Sanacorp-Chef zu Apothekenplattformen

„Wir fixieren uns nicht auf eine Entscheidung“

Stuttgart - 17.02.2022, 07:00 Uhr

Der Vorstandsvorsitzende der Sanacorp, Herbert Lang, erläutert im Interview mit der DAZ, wie er die derzeitigen Entwicklungen von Digitalprojekten im Apothekenmarkt bewertet. (s / Foto: Sanacorp)

Der Vorstandsvorsitzende der Sanacorp, Herbert Lang, erläutert im Interview mit der DAZ, wie er die derzeitigen Entwicklungen von Digitalprojekten im Apothekenmarkt bewertet. (s / Foto: Sanacorp)


Die Sanacorp startete Ende 2018 die Initiative Pro AvO, nachdem Wettbewerber Noweda kurz zuvor den „Zukunftspakt Apotheke“ gegründet hatte. Inzwischen wird Pro AvO von gesund.de dominiert, einem Joint Venture von Phoenix und Noventi. Zudem gewinnen standeseigene Digitalprojekte an Bedeutung. Daher hat sich Sanacorp entschlossen, den Mitgliedern verschiedene Portale und Plattformen anzubieten, wie Vorstandsvorsitzender Herbert Lang im DAZ-Interview erläutert.

Vermutet hatten es damals viele, am 10. Mai 2021 wurde es dann offiziell: Die Initiative Pro AvO ist seitdem Teil der Plattform gesund.de. Sowohl Technologien als auch Personal von Pro AvO integrierte man in die von Phoenix und Noventi gegründete Gesundheit für Deutschland GmbH und Co. KG (GfD), die hinter gesund.de steht.

Pro AvO startete im Dezember 2018 als Projekt von fünf gleichberechtigten Partnern und zugleich namhaften Unternehmen in der Apothekenbranche, dem Wort & Bild Verlag, den Pharmagroßhändlern Gehe und Sancorp, dem Automatenhersteller BD Rowa sowie dem Software- und Abrechnungsdienstleister Noventi. Die Entwicklung einer Apothekenplattform stand im Mittelpunkt der gemeinsamen Initiative. Damit bildete Pro AvO eine unmittelbare Konkurrenz zum „Zukunftspakt Apotheke“, den die Großhandelsgenossenschaft Noweda mit dem Burda-Verlag drei Monate zuvor gestartet hatte.

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Im Laufe der folgenden zwei Jahre kam es immer wieder zu Ankündigungen – auch über mögliche Annäherungen zwischen den beiden Plattformprojekten äußerten sich die Verantwortlichen zuversichtlich. Tatsächlich entstand aber nie eine Kooperation oder gar Verschmelzung von Pro AvO mit dem Zukunftspakt. Die Gesellschafteranteile und damit Einflussmöglichkeiten innerhalb von Pro AvO hingegen veränderten sich merklich. Im Frühjahr 2020 begann eine Verschiebung der Gesellschafteranteile zugunsten von Noventi. Zuletzt waren es nach Information der DAZ vor allem Noventi und der Wort & Bild Verlag, die das Projekt finanziell trugen. Gehe, Sanacorp und BD Rowa dagegen gerieten mit ihren Anteilen in den unteren zweistelligen Bereich.

Als sich ein weiterer Gigant der Branche für das Projekt zu interessieren begann, wurden die Karten neu gemischt. Mit der europaweit agierenden Phoenix Group hatten die Pro AvO-Gründungsmitglieder Großes vor. Die im Juni 2020 vorgestellte Apothekenplattform namens Apora wurde nur drei Wochen später wieder abgesagt. Zusammen mit Phoenix sollte eine Mega-Plattform entwickelt werden. Doch schnell kristallisierte sich heraus, dass gesund.de – so die neue Adresse der Apothekenplattform – vor allem von Noventi und Phoenix vorangetrieben wird. Bis Mai 2021 stand deshalb lange die Frage im Raum, was mit den übrigen Pro AvO-Gesellschaftern passiert. Diese sind nun minderheitsbeteiligt in der neu gegründeten Gesundheit für Deutschland GmbH und Co. KG (GfD). Allerdings gab es auch einen Austritt: Großhändler Gehe verzichtete drauf, weiterhin ein Teil von gesund.de zu sein. Grund soll eine Neuausrichtung in der Digitalstrategie sein, nachdem Gehe mit Alliance Healthcare Deutschland fusioniert war.

Herbert Lang, Vorstandsvorsitzender der Sanacorp, erläutert im Interview mit der DAZ, wie er die derzeitigen Entwicklungen von Digitalprojekten im Apothekenmarkt bewertet. Auch über die zögerliche Haltung des Apothekerverbands Westfalen-Lippe hinsichtlich einer Beteiligung bei der standeseigenen Digitalgesellschaft Gedisa hat er sich eine Meinung gebildet und gibt den Apotheken einen Rat.

„Wir haben es geschafft, das Thema Apothekenplattformen anzustoßen“

DAZ: Herr Lang, der „Zukunftspakt Apotheke“ unter Beteiligung von Noweda startete 2018. Knapp ein Vierteljahr später gründete die Sanacorp zusammen mit vier anderen großen Unternehmen aus der Apothekenbranche die Initiative Pro AvO. Immer wieder wurde damals betont, man arbeite an der Branchenlösung. Ist das immer noch das Ziel, oder hat man inzwischen erkannt und akzeptiert, dass auch im Digitalmarkt Wettbewerb herrschen kann?

Lang: Als wir damals loslegten, gab es erkennbar nur die von Ihnen genannten zwei Initiativen. Die weitere Entwicklung, gerade bei Pro AvO oder auch im Hinblick auf das DAV-Portal, hat da niemand absehen können. Wir haben es also geschafft, das Thema „Apothekenplattformen“ anzustoßen. Wenn es tatsächlich die Branchenlösung gäbe, dann wäre das sicher die optimale Lösung für alle Apotheken in Deutschland. Aber der Wettbewerb hat seitdem nun mal viele Facetten entwickelt und am Ende des Tages werden die Kunden entscheiden, welche Plattform die erfolgreichste sein wird.

Haben Sie sich deshalb auch dafür entschieden, sich mit der Sanacorp-Kooperation „mea – meine apotheke“ am Zukunftspakt zu beteiligen?

Wir fixieren uns nicht nur auf eine Entscheidung, sondern bieten unseren Mitgliedern unterschiedliche Optionen an. Je nachdem wie sich die wettbewerblichen Strömungen entwickeln, haben unsere Mitgliedsapotheken dann Alternativen. Die Zusammenarbeit mit dem Zukunftspakt ist sehr vertrauensvoll und professionell. Es ist wichtig, dass wir auch hier unsere Erfahrungen machen und unsere Mitglieder einbinden. Welche Plattformlösung am Ende des Tages die erfolgreichste sein wird, kann heute niemand sagen. Dafür stehen wir noch zu sehr am Anfang.

Das heißt, Sie gehen nicht davon aus, dass es am Ende nur die eine Apothekenplattform geben wird, sondern je nach Kundenbedürfnis mehrere digitale Kanäle in die Apotheke?

Plattformen sind wichtig. Ich selbst gehe auch auf verschiedene Plattformen, wenn ich bestimmte Bedarfe habe und mich uninformiert fühle. Wenn daneben aber etablierte Kundenbeziehungen herrschen, dann wird die Kontaktaufnahme und Bestellung weniger über eine Plattform, sondern gezielt beispielsweise über die Stammapotheke laufen. Wer diese Differenzierung ignoriert, wird mit seinem Konzept scheitern. Junge, ansonsten gesunde Menschen wollen konkret ihren akuten Bedarf decken können. Für chronisch Kranke mit Polymedikation ist der Bezug zu ihrer Hausarztpraxis und Stammapotheke essenziell wichtig. Deshalb bieten wir Apotheken eben auch individuelle Digitalpräsenz im Rahmen der mea-App an. Die Plattform ist aber nicht für alle Kunden die passende Lösung.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Aufkommen der Arzneimittel-Lieferdienste – Chance oder Gefahr?

Entsprechende Pilotprojekte haben wir selbst bereits gestartet. Es läuft eine Kooperation mit einem externen, auf den Apothekenmarkt spezialisierten Partner namens Aponia. Denn, wenn wir uns konsequent am Bedarf der Kunden orientieren, dann muss das „Bringen bis an die Haustür“ eben auch darstellbar sein. Diese Erwartungshaltung ist weit verbreitet. Daher haben wir zusammen mit Aponia ein entsprechendes Konzept mit 30 Münchner Apotheken getestet und in die Umsetzung gebracht. Derzeit befinden wir uns in Vorbereitung, das Konzept in Nürnberg, Potsdam und Hamburg größer auszurollen. Wichtig ist aber: Dieser Lieferdienst darf niemals ein Ersatz für alle Leistungen darstellen, die die Individualapotheke schon heute anbietet. Es ist ein ergänzender Service, mit dem wir auf das veränderte Konsumverhalten reagieren. Übrigens ersetzen wir damit auch nicht pauschal den klassischen Apothekenbotendienst. Es ist ein optionales und individuell zugeschnittenes Modell, das die Apotheken bei erhöhtem Bedarf, Stichwort „E-Rezept“, unterstützen soll.

Es wird deutlich, dass Sie sich als Sanacorp sehr intensiv und eigenständig Gedanken gemacht haben, wie Sie Ihre Mitglieder digital unterstützen können. Das schien damals in der Anfangszeit von Pro AvO anders: Dort traten Sie als einer von fünf Partnern auf und jede Vision und jedes öffentliche Statement wurde zunächst innerhalb dieses Joint Venture abgestimmt.

Wir haben sicherlich gelernt, dass es für Gesellschafter häufig sehr schwierig ist, eigene Interessen hinter das Gemeinschaftsinteresse zu stellen. Bei Pro AvO sind es einfach sehr unterschiedliche Unternehmen. Als Sanacorp-Genossenschaft ist es sicher nicht unser Kerngeschäft, Geld zu investieren, wenn wir den Ausgang der Entwicklung am Ende des Tages nicht einigermaßen mit unserer Fachkenntnis prognostizieren können. Konkret auf Pro AvO bezogen, heißt das: Plattform bauen als Initiative – ja! Dauerhaft betreiben – eher weniger! Wir sind froh, dass wir die Initiative ergriffen haben, das Thema Apothekenplattformen für unsere Mitglieder anzustoßen. Wir sind ja auch weiterhin bei gesund.de mit einer Minderheitsbeteiligung engagiert. Wir wollen mitgestalten, sehen aber darin nicht unser Kerngeschäft.

Lang: Es wird vielleicht eine von zehn Plattformen durchstarten

Lässt sich das so ausdrücken, dass gesund.de mittlerweile zu einem Projekt von Phoenix und Noventi geworden ist und die weiteren Pro AvO-Partner so mitmachen, wie sie können und mögen?

Sicherlich. Mit den Anteilen an einer Gesellschaft verändern sich natürlich auch die Einflussmöglichkeiten der beteiligten Unternehmen. Die Bildung der Gesundheit für Deutschland GmbH & Co. KG zwischen Phoenix und Noventi hat natürlich auch eine ganz andere unternehmenspolitische Ausrichtung als die ursprüngliche Pro AvO, wo alle gleichberechtigt unterwegs waren.

Aber die Sanacorp bleibt weiterhin Gesellschafter? Oder gibt es den Plan, sich mittelfristig zu lösen?

Da gibt es Stand heute überhaupt keine Entscheidung. Wir müssen sehen, wie sich insgesamt diese Geschäftsmodelle weiterentwickeln, weil wir noch ganz am Anfang stehen. Der Wettbewerb zwischen den Plattformen beginnt erst jetzt – maßgeblich forciert durch die zur Verfügung stehenden Werbebudgets. Es gibt also momentan noch kein Entweder-oder. Wir favorisieren eher das Schweizer Modell: Neutral unterwegs sein und die Grenzen nach allen Seiten offen halten.

Als genossenschaftliches Unternehmen muss es Ihnen im Interesse Ihrer Mitglieder aber darum gehen, dass sich neue Geschäftsfelder letztlich rentieren. Nun hat die Sanacorp ja bereits investiert. Muss man das dann nicht doch kritisch überprüfen?

Wie gesagt, je nach Gesellschafteranteil kommen die Interessen der beteiligten Unternehmen ganz unterschiedlich zum Vorschein. Wir überprüfen natürlich auch das Investment, aber es wäre zum jetzigen Zeitpunkt viel zu früh zu sagen, es hat keine Relevanz mehr. Wenn das Projekt nämlich erfolgreich wird, sind Sie auch mit einer kleinen Beteiligung noch ordentlich dabei.

Die standeseigene Digitalgesellschaft Gedisa wird bekanntlich auch nicht von allen Apothekerverbänden ohne Kritik unterstützt. Der Apothekerverband Westfalen-Lippe hat sich zuletzt gegen eine Mitwirkung und Finanzierung entschieden. Es fehle ein valider Businessplan und damit auch die Perspektive, was mit welcher Investition überhaupt erreicht werden kann. Was raten Sie in diesem Fall? Sollten die Apothekeninhaber in Westfalen-Lippe dieses Risikoinvestment eingehen?

Genau das wäre meine Empfehlung. Man muss sich bewusst machen, dass Plattforminitiativen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht erfolgreich sein können. Das ist einfach so. Wenn Sie neue Geschäftsmodelle etablieren, dann wird am Ende vielleicht eines von zehn durchstarten. Es wird nicht passieren, dass innerhalb weniger Jahre ein Profit generiert wird. Bei digitalen Initiativen dauert es einfach lange von „gedacht“ zu „etabliert“. Ich kann nur jedem raten, sich einen langen Atem zuzulegen. Ich finde es absolut sinnvoll und notwendig, wenn die Apothekenorganisationen versuchen, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir auch mit dieser Initiative in Gesprächen sind. Jedes Digitalprojekt ist erst mal gut, wenn es die Interessen der Vor-Ort-Apotheken vertritt. Die strategische Entscheidung, dieses Risikoinvestment zu tätigen, halte ich daher für absolut sinnvoll.

Herr Lang, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Dr. Herbert Lang ist seit 1997 für die Großhandelsgenossenschaft Sanacorp tätig. Mehr als sieben Jahre trug er als Mitglied des Vorstands die Verantwortung für die Ressorts Vertrieb und Marketing. Zum 1. Juli 2010 trat er dann die Nachfolge von Manfred Renner als Vorstandsvorsitzender an. In die Ressortverantwortung Langs fallen die Bereiche Unternehmensplanung, Finanz- und Rechnungswesen, Controlling, Revision und Unternehmenskommunikation. Im Februar 2016 übernahm er zusätzlich interimistisch das Ressort Personal sowie die Funktion des Arbeitsdirektors mit und zeichnet außerdem im deutsch-französischen Gemeinschaftsunternehmen Sanastera als Vorstandsvorsitzender verantwortlich. Herbert Lang studierte an der Universität Passau Betriebswirtschaftslehre, wo er auch in Gesundheitsökonomie promovierte. Danach startete der gebürtige Niederbayer direkt seine berufliche Laufbahn bei der Sanacorp.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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