Zulassungserweiterung für Glucophage

Metformin nun auch in der Schwangerschaft zugelassen

Stuttgart - 02.03.2022, 10:45 Uhr

Als medikamentöse Therapie können Schwangere mit Diabetes künftig neben Insulin auch Metformin anwenden: Merck hat die Zulassungserweiterung für Glucophage, Glucophage XR und Stagid erhalten. (x / Foto: fovito / AdobeStock)

Als medikamentöse Therapie können Schwangere mit Diabetes künftig neben Insulin auch Metformin anwenden: Merck hat die Zulassungserweiterung für Glucophage, Glucophage XR und Stagid erhalten. (x / Foto: fovito / AdobeStock)


Metformin ist auch in der Schwangerschaft sicher – für die Schwangere und das Baby: kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen oder Fetotoxizität. Merck hat die Zulassungserweiterung für Glucophage, Glucophage XR und Stagid erhalten und Schwangere mit Diabetes können Metformin künftig anwenden.

Metformin bildet eine tragende Säule in der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus: Typ-2-Diabetiker (Erwachsene) nehmen das orale Antidiabetikum als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Antidiabetika beziehungsweise Insulin, auch Kinder ab zehn Jahren dürfen Metformin erhalten (Mono- oder Kombinationsbehandlung mit Insulin). Was bislang fehlte, war die Zulassung von Metformin für Schwangere – das hat sich nun geändert: Merck erhielt für seine Metforminprodukte Glucophage®, Glucophage XR® und Stagid® die Zulassungserweiterung, sodass künftig auch Schwangere mit Diabetes von Metformin profitieren können. Die Zulassung umfasst die Anwendung von der Empfängnis bis zur Geburt. Glucophage® mit Metforminhydrochlorid sowie Stagid® setzen den Wirkstoff sofort frei, während Glucophage XR® mit Metformin-HCL den Wirkstoff verzögert abgibt.

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Stoffwechsellage beeinflusst das Risiko für Fehlgeburten

Schuld ist der Diabetes, nicht Metformin

Neben Bewegung und Ernährungstherapie kam bei Gestationsdiabetes derzeit als Arzneimittel lediglich Insulin zur Anwendung. Merck konnte anhand einer registerbasierten Kohortenstudie CLUE zeigen, dass auch eine antidiabetische Therapie mit Metformin für die Schwangere und das Baby sicher und wirksam ist: Kinder von mehr als 4.000 Metformin-exponierten Schwangeren wurden hierfür über elf Jahre nachbeobachtet, zudem berücksichtigt die Zulassung unabhängige wissenschaftliche Publikationen zur Anwendung von Metformin in der Schwangerschaft. „Sie alle bestätigten, dass nach Metformin-Exposition zum Zeitpunkt der Empfängnis und während der gesamten Schwangerschaft kein erhöhtes Risiko für angeborene Fehlbildungen oder Fetotoxizität/neonatale Toxizität besteht“, erklärt Merck. Spätfolgen für das Kind (z. B. bezüglich geistiger Entwicklung und Körpergewicht) seien bislang nicht bestätigt.

Bezogen auf das Geburtsgewicht des Babys war dieses beim plazentagängigen Metformin geringer als unter Insulin, auch der Blutzuckerabfall der Neugeborenen direkt nach Geburt war geringer.

Die Zulassung wurde im Rahmen eines europäischen Worksharing-Verfahrens erteilt.

Insulin und Metformin in der Blutzuckerkontrolle gleichwertig

Am Work-Sharing-Verfahren beteiligten sich mehrere europäische Gesundheitsbehörden und erstellten eine Nutzen-Risiko-Analyse zur Anwendung von Metformin für Mutter und Kind. Dabei ging es vor allem um die Behandlung von Prägestations- und Gestationsdiabetes: Metformin erreichte bei der Schwangeren eine vergleichbare Blutzuckerkontrolle wie Insulin, war laut Merck diesem aber in Hinblick auf Gewichtszunahme während der Schwangerschaft überlegen. Zusätzlich sei die Anwendung von Metformin während der Schwangerschaft mit einem geringeren Risiko für schwangerschaftsinduzierte Hypertonie und Präeklampsie assoziiert gewesen. In Kombination mit Insulin konnte Metformin bei Prägestationsdiabetes signifikant die erforderliche Insulindosis senken, ebenso das Risiko für eine schwere Hypoglykämie.

Kombination mit Insulin möglich

Sollte mit der alleinigen Gabe von Metformin die Schwangere keine zufriedenstellende Blutzuckerkontrolle erreichen, kann Metformin auch mit Insulin kombiniert werden, oder es wird auf eine reine Insulintherapie umgestellt.

Wie häufig ist Diabetes in der Schwangerschaft?

Dass alternative Behandlungen zu Insulin wahrscheinlich auf fruchtbaren Boden stoßen – zumal Schwangere Metformin oral anwenden können und nicht wie Insulin spritzen müssen –, zeigen Zahlen zur Prävalenz des Gestationsdiabetes: Dem IDF Diabetes Atlas (10. Edition, 2021) zufolge kam es 2021 bei 21,1 Millionen Lebendgeburten weltweit (16,7 Prozent) während der Schwangerschaft zu einer Hyperglykämie. In Europa entwickeln 3 bis 7 Prozent aller Schwangeren einen Gestationsdiabetes. Auch gibt es Frauen, die bereits vor Schwangerschaft Typ-2-Diabetikerin sind, das ist bei etwa 1 Prozent der Schwangerschaften der Fall. Um diabetische Stoffwechsellagen bei der Schwangeren zu erkennen, sollte jede Schwangere zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche einen oralen Glucosetoleranztest durchführen, bei dem der Gynäkologe überprüft, welchen Effekt 75 g Glucose auf den Blutzuckerspiegel der werdenden Mutter hat.

Erhöhtes Risiko für Präeklampsie und Schäden beim Baby

Es ist tatsächlich wichtig, eine hyperglykämische Stoffwechsellage in der Schwangerschaft zu erkennen und in den Griff zu bekommen, wenn nicht medikamentöse Maßnahmen versagen, mithilfe von Insulin und nun auch Metformin. So haben Schwangere mit Diabetes ein erhöhtes Risiko für Komplikationen – unter anderem hoher Blutdruck, einschließlich der Gefahr einer Präeklampsie, und einem für das Schwangerschaftsalter zu großen Baby, was eine normale Geburt erschwert. Zudem ist das Baby anfälliger für Knochenbrüche, Nervenschäden sowie für Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2.

Freispruch für Metformin

Erst 2018 fanden Wissenschaftler in einer Studie heraus, veröffentlicht wurde sie im British Journal of Clinical Pharmacology, dass Diabetikerinnen, die während ihrer Schwangerschaft Metformin eingenommen hatten, häufiger Spontanaborte und Totgeburten erlitten oder ihre Kinder große Fehlbildungen aufwiesen: 5 Prozent der Kinder, deren Mütter im ersten Trimenon Metformin eingenommen hatten, kamen mit großen Geburtsdefekten zur Welt. In der Kontrollgruppe waren es 2 Prozent, was einem rund 70 Prozent erhöhten Risiko entspricht. Fehl- und Totgeburten traten bei rund 21 Prozent der Frauen in der Metformin-Gruppe auf und bei etwa 11 Prozent der Frauen in der Kontroll-Gruppe, was ein um rund 60 Prozent erhöhtes Risiko bedingt.

Allerdings: Diese Verteilung zeigte sich nur, wenn man die Indikationen Gestationsdiabetes und polyzystisches Ovarialsyndrom zusammen auswertete. Separat betrachtet, betrug das Risiko für einen großen Geburtsdefekt bei Frauen mit Gestationsdiabetes 8 Prozent und etwa 2 Prozent bei Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom (jeweils unter Metformin), und letzteres Risiko war damit gleich groß wie in der Kontrollgruppe. Bei Tot- und Fehlgeburten lag das Risiko unter Metformin für Frauen mit Gestationsdiabetes bei rund 24 Prozent, bei anderen Indikationen bei etwa 17 Prozent, was eine Diskrepanz zur Kontrollgruppe zeigt (11 Prozent). Eine mög­liche Erklärung könnte sein, dass Frauen, die Metformin aufgrund eines polyzystischen Ovarialsyndroms einnehmen, an sich schon ein nachweislich höheres Risiko für Spontanaborte aufweisen.

Die Wissenschaftler gingen somit davon aus, dass das erhöhte Risiko für große Geburtsdefekte sowie für Spontanaborte und Fehlgeburten auf den Diabetes zurückzuführen ist und nicht auf den Wirkstoff Metformin.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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