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2022: „Das Jahr der COVID-Arzneimittel“

18.01.2022, 17:50 Uhr

Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) erhielt im Dezember 2021 in den USA eine Notfallzulassung. Die EMA prüft das Arzneimittel derzeit im Rolling-Review-Verfahren. (Bild: golibtolibov / AdobeStock)

Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) erhielt im Dezember 2021 in den USA eine Notfallzulassung. Die EMA prüft das Arzneimittel derzeit im Rolling-Review-Verfahren. (Bild: golibtolibov / AdobeStock)


Während im vergangenen Jahr der Fokus auf den Impfstoffen zum Schutz vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 lag, verschiebt er sich derzeit mehr und mehr in Richtung Arzneimittel. „2022 wird das Jahr der Arzneimittel gegen COVID-19 werden“, prognostizierte Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, auf der Fortbildungsveranstaltung Pharmacon. Sie fand auch in diesem Jahr pandemiebedingt nicht in Schladming, sondern online statt.

Zahlreiche vielversprechende Wirkstoffe befinden sich derzeit in der klinischen Prüfung, einige sind bereits zugelassen. Für die Apotheke sind zurzeit vor allem die beiden oralen Wirkstoffe Molnupiravir (Lagevrio®) und die Kombination Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) besonders relevant.

Der Wirkstoff Molnupiravir wurde ursprünglich als Arzneistoff zur Behandlung der Influenza entwickelt. Es handelt sich um ein Prodrug, das in der Zelle in das aktive Triphosphat umgewandelt wird. Bei der Vervielfältigung der Virus-RNA in den befallenen Zellen baut die virale RNS-Polymerase dieses Molekül anstelle von Cytidintriphosphat oder Uridintriphosphat ein, wodurch es zu Mutationen im viralen Erbgut kommt. In Studien konnte Molnupiravir signifikant stärker als Placebo Hospitalisierungen bzw. Todesfälle verhindern. Die NNT (number needed to treat), das heißt die Zahl der zu Behandelnden für ein verhindertes Ereignis, lag bei 33, was laut Schubert-Zsilavecz ein guter Wert ist.

Einsatz nur in Frühphase sinnvoll

Molnupiravir ist zur Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen indiziert, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen und ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf besitzen. Sein Einsatz ist nur innerhalb von fünf Tagen nach Symptombeginn sinnvoll, wenn sich die Viren noch kaum vermehrt haben. An fünf aufeinanderfolgenden Tagen werden vier 200 mg Kapseln jeweils morgens und abends eingenommen. Als Nebenwirkungen können Durchfall, Übelkeit oder Schwindel auftreten, Hinweise auf Arzneimittelinteraktionen gibt es derzeit nicht.

Besonderheiten bei der Abgabe

Obwohl die EMA über den Zulassungsantrag von Lagevrio®, das bisher nur in Großbritannien zugelassen ist, noch nicht entschieden hat, ist das Arzneimittel seit dem 3. Januar 2022 in Deutschland verfügbar und kann über die Apotheken auf Rezept abgegeben werden. Dabei sind einige Besonderheiten zu beachten. 

  • So ist eine Schwangerschaft eine absolute Kontraindikation, weshalb vor der Anwendung ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden soll. Während der Einnahme ist eine wirksame Kontrazeption notwendig, das heißt bei hormoneller Verhütung sollten zusätzlich Kondome verwendet werden. Männer dürfen während der Behandlung und für drei Monate danach kein Kind zeugen. 
  • Stillende sollten für die Dauer der Behandlung plus vier Tage nach der Einnahme der letzten Dosis das Stillen unterbrechen

Da die vom Bundesministerium für Gesundheit beschafften Arzneimittel für Großbritannien produziert wurden, sind sämtliche Angaben auf dem Beipackzettel nur in Englisch verfasst. Das BfArM hat jedoch Hinweise für Anwender erarbeitet, die mitgegeben werden müssen, wenn das Arzneimittel – zur Kontaktvermeidung bevorzugt über den Botendienst und mit telefonischer Beratung – abgegeben wird.

Arzneimittel mit Boostereffekt

Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®) erhielt im Dezember 2021 in den USA eine Notfallzulassung. Die EMA prüft das Arzneimittel derzeit im Rolling-Review-Verfahren. Klinikärzte in Deutschland können es bereits jetzt, also schon vor der Zulassung, einsetzen. Nirmatrelvir hemmt eine der beiden viralen Proteasen, die 3C-like Protease, indem die Nitrilgruppe des Moleküls mit einem Cystinrest im katalytischen Zentrum des Enzyms reagiert. Diese Protease hat die Aufgabe, das virale Polypeptid, das nach der Translation in der befallenen Zelle entstanden ist, gezielt zu zerschneiden. Es entstehen Struktur und Nicht-Struktur-Proteine für die Bildung neuer Viren. Das niedrigdosierte Ritonavir wirkt in Paxlovid® als Booster, indem es das Cytochrom P450-Isoenzym CYP3A und damit den Abbau von Nirmatrelvir in der Leber hemmt. Paxlovid® soll wie Lagevrio® nur in der Frühphase der COVID-Erkrankung eingesetzt werden, wenn trotz hoher Viruslast kaum Symptome auftreten und eine Krankenhauseinweisung nicht oder noch nicht erforderlich ist. Wenn das Arzneimittel dann rechtzeitig über fünf Tage eingenommen wird, kann es laut Studien Krankenhauseinweisungen bzw. Todesfälle signifikant stärker verhindern als Placebo. Die NNT lag bei 17.

Cave Interaktionen

Der Einsatz von Paxlovid® erscheint derzeit nur sinnvoll bei Personen, die mindestens einen Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Dazu zählen höheres Lebensalter, Adipositas, Typ 2-Diabetes oder Herzerkrankung. Die Anwendungsbeschränkung auf Ältere birgt auch ein besonderes Risiko: Ältere nehmen häufig Arzneimittel ein, die über CYP3A verstoffwechselt werden, wie Statine (Atorvastatin, Lovastatin) oder Calciumkanalblocker (Verapamil, Amlodipin). „Da kommt viel Arbeit auf Ärzte und Apotheker zu, um Interaktionen zu verhindern!“, stellte Schubert-Zsilavecz fest.



Dr. Claudia Bruhn, Apothekerin / Autorin DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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