FDA warnt

Karies und Zahnverlust unter Buprenorphin sublingual

Stuttgart - 21.03.2022, 07:00 Uhr

Die FDA warnt vor schweren Zahnproblemen bei sublingualer Buprenorphintherapie, wie bei Schmerzen oder zur Substitution. Was können Buprenorphinpatienten tun, um das Risiko für Zahnprobleme zu verringern? (Foto: sebra / AdobeStock)

Die FDA warnt vor schweren Zahnproblemen bei sublingualer Buprenorphintherapie, wie bei Schmerzen oder zur Substitution. Was können Buprenorphinpatienten tun, um das Risiko für Zahnprobleme zu verringern? (Foto: sebra / AdobeStock)


Schwere Zahnprobleme bis hin zum Zahnverlust können Folge einer Therapie mit sich im Mund auflösendem Buprenorphin sein. Was beugt Zahnschäden unter sublingualer und bukkaler Buprenorphintherapie bei Schmerzen oder Opioidabhängigkeit vor?

Verursacht sublinguales Buprenorphin Zahnprobleme? Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA warnt vor Zahnproblemen bei Buprenorphin-haltigen Arzneimitteln, die sich im Mund auflösen: Der Food and Drug Administration liegen Berichte vor über Karies und Löcher in den Zähnen, Zahnverlust und Infektionen im Mundraum, die teils „schwerwiegend“ waren und vor allem auch Buprenorphinpatienten betrafen, die vor Therapie keine Zahnprobleme gehabt hatten. Die FDA betont jedoch, dass trotz dieser Risiken Buprenorphin eine „wichtige Behandlungsoption der Opioidabhängigkeit“ sei und der Nutzen „eindeutig“ diese Risiken überwiege.

Zahnprobleme auch bei zuvor Zahngesunden

Ihre Warnung stützt die FDA auf insgesamt 305 Fälle (131 schwerwiegend; 43 Prozent) aus der medizinischen Literatur und der Nebenwirkungsdatenbank der FDA (FAERS – FDA Adverse Event Reporting System), bei denen Zahnprobleme im Zusammenhang mit der transmukosalen (sublingual oder bukkal) Anwendung von Buprenorphin berichtet worden waren. Berücksichtigt hat die FDA Daten, die bis zum 31. Dezember 2018 veröffentlicht wurden. Dabei räumt die FDA ein, dass Opioidabhängige (OUD – Opioid Use Disorder) „möglicherweise“ allgemein mit höherer Inzidenz unter schlechter Zahngesundheit leiden könnten. Allerdings: In einigen Fällen (n=26; 8,5 Prozent) konnte die FDA auch schwere Zahnprobleme bei Patienten entdecken, die zuvor keine Beschwerden gehabt hatten. Zudem seien schwerwiegende zahnmedizinische Nebenwirkungen auch bei Patienten aufgetreten (n=28; 9,2 Prozent) – wenn auch seltener –, die Buprenorphin zur Schmerzbehandlung und nicht als Substitutionsmittel einnahmen (oder zumindest die Indikation „Schmerz“ nannten).

Zahnfrakturen und vollständiger Zahnverlust

Der FDA zufolge wurde „in vielen Fällen“ eine Kombination aus Karies, Zahnverlust und Zahnfrakturen gleich an mehreren Zähnen diagnostiziert – in 113 Fällen (37 Prozent) waren zwei und mehr Zähne betroffen, teilweise sogar elf bis zwölf, „alle oberen“, „alle unteren“ und bei elf Patienten sogar alle Zähne. Etwa bei der Hälfte der Patienten (151 von 305) lagen Informationen zur durchgeführten Behandlung vor – meistens Zahnextraktionen (n=71), aber auch Wurzelbehandlungen, chirurgische Eingriffe und restaurative Verfahren wie das Aufsetzen von Kronen und Einsetzen von Implantaten. Im Mittel waren die Patienten knapp 42 Jahre alt (zwischen 18 und 71 Jahre) und im Median dauerte es rund 24 Monate (zwischen zwei Wochen und etwa 15 Jahre), bis die Diagnose gestellt wurde.

Buprenorphin nicht einfach absetzen

Wie sollen Patienten unter Buprenorphintherapie mit dieser Information nun umgehen? Patienten sollten die Einnahme von Buprenorphin wie verordnet weiterführen und die Anwendung nicht plötzlich und ohne ärztliche Rücksprache beenden. Die FDA warnt bei plötzlichem Absetzen vor Entzugssymptomen und den damit verbundenen Gefahren eines Rückfalls mit Überdosierungen und Tod. „Für Menschen, die an Opioidabhängigkeit leiden, überwiegen die Vorteile der Anwendung von Buprenorphin-haltigen Arzneimitteln eindeutig die Risiken. Buprenorphin sollte in Verbindung mit Beratung und Verhaltenstherapien in Betracht gezogen werden“, erklärt die FDA. Dieser Ansatz einer Medikament-gestützten Beratung und Verhaltenstherapie (MAT, Medication-assisted Treatment) sei eine der wirksamsten Methoden zur Behandlung der Opioidabhängigkeit, weil dadurch das Verlangen nach Opioiden reduziert werde (Craving), Missbrauch und Überdosierungen verringert würden, das Überleben der Patienten verbessert und ihnen ermöglicht, ein selbstbestimmteres Leben (einschließlich eines ständigen Arbeitsplatzes) zu führen.

Mund mit Wasser nachspülen und regelmäßig zum Zahnarzt

Dennoch hat die FDA Tipps auf Lager, die das Risiko für Zahnprobleme unter sublingualem Buprenorphin zumindest verringern sollen. So rät sie Patienten, nachdem sich die Buprenorphintablette im Mund vollständig aufgelöst hat, den Mund mit einem großen Schluck Wasser zu spülen und diesen dann zu schlucken. Mit dem Zähneputzen sollte zudem mindestens eine Stunde gewartet werden, um Schäden (durch Putzen) an den Zähnen zu vermeiden. Die FDA empfiehlt – besonders bei bereits bestehenden Zahnproblemen in der Vergangenheit –, den Zahnarzt über die Einnahme von Buprenorphin zu informieren, regelmäßige Zahnarztbesuche während der Anwendung wahrzunehmen und bei Zahn- oder Zahnfleischproblemen den behandelnden Zahnarzt sofort zu benachrichtigen. Substitutionsärzte sollen ihre Patienten außerdem über die Möglichkeit schwerwiegender Zahnprobleme aufklären und eine zusätzliche zahnärztliche Grunduntersuchung zur Bewertung des Kariesrisikos empfehlen.

Jeder vierte Substitutionspatient erhält Buprenorphin

Dem jüngsten Substitutionsbericht des BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) vom Januar 2021 zufolge, erhielten in Deutschland 2020 zwischen 81.000 und 81.600 Menschen eine Substitutionstherapie. Die meisten Ärzte verordneten dabei Levomethadon (36,8 Prozent) und Methadon (36,6 Prozent), wobei Levomethadon 2020 erstmals den Anteil von Methadon überschritt. Der Anteil von Buprenorphin hingegen ist dem Bericht zufolge seit Jahren konstant und liegt bei etwa 23 Prozent. Anders in den Vereinigten Staaten. Der FDA zufolge steigt die Zahl der Substitutionspatienten, die orales Buprenorphin einnehmen in den letzten Jahren. So erhielten nach Schätzungen der FDA (anhand von Verordnungen aus Apotheken) 2014 noch elf Millionen Patienten Buprenorphin, 2020 waren es bereits 16 Millionen gewesen.

Das Besondere an Buprenorphin

Buprenorphin ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Opioide, bindet sehr stark an Opioidrezeptoren und wirkt als ein sogenannter Partialagonist, das bedeutet: Buprenorphin wirkt am µ-Opioidrezeptor zwar verstärkend, allerdings kann der Wirkstoff im Gegensatz zu einem vollen Agonisten (wie Morphin, Heroin) den Rezeptor nur unvollständig aktiveren – aber Buprenorphin kann Morphin und Heroin (weil es so stark bindet) dafür vom Rezeptor verdrängen. Am κ-Opioidrezeptor wirkt Buprenorphin als Partialagonist und zusätzlich als Antagonist (Gegenspieler). Aus diesem Grund muss beim Umstellen von beispielsweise Methadon auf Buprenorphin bei Substitutionspatienten ein Zeitfenster eingehalten werden – denn: Verdrängt Buprenorphin Methadon vom Rezeptor, wirkt dort aber weniger stark, kommt der Patient in einen Entzug.

Neben der gewünschten schmerzhemmenden und hustenreizstillenden Wirkung löst Buprenorphin, wie andere Opioide auch, jedoch Nebenwirkungen aus: Atemdepression. Allerdings zeigt Buprenorphin eine Besonderheit bei der unerwünschten und unter Umständen lebensbedrohlichen Atemdepression, und zwar den sogenannten Ceiling-Effekt. Das heißt: Das Ausmaß der atemdepressiven Wirkung ist begrenzt, und trotz Dosissteigerung verschlechtert sich die Atemdepression (und damit die Gefahr des Erstickens) kaum. Diese besonderen pharmakologischen Eigenschaften von Buprenorphin sind durchaus vorteilhaft für die Therapie von Substitutionspatienten und von Schmerzpatienten. Buprenorphin gilt als sicherer bei Überdosierungen, die bei vergleichbarer schmerzhemmender Dosierung von Morphin tödlich wären.

Buvidal: Buprenorphin als Depotspritze

Als sublinguale Tablette findet Buprenorphin Anwendung bei starken und sehr starken Schmerzzuständen (zum Beispiel Temgesic® sublingual) – wie nach Operationen und Verletzungen, bei Herzinfarkt und Tumoren – und zur Substitutionstherapie bei Opioidabhängigkeit (zum Beispiel Subutex® oder Suboxone® Sublingualfilm). Zur Schmerztherapie liegt Buprenorphin auch als transdermales Pflaster oder zur Injektion vor.

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Seit November 2018 (EU-Zulassung) gibt es neben schnellwirksamen Buprenorphinformulierungen für die Substitutionsbehandlung auch Buvidal®, ein Depotpräparat, das ermöglicht, dass Patienten ihre Drogenersatzdosis lediglich wöchentlich oder gar nur monatlich als subkutane Injektion erhalten. Das soll durch das Wegfallen täglicher Arztbesuche (um das Substitutionsmitteln unter Aufsicht einzunehmen) eine selbstbestimmte Lebensführung der Substitutionspatienten ebenso wie die gesellschaftliche Wiedereingliederung verbessern.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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