Telemedizin und Arzneimittelversand

„Das Edikt von Salerno wird ausgehebelt“

Berlin - 22.02.2022, 13:45 Uhr

Wirtschaftliche Verquickungen von Telemedizinanbietern und Arzneimittelversendern rücken nun auch in den Fokus der Freien Ärzteschaft. (c / Foto: IMAGO / Shotshop) 

Wirtschaftliche Verquickungen von Telemedizinanbietern und Arzneimittelversendern rücken nun auch in den Fokus der Freien Ärzteschaft. (c / Foto: IMAGO / Shotshop) 


Dass sich Douglas den Arzneimittelversender Disapo einverleibt, hat auch die Freie Ärzteschaft auf den Plan gerufen. Der Verband wehrt sich gegen Großkonzerne, die den bevorstehenden E-Rezept-Start als Trittbrett in den Gesundheitsmarkt missbrauchen wollen. Die erste Vorsitzende der Freien Apothekerschaft sucht jetzt den Schulterschluss mit den Ärzten: Daniela Hänel will sich mit ihnen gemeinsam gegen Kooperationen wehren, die mit ihren Praktiken geltendes Recht umschiffen.

Den Einstieg der Parfümeriekette Douglas in den Arzneimittelmarkt betrachten nicht nur Apotheker:innen mit Sorge: Er hat auch die Freie Ärzteschaft aufgeschreckt, die jüngst insbesondere vor Kooperationen von Telemedizinanbietern und Arzneimittelversendern warnte. Der Verband warnt davor, der geplante E-Rezept-Start könne „zum Türöffner für die Übernahme des ambulanten Medizinbetriebes durch Großkonzerne“ werden.

Dass nun auch ein ärztlicher Verband öffentlich Stellung bezieht und sich klar gegen solche Verquickungen ausspricht, begrüßt wiederum die Freie Apothekerschaft (FA). Deren erste Vorsitzende Daniela Hänel bringt es jetzt in einem DAZ-Leserbrief auf den Punkt: „Das Edikt von Salerno wird ausgehebelt“.

Die strikte Trennung zwischen Arzneimittelverordner und -distributeur hat das Ziel, Menschen vor unnötigen Verschreibungen zu schützen. Wer ein Rezept ausstellt, soll demnach nicht an der Abgabe des Medikaments verdienen. Spätestens die Übernahme des Telemedizinanbieters Teleclinic durch den DocMorris-Mutterkonzern Zur Rose im Sommer 2020 stellte dieses Prinzip infrage. „Dieser Entwicklung hin zu einer rein ökonomischen und gewinnorientierten Zielsetzung muss ein Ende gesetzt werden“, schreibt Hänel. „Auch ein gesamtwirtschaftlicher Schaden wird in Deutschland hervorgerufen, weil Umsätze im Ausland gefördert werden.“

„Ärzte und Apotheker sitzen im selben Boot“

Während die Ärzteschaft seinerzeit den Teleclinic-Deal noch weitgehend gelassen hinnahm, scheint sich das inzwischen geändert zu haben – völlig zu Recht, meint Hänel. „Ärzte und Apotheker sitzen im selben Boot, denn wie die Zuwächse im Fernabsatz ohne Beratung zeigen, macht diese Art der Digitalisierung auch vor dem Berufsstand der Ärzte nicht Halt.“ Elektronische Verordnungen, etwa vom Telemedizinanbieter Zava, fänden inzwischen regelmäßig ihren Weg in die Apotheke vor Ort – wahrscheinlich aber noch viel öfter in die Niederlanden zu den dort ansässigen Versendern, vermutet die FA-Vorsitzende. „Schließlich wurde letztens erst mit Erfolg verkündet, dass über 250.000 Verordnungen ausgestellt wurden.“

„Solange der Rubel rollt, ist alles ok“

Diese Rezepte über PDE-5-Hemmer, Hormone, Antibiotika oder inhalative Beta-Blocker werden Hänel zufolge unkontrolliert über ein paar Klicks erstellt und nach einer gewissen Zeitspanne, die hauptsächlich durch das Personal der Lieferdienste determiniert wird, liegt das Paket im Briefkasten, ohne dass der Patient je Kontakt zu medizinischem Personal hatte. „Patientensicherheit? Fehlanzeige! Eher freie Auswahl aus dem Sammelsurium an hochwirksamen Arzneimitteln.“


Und wer gebietet Einhalt? Wer prüft die wahrheitsgemäßen Angaben des Online-Bestellers? Nebensache! Solange der Rubel rollt, ist alles ok.“

Daniela Hänel, erste Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, in einem DAZ-Leserbrief


Ob Teleclinic, Zava, Dr. Ansay, GoSpring oder andere Plattformen – sie alle beugen aus Hänels Sicht geltendes Recht, um mit elektronischen Krankschreibungen und Arzneiverordnungen zu verdienen. „Teilweise erfolgt dies auch unter Zuhilfenahme von Ärzten, denen es lukrativ erscheint, vor dem Bildschirm Pseudoverordnungen auszustellen, ohne die Patienten hierfür persönlich zu untersuchen.“ Diese Fachkräfte fehlten wiederum vor Ort für eine flächendeckende Gesundheitsversorgung.

Bedrohung für Versorgungsstrukturen

Die Einführung des E-Rezepts spiele solchen Anbietern in die Karten. Letztlich, warnt Hänel, werden dadurch die Strukturen, die für eine „echte“ Versorgung notwendig sind, zerstört. „Auch die Zunahme der Arzneimittelintoxikationen und Falschbehandlungen steigen dadurch zunehmend, eine Gefahr für Leib und Leben. Dieser Entwicklung dürfen wir nicht einfach zusehen!“

Die Vorsitzende der Freien Apothekerschaft will jetzt mit der Freien Ärzteschaft gemeinsame Sache machen, um die Politik wachzurütteln und solchen Geschäftsmodellen Einhalt zu gebieten. Gemeinsam könne man mehr erreichen, als jede Gruppe für sich allein, betont Hänel. „Und letztendlich geht es uns allen auch darum, eine berufliche Perspektive für junge Kollegen/innen zu bieten und ein funktionierendes Versorgungssystem in Deutschland zu erhalten.“

Den vollständigen Brief finden Sie in der DAZ-Ausgabe 8/2022.



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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6 Kommentare

Das Edikt von Salerno wird ausgehebelt

von Ingrid Schierle am 22.02.2022 um 19:57 Uhr

Die Angriffe auf unser Versorgungssystem werden immer dreister, denn wohin man auch schaut, formieren sich die Glücksritter, die das große Geld im deutschen Gesundheitswesen wittern. Geld ist die einzige Triebfeder hinter diesen Bestrebungen, Patientensicherheit und eine flächendeckende Versorgung Nebensache.
Hier sind die Ärzte genauso betroffen, wie die Apothekerschaft, so dass ein Schulterschluss die logische Konsequenz sein muss!
Ach ja, wer zu diesem Thema hämische Kommentare abgibt, hat gar nichts kapiert.

» Auf diesen Kommentar antworten | 4 Antworten

AW: Das Edikt von Salerno wird ausgehebelt

von Dr. House am 23.02.2022 um 14:14 Uhr

Also darf das Edikt von Salerno nur ausgebhebelt werden, sobald es uns Apothekern nützt? Ich will ja mit meinem bösen Kommentar nur anmerken, dass uns die Argumentationsgrundlage flöten geht, wenn wir ausgerechnet bei einem so essentiellen Thema doppelmoralisch agieren....

AW: Das Edikt von Salerno wird ausgehebelt

von Marie Bauer am 23.02.2022 um 14:51 Uhr

Lieber Dr. House,
hinkt der Vergleich mit dem Impfen nicht ganz schön? Es gibt eine allgemeine Empfehlung, wer sich Impfen lassen soll und wer nicht. Diese Entscheidung trifft auch nicht der Apotheker, sondern der Patient selbst. der Apotheker führt nur aus.
Wenn aber Verordnung und Arzneimittel aus einer Hand kommen, ist das anders. Dann kann der Verordnende mit vielen (möglicherweise unnötigen oder hochpreisigen) Verschreibungen natürlich seinen Gewinn steigern. Hier gibt es ja keine Vorgabe von außen.

AW: Das Edikt von Salerno wird ausgehebelt

von Ingrid Schierle am 23.02.2022 um 15:58 Uhr

Wo ist hier eine Doppelmoral in der Argumentation?

Ich schließe mich Frau Bauer an, die Ihnen die Intention des Edikts von Salerno ja nochmal wunderbar erklärt hat.

Viel gravierender ist doch die Tatsache, dass kapitalträchtige Gesellschafter auf den deutschen Gesundheitsmarkt drängen und sich an lukrativen Standorten die Rosinen aus dem Kuchen picken, während die defizitären Aufhaben bei den Vor-Ort-Apotheken hängen bleiben, die letztendlich nach und nach aufgeben.
Eine Verbesserung der Versorgungsstruktur wird so jedenfalls nicht erreicht, sondern das Hausärzte- und Apothekennetz ausgedünnt.

AW: Das Edikt von Salerno wird ausgehebelt

von Dr. House am 23.02.2022 um 16:32 Uhr

@ Marie Bauer: komisch, als ich grade geguckt hab, waren sämtliche Impfstoffe noch verschreibungspflichtig, aber wenn sie die Verantwortung gerne an die Patienten übertragen möchten bitteschön. Dann aber bitte auch bei Tramadol und Co...

Jawoll

von Dr. House am 22.02.2022 um 14:59 Uhr

Huch, mein Fehler - ich dachte bei der Überschrift es geht ums Impfen in der Apotheke...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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