Schadensersatzklage

Beweislastumkehr für Unterdosierungen des Bottroper Zyto-Apothekers

Essen - 21.12.2021, 16:00 Uhr

Der Vorsitzende Richter Theissen (Mitte) setzt sich mit den Schadensersatzklagen von Betroffenen des Bottroper Zyto-Skandals auseinander. (s / Foto: Feldwisch-Drentrup)

Der Vorsitzende Richter Theissen (Mitte) setzt sich mit den Schadensersatzklagen von Betroffenen des Bottroper Zyto-Skandals auseinander. (s / Foto: Feldwisch-Drentrup)


Sachverständiger Onkologe vermisst Placebo-Vergleich

Hierzu befragte die Zivilkammer auch den Onkologen Ralph Naumann vom Siegener St. Marienkrankenhaus als Sachverständigen. In seinem Gutachten hatte Naumann erklärt, für ihn sei es überwiegend wahrscheinlich, dass Unterdosierungen den Gesundheitszustand und die Prognose verschlechtert hätten. Allerdings gebe es leider wenig Daten, sagt Naumann vor Gericht: Für den vorliegenden Fall wäre ein Vergleich der Immuntherapie mit Placebo aufschlussreich – doch diese hätte man aus ethischen Gründen nicht machen können. Über einen groben, indirekten Vergleich mit dem Chemotherapeutikum Docetaxel schätzt Naumann eine Verdopplung der Überlebenszeit. „Das ist für mich als Onkologe schon ein Wort“, sagt er. Doch dies bezieht sich auf den Mittelwert über alle Patienten, rund 80 Prozent profitieren eben nicht – man wisse nicht, ob der Patient zu den 20 Prozent gehört hätte.

Während die Klägerin als Erbin ein Schmerzensgeld von mindestens 25.000 Euro auch aufgrund eines womöglich früheren Todes gefordert hatte, bewerten die Richter die Situation daher anders – sie halten einen Betrag in Hohe von etwa 10.000 Euro für angemessen. Dies wäre ein Schmerzensgeld für die aufgrund der angenommenen Unterdosierungen unnütze, wochenlange Therapie sowie für die psychische Belastung: Der Ehemann der Klägerin hatte noch vor seinem Tod erfahren, dass er womöglich von dem Apothekerskandal betroffen ist und keine wirksamen Therapien erhalten hat.

Einen Vergleich wollte ein Anwalt, der den Insolvenzverwalter vor Gericht vertritt, nicht akzeptieren. „Der Insolvenzverwalter hat mir leider eine klare Weisung gegeben, dass wir uns nicht vergleichen können“, erklärt er. „Das hängt damit zusammen, dass es noch ein paar weitere Verfahren gibt, die vom Ausgang dieses Verfahrens vielleicht abhängen.“

Die Richter erlassen ihr Urteil nun innerhalb von drei Wochen. Die Angehörigen wollen ihre Forderung weiter durchsetzen, notfalls auch in der zweiten Instanz. „Wir machen weiter“, sagt eine Angehörige.

Beim Landgericht Essen sind noch einige weitere Zivilverfahren anhängig, die jedoch derzeit ruhen – nach Auskunft eines Sprechers könnten diese wieder fortgesetzt werden, doch seien keine entsprechenden Anträge gestellt. Mehrere Betroffene haben angesichts des Insolvenzverfahrens und der schlechten Aussichten, relevante Summen aus der Insolvenzmasse erhalten zu können, aufgegeben. So erklärt die Fachanwältin für Medizinrecht Sabrina Diehl gegenüber der DAZ, dass ihre mehr als 20 Mandanten Schadensersatzansprüche gegen Stadtmann beziehungsweise den Insolvenzverwalter aus diesem Grund nicht mehr durchsetzen wollen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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