Interview mit Dirk Heidenblut (SPD)

„Ich halte es nicht für gesetzt, dass sich beim Fixhonorar nichts tun wird“

Berlin - 09.05.2022, 07:00 Uhr

SPD-Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut sprach mit der DAZ über seine Vorstellungen zur Stärkung der Apotheke vor Ort. (b/Foto: IMAGO / Sven Simon)

SPD-Gesundheitspolitiker Dirk Heidenblut sprach mit der DAZ über seine Vorstellungen zur Stärkung der Apotheke vor Ort. (b/Foto: IMAGO / Sven Simon)


Was können die Apotheken von der Ampelkoalition erwarten? Darüber hat sich die DAZ mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Dirk Heidenblut unterhalten, der in seiner Fraktion für Apotheken zuständig ist. Im Gespräch erklärt er, warum er nichts von einem höheren Kassenabschlag hält. Um die Apotheke vor Ort zu stärken, müsse die Finanzierung stimmen und es müsse attraktive Arbeitsplätze geben. Auch das Fixhonorar ist für Heidenblut nicht unantastbar. 

DAZ: Herr Heidenblut, Sie sind seit dieser Wahlperiode im Bundestagsgesundheitsausschuss Berichterstatter ihrer Fraktion für Apotheken. Welche Berührungspunkte haben Sie mit Apotheken?

Heidenblut: Das sind einige! Zwar bin ich jetzt neu als Berichterstatter, aber ich habe mich schon in den letzten Jahren mit Apotheken beschäftigt. Weil ich auch schon vorher für Drogen und Sucht zuständig war, hatte ich zum Beispiel mit Apothekern und Apothekerinnen zu tun, die in Methadonprogrammen mitmachen oder Cannabis als Medikament abgeben. Ich war zudem bei diversen Kongressen und Veranstaltungen der Apotheker in Nordrhein. Und als wir seinerzeit Probleme bei den zytostatikaherstellenden Apotheken hatten, war ich ebenfalls eingebunden. Ich kenne also schon einige Apothekenbereiche, aber noch nicht alle. Tatsächlich habe ich mich in dieser Legislaturperiode bemüht, dass Thema Apotheken dazu zu bekommen, weil ich es sehr interessant finde. 

Mit dem Pflegebonusgesetz wollen Sie die Grippeimpfung in der Apotheke zur Regelleistung machen. Die Modellprojekte und die COVID-19-Impfungen in Apotheken haben Sie also überzeugt?

Ja, das haben sie. Das klappt bisher alles gut und ich finde, wir sollten Apotheken daher noch stärker ins Impfgeschehen einbinden. Denn die Impfzahlen sind rückläufig und die Apotheken bieten einen weiteren, niedrigschwelligen Zugang, den hoffentlich viele Menschen gerne nutzten werden. Damit die Apotheken rechtzeitig für die kommende Saison bereit sind, mussten wir rechtzeitig vor der Grippewelle aktiv zu werden. Der Änderungsantrag kam jetzt etwas hopplahop – aber das Pflegebonusgesetz schien uns das beste Gesetzgebungsverfahren, um ihn dort anzuhängen. Noch ist er keine beschlossene Sache, aber ich hoffe, wir werden ihn am Ende im Gesetz stehen haben.

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Gibt es bei Ihnen – oder in den Regierungsfraktionen – Ambitionen, die erleichterten Abgaberegeln der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung zu verstetigen? Im BMG heißt es, dies werde noch geprüft – aber es könnten doch auch die Fraktionen aktiv werden.

Nach meiner Kenntnis werden die Regeln zumindest verlängert. Ich persönlich finde, wir sollten versuchen, sie in die Zukunft zu retten. Ich denke dabei vor allem an die Sonderregelungen im Bereich der Substitution, die vieles einfacher gemacht haben. Hier hatten wir schon lange über Verbesserungen nachgedacht, zumal wir nicht mehr so viele Ärzte und Ärztinnen vor Ort haben, die die Versorgung der Suchtkranken stemmen können oder wollen. Aber natürlich sind auch an die anderen flexiblen Vorgaben für nicht vorrätige oder nicht lieferbare Arzneimittel sinnvoll.  Eine 1:1-Übernahme wird es wohl nicht geben, Details kann man aber noch besprechen. Jedenfalls haben wir in der Pandemie gesehen, dass sich Horrorszenarien, die sich manche angesichts der größeren Flexibilität der Apotheken ausgemalt haben, nicht bewahrheitet haben. Die Apothekerinnen und Apotheker sind mit den Möglichkeiten sehr solide umgegangen. Und es ist auch ein Service für die Patientinnen und Patienten, wenn sie nicht mehrfach in die Apotheke kommen müssen, sondern gut beraten auch etwas anderes bekommen können.

Kürzlich wurde ein inoffizieller Referentenentwurf für ein GKV-Stabilisierungsgesetz publik. Wie haben Sie die darin verarbeiteten Sparvorschläge aufgenommen?

Einige der Regelungen im Pharmabereich haben nicht sehr überrascht, sie kamen durchaus erwartet und finden sich auch im Koalitionsvertrag angelegt. Was allerdings den für die Apotheken relevanten Kassenabschlag betrifft, war ich schon verblüfft – zumal wir Vor-Ort-Apotheken stärken wollen. Da hätte ich normalerweise nachgebohrt, aber der Referentenentwurf ist ja sehr schnell wieder verschwunden. Jetzt warte ich erst einmal ab, ob die Regelung in einem neuen Entwurf noch zu finden ist. Dieser soll dem Bundesgesundheitsminister zufolge in Kürze kommen. Ich hoffe, der Abschlag steht dann nicht mehr im Fokus.

(Foto: IMAGO / Christian Spicker)

Dirk Heidenblut, 1961 in Essen geboren, hat Jura studiert. Seit 1987 ist er Geschäftsführer beim Arbeiter-Samariter-Bund in Essen. Von 2009 bis 2013 war er Mitglied und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Essen; von 2010 bis 2013 Mitglied der SPD-Fraktion im Landschaftsverband Rheinland. 

Heidenblut wurde 2013 erstmals als Direktkandidat seines Wahlkreises Essen in den Bundestag gewählt. In den Jahren 2017 und 2021 erreichte er das Direktmandat erneut. In der laufenden Legislaturperiode ist er ordentliches Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags. Dort ist er für seine Fraktion als Berichterstatter für Psychiatrie/Psychotherapie, Drogen/Sucht, Apotheken, Inklusion und Gesundheit sowie ambulante intensivmedizinische Versorgung tätig.

Außerdem ist er stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales.


„Wir müssen die Apotheken unterstützen, ihre Situation zu wuppen“

Halten Sie die Idee eines erhöhten Kassenabschlags der Apotheken angesichts der für alle steigenden Kosten für politisch durchsetzbar – vor allem, wenn sich am Fixhonorar nichts verändern sollte?

Ich halte das für einen schwierigen Weg, den ich nicht gehen wollen würde. Mit aller gebotenen Vorsicht würde ich aber auch sagen:  Ich halte es nicht für gesetzt, dass sich beim Fixhonorar nichts tun wird. Ich glaube, wir müssen die Apotheken unterstützen, ihre Situation zu wuppen – auch vor dem Hintergrund des massiven Personalmangels, der ja auch etwas mit Finanzierungsfragen zu tun hat. Das alles wird nicht gehen, ohne dass Geld zur Verfügung steht. Um die Apotheke vor Ort zu stärken, muss die Finanzierung stimmen und es muss attraktive Arbeitsplätze geben. Es geht also die Honorarfrage und das Dienstleistungsangebot mit Aufgaben, die den Beruf attraktiv machen.

Für wie wahrscheinlich halten sie es, dass die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel gesenkt wird? Aus dem Koalitionsvertrag ist diese anfänglich noch vorhandene Idee herausgefallen.

Für eher unwahrscheinlich.

Unterstützen Sie dennoch die Forderung der Apotheken, den Kassenabschlag im SGB V als Nettobetrag zu formulieren, sodass eine etwaige Absenkung der Mehrwertsteuer sich nicht zu ihren Lasten auswirkt?

Da muss man schauen, ob das in der Gesamtdiskussion noch Sinn macht. Ist der Kassenabschlag in der nächsten Vorlage fürs Spargesetz nicht angesprochen, könnte es für alle Beteiligten auch am besten sein, ihn gar nicht anzupacken.

Im Koalitionsvertrag sind die Apotheken konkret angesprochen. Unter anderem heißt es: „Die Arzneimittelversorgung durch Apotheken an integrierten Notfallzentren in unterversorgten Gebieten verbessern wir durch flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung“. Können Sie das genauer erklären?

Dazu kann ich noch keine Details sagen. So weit sind wir noch nicht, ich war auch nicht bei der Formulierung des Koalitionsvertrags dabei. Aber dieser Satz kam vermutlich aus der Diskussion, dass das Notfallsystem insgesamt neu geregelt werden soll. 

Gibt es schon Vorstellungen, wann das Vorhaben angegangen werden soll?

Da haben wir noch keinen Zeitplan.

Und wie sieht es mit der ebenfalls im Koalitionsvertrag vorgesehenen Novellierung des Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken, „um pharmazeutische Dienstleistungen besser zu honorieren und Effizienzgewinne innerhalb des Finanzierungssystems zu nutzen“?

Einen Zeitplan gibt es auch hier noch nicht. Aber da kann ich mir schon eine Richtung vorstellen: etwa hin zu mehr Arzneimitteltherapiesicherheit und auch zu mehr Prävention. Ich weiß, dass die Krankenkassen letzteres bei den Verhandlungen mit den Apothekern zu den pharmazeutischen Dienstleistungen anders sehen. Doch ich kann mir vorstellen, dass Apotheken sehr gut geeignet wären, die Menschen in der Prävention zu unterstützen. Diese Säule sollte auch angesichts der sich ausdünnenden Apothekenlandschaft eher bald angepackt werden. Ich denke aber, dass wir uns die andere Finanzierungssäule, also das Fixhonorar, ebenfalls angucken müssen. Allerdings ist das erstmal nur meine Position, hier ist sicher noch eine schwierige Diskussion zu erwarten.

Cannabis-Freigabe: Versandapotheken sind raus

Der Bundesgesundheitsminister hat nun eine Digitalisierungsstrategie angekündigt – wie wichtig ist dieses Thema für Sie? Und wie stehen Sie zum E-Rezept?

Ich war zuvor acht Jahre lang Berichterstatter für Digitalisierung. Insofern ist das für mich ein zentrales und wichtiges Thema. Ich bedauere auch, dass wir beim E-Rezept nicht vernünftig vorankommen – denn das müssen wir. Wichtig ist, dass wir hier ein System finden, das am Ende nicht die Vor-Ort-Apotheke abhängt. Einige Sicherungen haben wir dafür schon ins Gesetz eingebaut, nun haben wir die Gelegenheit, darüber nochmals ausführlicher zu sprechen. Ich bin zuversichtlich, dass wir vorankommen. Abseits dieser Detailfragen, die schon angestoßen sind und nun weiter verfolgt werden müssen, müssen wir das Thema der Digitalisierung auch strategisch ausrichten. Bei dem, was der Bundesgesundheitsminister angesprochen hat, geht es aus meiner Sicht darum, klarzustellen, was die Patientinnen und Patienten letztlich von der Digitalisierung haben. Das konnten wir mit dem letzten Koalitionspartner so nicht erreichen. Wir müssen also etwas hinbekommen, das für die Patienten einen Mehrwert hat und genauso bei den Leistungserbringern akzeptiert und als Mehrwert erkannt wird. Ich glaube, dass sich gerade die Einstellung vieler Leistungserbringer positiv ändert.

Digitale Arztpraxen, oft im Ausland ansässig, ermöglichen in Zusammenarbeit mit Online-Arzneimittelversendern die unkomplizierte „Bestellung“ von Rx-Arzneien per Fragebogen. Die Verordnungen von Viagra und Co., aber auch Antibiotika, entziehen sich jeglicher heilberuflichen Kontrolle.  Ist dieses Problem bekannt und, wenn ja, gibt es Pläne dagegen vorzugehen?

Ich denke, das müssten wir europarechtlich lösen. Ohne weiteres können wir solche Privatbestellungen im Ausland gar nicht selbst regeln. Wir wissen es ja von der Regulierung des Arzneimittelversands aus dem Ausland – das ist gar nicht so einfach. Was wir möglicherweise regeln können, ist, ob die Kassen so etwas finanzieren. Europäische Bestrebungen in dieser Frage sind mir allerdings auch nicht bekannt.

Die Ampel will Cannabis zum Freizeitkonsum freigeben. Sehen Sie Apotheken als potenzielle Abgabestellen?

Ja, aber nicht als ausschließliche. Die SPD wollte zwar erst einmal Modellprojekte, bei denen die Entkriminalisierung im Fokus stand. Nun ist aber die Abgabe über lizenzierte Fachgeschäfte vorgesehen. Ich persönlich könnte mir gut vorstellen, dass Apothekerinnen und Apotheker, die das wollen, eine solche Lizenz bekommen können – wobei ich weiß, dass viele das gar nicht möchten. Wenn es nach mir geht, kann es dann auch für die Apotheken ein einfaches Verfahren geben – die Fachkunde ist bei ihnen aus meiner Sicht gegeben.

Sollten auch Versandapotheken Cannabis zum Freizeitkonsum abgeben?

Das halte ich für unwahrscheinlich, weil wir ein persönliches Abgabesystem wollen. Damit sind die Versandapotheken raus.

Prävention: Mehr Engagement erwünscht

Kürzlich erklärten Sie bei einer Veranstaltung der Zytostatika-herstellenden Apotheken, dass der Gesetzgeber jedenfalls bei Auswüchsen bei der Retaxation Grenzen setzen müssen. Was genau stellen Sie sich vor?

Ich höre bei vielen Veranstaltungen, dass dies ein drängendes Problem ist. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass wir mit einem Gesetz zumindest radikale Auswüchse, zum Beispiel Nullretax bei geringfügigen Formfehlern, verhindern könnten. Es kann einfach nicht sein, wenn eine Apotheke in einem solchen Fall komplett leer ausgeht. Vor allem, wenn es wie bei den Zytostatika-Apotheken um individuell hergestellte und sehr teure Arzneimittel geht. Da müssen wir die Kirche im Dorf lassen. Teil des Koalitionsvertrags ist ein solches Gesetz allerdings nicht.

Investoren mischen im Gesundheitswesen verstärkt mit, so stehen zum Beispiel hinter Arztpraxen  immer öfter Finanzinvestoren. Untersuchungen zeigen, dass dies Versorgung weder besser noch günstiger macht – im Gegenteil. Gibt Überlegungen dem Zugriff der Kapitalgesellschaften auf unser Gesundheitssystem Einhalt zu gebieten?

Ich persönlich denke, das müssen wir gut im Auge behalten. Wir haben ja in Bezug auf die Zahnärzte bereits etwas getan. Schon das war schwierig und wirklich in den Griff bekommen haben wir die Probleme nicht. Ich glaube allerdings, in der gegenwärtigen Regierungskoalition wäre es kaum möglich, die Grenzen enger zu ziehen. Weitere Aufweichungen wird es aber auch nicht geben.

Zum Abschluss die Frage: Wo würden Sie sich noch mehr Engagement der Apotheker wünschen?

Zum einen beim Impfen – da sind wir ja nun schon auf einem guten Weg. Ich fände es auch gut, wenn sich mehr Apotheken in der Medizinalcannabis-Versorgung einbringen würden. Denn hier wächst der Kreis der Patienten. Ich hoffe, dass wir hier noch Erleichterungen erreichen können. Den Genehmigungsvorbehalt wollen wir nicht abschaffen, aber man könnte ihn anders handhaben. Auch die gesetzlichen Voraussetzungen sind mit zu restriktiv. Ich kann nicht nachvollziehen, warum eine andere, möglicherweise mit schweren Nebenwirkungen verbundene, Therapie erst bis zum Exzess erprobt werden muss, ehe eine Cannabis-Verordnung möglich ist.  Weiterhin fände ich es gut, wenn sich noch mehr Apotheken in die Substitutionsversorgung einbringen würden. Und zudem in der Prävention – sie ist ein Steckenpferd von mir. Dafür sind die Apothekerinnen und Apotheker aus meiner Sicht auch bereit, wir müssen schauen, wie weit wir damit kommen.

Vielen Dank für das Gespräch!



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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1 Kommentar

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von Anita Peter am 09.05.2022 um 8:30 Uhr

"Ich denke, das müssten wir europarechtlich lösen. Ohne weiteres können wir solche Privatbestellungen im Ausland gar nicht selbst regeln"

Zu Satz 1: Dann wird es nie eine Lösung geben.

Zu Satz 2: Natürlich, mit einem RXVV

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