6. Dezember schnellt allein die Zahl der Infizierten in Dänemark auf 183. Auch in der Schweiz sind Fälle bestätigt. In Großbritannien sind es bereits mehr als 230 Omikron-Fälle.

Weltweit wurde Omikron außer in Südafrika und Botswana, wo die Variante entdeckt wurde und für einen raschen Anstieg der Infektionszahlen sorgt, bereits etwa in Hongkong, Israel, Australien und Kanada entdeckt. Jüngst auch in Thailand, das erst seit kurzem wieder Touristen ins Land lässt und bei der Einreise negative PCR-Tests verlangt. Längst sind die neuen bestätigten Fälle auch keine reinen Reiserückkehrer aus Südafrika mehr. Aktuell sind es mindestens 30 Länder weltweit. Experten gehen von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus – und dass die Variante sich wohl bereits vor Bekanntwerden der ersten Fälle auch in Europa verbreitet. Darauf weist unter anderem ein Bericht des niederländischen Gesundheitsinstituts RIVM hin, wonach Proben vom 19. bis 23. November nun positiv auf Omikron getestet wurden. Unter anderem die (geschäftsführende) Bundesregierung hatte nach Bekanntwerden der neuen VOC Reisebeschränkungen für Südafrika und andere südafrikanische Länder erlassen.

Was macht Omikron so gefährlich? 

Im Vergleich zum Wildtyp von SARS-CoV-2, der ursprünglichen Wuhan-Variante von Ende 2019, die mittlerweile praktisch nicht mehr vorhanden ist, weist die Variante Omikron insgesamt 60 Mutationen in ihrem Genom auf, acht davon sind synonyme, zwei nicht-codierende Mutationen. Die 50 übrigen aber sind tatsächlich nicht-synonyme Mutationen. Solche also, die trotz des degenerierten genetischen Codes, bei dem mehrere Basentripletts für die gleiche Aminosäure codieren, auch zu einem Austausch einer Aminosäure im zugehörigen Protein sorgen. 32 dieser nicht-synonymen Mutationen liegen alleine im Bereich des recht großen Spike-Proteins (S-Protein) des Virus. 

Das S-Protein ist zum einen das wesentliche Antigen, mit dem das Virus mit dem ACE-2-Rezeptor (Angiotensin-konvertierendes Enzym-2) interagiert und so in ein Spektrum verschiedener Zellen im Körper gelangt. Konkret innerhalb der Rezeptorbindungsstelle des S-Proteins sind 15 Mutationen verzeichnet. Zum anderen ist das S-Protein auch das, auf das ein Großteil der Immunreaktion bei einer natürlichen Infektion reagiert, auf den aber auch alle bisher im Einsatz befindlichen Impfstoffe optimiert sind. Einige dieser Mutationen sind bereits etwa von Delta bekannt, viele sind aber gänzlich neu. Unter den Aminosäureaustauschen im S-Protein sind etwa E484A oder N501Y und einige weitere (Aminosäuren im Einbuchstabencode: E = Glutaminsäure, A = Alanin, N = Asparagin und Y = Tyrosin, Zahl = Position im Protein) bereits von den VOC Alpha, Beta, Gamma und Delta bekannt.

In jedem Fall weist das S-Protein von Omikron durch die Vielzahl der Aminosäureaustausche eine signifikant andere Struktur auf als die bislang bekannten Varianten. Auch im Replikaseprotein, das unter anderem für die Replikation der Virus-RNA zuständig ist, sowie im Hüll-, Membran- und Nukleocapsidprotein des Virus gibt es Austausche von Aminosäuren.

Neues Coronavirus + altes Coronavirus = Omikron?

Experten vermuten, dass diese Veränderungen dem Virus eine höhere Infektiosität verleihen und es ihm ermöglichen, der Immunabwehr von Genesenen und Geimpften zu entkommen (Immunescape) und diese erneut zu infizieren. In zwei Patienten in Hongkong wurde zudem eine deutlich erhöhte Virenlast, also eine insgesamt deutlich höhere Anzahl an aktiven Viren, als in bislang Infizierten gefunden.

Die Infektionszahlen und die rasche weltweite Verbreitung in der kurzen Zeit seit der Entdeckung deuten darauf hin, dass Omikron tatsächlich das Potenzial hat, Delta zu verdrängen und auch mindestens Genesene erneut zu infizieren. Viele der bislang bestätigten Fälle waren außerdem bereits zweimal geimpft, was die Fähigkeit zum Impfdurchbruch untermauert.

Bislang seien allerdings vor allem milde Verläufe beobachtet worden, heißt es – die Datenlage ist aber immer noch zu gering.

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Neue Corona-Variante noch nicht in Deutschland

Impfungen wohl weniger effektiv gegen neue Variante B.1.1.529

Ein Teil der Gensequenz der Variante Omikron stammt allem Anschein nach sogar aus einem ganz anderen Coronavirus, dem weltweit seit vielleicht Jahrhunderten endemischen Humanen Coronavirus 229E (HCoV-229E). Es löst beim Menschen „normale“ Erkältungen aus und ist auch auf Fledermäuse übertragbar. Forscher des US-Unternehmens Nference entdeckten die Sequenz und publizierten ihre Arbeit.

Forscher vermuten, dass sich die Genome innerhalb eines menschlichen Wirtes rekombiniert haben könnten. Daraus könnte auch eine noch bessere Anpassung des Virus an den Menschen resultieren.

Anzeichen für eine höhere Infektiosität

Bislang ist die Datenlage zu den Eigenschaften von Omikron noch dünn. Die Geschwindigkeit, mit der Omikron allerdings in Südafrika die Epidemie getrieben hat, lässt zumindest Rückschlüsse auf die Fähigkeit des Erregers zu, neuen Wirte zu infizieren. Am 9. November 2021, dem Tag, auf den die älteste omikronpositive Probe datiert, verzeichnete Südafrika 245 neue COVID-19-Fälle, am 23. November 2021 waren es bereits 18.586 neue Fälle. Aktuell, Stand 5. Dezember verzeichnete man 11.125 Fälle. Die Reproduktionszahl lag dabei in der Provinz Gauteng zeitweilig bei 2,3. Omikron hat dabei bereits einen Anteil von 80 Prozent und hat demnach Delta in Südafrika verdrängt.

Auch die Zahl der Reinfektionen, also neu Infizierter, die bereits einmal genesen waren, steigt deutlich an, berichtet eine aktuelle Studie aus Südafrika. Demnach könne das Risiko einer Reinfektion bei Omikron doppelt so hoch liegen wie bei den bisherigen Varianten.

Mehr junge Kinder im Krankenhaus*

Erste Zahlen deuten wohl auch darauf hin, dass Omikron besonders jüngere Kinder deutlich stärker treffen könnte, als das bei den bisherigen Varianten der Fall war. So zitiert die Nachrichtenagentur dpa die Wissenschaftlerin Michelle Groome vom Nationalen Institut für übertragbare Krankheiten NICD in Südafrika mit der Aussage, kleine Kinder unter fünf Jahren machten nach den Älteren nun die zweitgrößte Gruppe der Patienten aus, die mit COVID-19 in ein Krankenhaus eingeliefert wurden.

Neutralisierende Antikörper aus Impfung oder Genesung könnten an Omikron scheitern

Eine kürzlich in Nature erschienene Studie hat noch unabhängig von der Variante Omikron darlegen können, dass ein stark verändertes Spike-Protein, besonders mit veränderter Struktur der Rezeptorbindedomäne, neutralisierenden Antikörpern, die aus einer Genesung oder einer zweifachen Impfung resultieren, entkommen kann.

Neutralisierende Antikörper verhindern normalerweise, dass es überhaupt zu einer Infektion kommen kann. Bei Omikron ist ein solch mehrfach verändertes S-Protein gegeben, was einen Hinweis auf die häufigen beobachteten Reinfektionen geben kann. Übertragen auf die Impfung könnte das bedeuten, dass eine Infektion durch Omikron bei Geimpften – sogenannte Impfdurchbrüche – häufiger werden könnten.

Allerdings induzieren sowohl die Impfung als auch eine überstandene Infektion auch eine T-Zell-Antwort des Immunsystems. Womöglich ist daher bei Genesenen und Geimpften mit schwächeren Krankheitsverläufen zu rechnen – dafür fehlen aber auch noch verlässliche Daten. Eine Anpassung der Impfstoffe an die neue Variante werde allerdings wohl noch Monate dauern, heißt es

Noch keine deutlichen Hinweise auf anderen Krankheitsverlauf

Insgesamt gibt es noch keine Hinweise auf einen schwereren Krankheitsverlauf. Erste Berichte sprachen auch von ganz anderen milderen Symptomen wie einem ausgeprägten Krankheitsgefühl, Müdigkeit und ähnlichem. Die hohe Virenlast, die bei den Patienten in Hongkong gefunden wurde, deutet für andere Forscher aber auf einen möglichen viel schwereren Verlauf hin. Auch das lässt sich noch nicht mit abschließender Sicherheit sagen.

Drei Möglichkeiten der Entstehung werden diskutiert

Einig sind sich die Wissenschaftler, dass Omikron eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen aufweist. Als möglichen Entstehungsort wird von den meisten Forschern ein immunsuprimierter Wirt vermutet, in dessen Körper sich die Infektion lange und weitgehend ungestört vom geschwächten Immunsystem halten konnte und das Virus dementsprechend oft mutieren konnte. In Südafrika ist die Quote der HIV-Positiven weiterhin hoch. Ein entsprechender HIV-positiver Patient wird als möglicher Entstehungsort von Omikron vermutet. 

Eine andere etwa in einem Forbes-Artikel diskutierte Theorie führt die Möglichkeit einer „Reversen Zoonose“ auf. Dabei wäre ein tierischer Wirt vom Menschen mit COVID-19 angesteckt worden, der Erreger in dem Wirt mutiert und das Virus dann erneut als Omikron-Variante auf den Menschen zurück übergesprungen. Etwa Ratten im Abwassersystem seien dafür eine denkbare Möglichkeit.

Ist Molnupiravir schuld?

In einer dritten Theorie, ebenfalls in dem Artikel diskutiert, wird die Möglichkeit angeführt, die Omikron-Variante könnte ein Resultat der COVID-19-Behandlung mit dem Wirkstoff Molnupiravir sein. Dieser Wirkstoff (N4-Hydroxycytidin-5'-(2-methylpropanoat) wurde ursprünglich als Arzneimittel gegen Grippe entwickelt und wird im Körper zum Nukleosid-Analogon N4-Hydroxycytidin (NHC) verstoffwechselt. Dieses führt bei der RNA-Replikation zu Kopierfehlern und induziert viele Mutationen in der Virus-RNA. Der Theorie nach könnte eine unvollständige Behandlung unter Umständen zum Entstehen der Omikron-Variante geführt haben. Um dies abschließend zu beurteilen, bedarf es weiterer Forschung.

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Molnupiravir wirkt schlechter als gedacht

Unterdessen reagieren die Märkte weltweit ebenso beunruhigt auf die neue Variante wie die Wissenschaft. Weltweit geben seit Ende November Aktienkurse und Indizes nach, in der Befürchtung, Omikron könnte die Auswirkungen der aktuellen Delta-Welle noch verschlimmern. Man fürchtet eine „Omikron-Rezession“ und etwaige neue Lockdowns.

Warum die Variante Omikron heißt

Dass die WHO bereits Anfang 2021 entschieden hat, neue Varianten nach dem griechischen Alphabet zu benennen und nicht mehr von „britischer“ oder Südafrika-Variante spricht, hatte seinen Grund darin, dass es keine Ressentiments gegen die damit „verunglimpften“ Nationen geben sollte.

Aus einem ähnlichen Grund wurden bei der Benennung nun die griechischen Buchstaben Ny und Xi, die eigentlich dran gewesen wären, übersprungen. „Ny“ sei zu ähnlich mit dem englischen Wort New, was zu Verwirrung hätte führen können, so die WHO. Xi wiederum sei ein häufiger asiatischer Nachname. Das ZDF vermutet, dass es mehr damit zu tun haben könnte, dass der chinesische Staatschef den Namen Xi Jinping trägt.

* dieser Text wurde am 7. Dezember 2021 um 17:44 Uhr redaktionell bearbeitet: Statt „Mehr junge Kinder auf der Intensivstation“ heißt es nun „Mehr junge Kinder im Krankenhaus“.



Volker Budinger, Diplom-Biologe, freier Journalist
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

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von Dr. Dietmar Roth, Rottenburg am 07.12.2021 um 17:27 Uhr

Mein Fazit mit meinem Kenntnisstand zum 06.12.2021. lautet:
In Zukunft können wir uns darauf einstellen ein-bis zweimal im Jahr mit dem jeweils dann aktuellen Coronaimpfstoff
geimpft zu werden.

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