Geplante GKV-Sparmaßnahmen

Preis: „Bei uns ist nichts mehr zu holen“

Stuttgart - 12.05.2022, 15:10 Uhr

AVNR-Chef Preis warnt davor, die Apotheken mit dem geplanten GKV-Spargesetz weiter zu belasten. (c / Foto: Schelbert / DAZ)

AVNR-Chef Preis warnt davor, die Apotheken mit dem geplanten GKV-Spargesetz weiter zu belasten. (c / Foto: Schelbert / DAZ)


Ein Ende der Corona-Pandemie ist trotz sinkender Infektionszahlen nicht in Sicht. Viele – allen voran Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach – rechnen ab spätestens Herbst mit einer neuen Dynamik. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein, teilt daher den geplanten Sparmaßnahmen im GKV-System eine klare Absage. Die Potenziale bei den Apotheken seien längst ausgereizt.

Mehr als 516 Millionen bestätigte Corona-Infektionen, mehr als sechs Millionen Todesopfer. Seit mehr als zwei Jahren wütet die Corona-Pandemie weltweit und seit mehr als zwei Jahren stoßen die Gesundheitssysteme in den Ländern bei der Bewältigung der Pandemie zum Teil an ihre Belastungsgrenzen. Laut Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein (AVNR), ist vor allem Durchhaltevermögen im Kampf gegen die Pandemie notwendig. Dieses Durchhaltevermögen, gepaart mit Leistungsfähigkeit, haben Deutschlands Apotheken, so Preis, in „hervorragender und zuverlässiger Weise“ gezeigt. Bei der gestrigen Mitgliederversammlung des AVNR rückte der Vorsitzende dieses Engagement daher in den Mittelpunkt seines Berichts.

Schon die Arzneimittelversorgung unter Pandemiebedingungen sei eine große Herausforderung, hinzu kommen erhöhte Hygieneanforderungen und ein verstärkter Botendienst. Und die Apotheken wurden während der vergangenen 24 Monate mit einer Reihe weiterer Sonderaufgaben bedacht: 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger wurden im Jahr 2020 in weniger als zehn Tagen vor Weihnachten mit FFP2-Masken versorgt, als die Infektionszahlen stark anstiegen und noch keine Impfangebote existierten. Daraufhin folgte die Versorgung der Arztpraxen mit COVID-19-Impfstoffen sowie die Mitarbeit von Pharmazeutinnen und Pharmazeuten in Impfzentren. Schließlich entwickelte der Berufsstand ein Portal zur Ausstellung digitaler Impfzertifikate und seit Februar 2022 können Menschen sich auch in den öffentlichen Apotheken gegen COVID-19 impfen lassen.

Die Apotheken als Allrounder

„Keine andere Berufsgruppe im Gesundheitswesen hat in so kurzer Zeit so viele verschiedene Funktionen ausgeübt und in Form von niedrigschwellig zugänglichen Leistungsangeboten den Bürgerinnen und Bürgern, flächendeckend, in kürzester Zeit und in einer beeindruckend großen Zahl bereitgestellt“, resümiert AVNR-Chef Thomas Preis. Man könne stolz sein auf das Geleistete und dass man dafür entsprechend honoriert wurde, sei selbstverständlich.

Völlig unverständlich ist für Preis dagegen, dass man im Bundesgesundheitsministerium plane, mit den coronabedingten Sparmaßnahmen auch bzw. gerade die Apotheken zu „bedenken“. Die Sparpotenziale in den öffentlichen Apotheken seien ausgereizt: „Bei uns ist nichts mehr zu holen.“ Die seit Jahren sinkenden Apothekenzahlen sprechen aus Sicht des AVNR eine eindeutige Sprache. Das Gegenteil müsse stattfinden: Nach 20 Jahren ohne eine signifikante Erhöhung des Fixzuschlags sei es nun notwendiger denn je, Apotheken wirtschaftlich zu stärken. Dazu gehöre auch eine Befreiung von unsinnigen bürokratischen Lasten, insbesondere bei der Abrechnung mit der GKV. „Ohne wirtschaftliche Stärkung wird es immer schwieriger, den Status quo der guten Versorgung durch Apotheken vor Ort aufrechtzuerhalten.“ 

Dank der Apotheken mit einem blauen Auge davongekommen

Dazu zählt Preis, die zusätzlichen Aufgaben auszubauen, die in einer älter werdenden Gesellschaft notwendig sind. Doch wirtschaftliche Stärkung sei auch notwendig, damit Apotheken zukünftig pharmazeutische Dienstleistungen erbringen können und bereitstehen, wenn es in den nächsten Corona-Herbst geht. „Denn die Leistungen der Apotheken in der Pandemie haben entscheidend mit dazu beigetragen, dass wir im Kampf gegen die Pandemie an vielen Stellen mit einem blauen Auge davongekommen sind.“

Einführung des E-Rezepts birgt „immense Gefahr“

Doch die Apothekerschaft, nicht nur in Nordrhein, blickt abseits der Corona-Thematik auf weitere Herausforderungen in naher Zukunft: Preis sprach die Einführung des E-Rezepts an, dessen verpflichtende Einführung auf September 2022 terminiert ist. Dabei bestehe die „immense Gefahr“, dass die Apotheken zu viele Verordnungen an den Versandhandel verlieren könnten. Als Beispiel nannte er Schweden, wo der Rx-Versandanteil nach der Einführung auf mehr als 15 Prozent wuchs. „Was das für unsere Apotheken bedeutet, brauche ich Ihnen hier nicht erläutern“, so Preis. Auch 10 und 5 Prozent seien seiner Meinung nach nicht verkraftbar. Alles über den aktuellen 1 Prozent Marktanteil des Versandhandels im verschreibungspflichtigen Bereich würde zu einer „erheblichen Schwächung“ führen. Hier müsse die Politik dringend handeln, um die flächendeckende Versorgung gewährleisten.

Risiken auch bei Cannabis-Legalisierung

Auch bei der von der Ampel-Koalition geplanten Cannabis-Legalisierung brachte der AVNR-Vorsitzende vor allem die Risiken zur Sprache. Apothekerinnen und Apotheker befänden sich in einem Zielkonflikt. Man wisse um die großen gesundheitlichen Risiken dieser Droge, vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Bei der politisch gewollten Freigabe müssten genaueste Abgaberegeln eingehalten werden. „Deshalb werden wir es nicht akzeptieren, wenn andere, rein kommerzielle und fachlich nicht qualifizierte Abgabestellen neben den Apotheken etabliert werden.“ Im Klartext: Preis forderte für die Apothekerschaft eine Exklusivität vom Gesetzgeber, wenn es darum geht zu bestimmen, wer bzw. welche Institutionen für die Cannabis-Abgabe zukünftig lizensiert werden.

Dass man in Berlin konkret vorhat, die Grippeimpfungen in Apotheken als Regelversorgung zu etablieren, stößt beim AVNR auf große Zustimmung. Immerhin war man an Rhein und Ruhr bei den vor zwei Jahren anlaufenden Modellvorhaben als Erstes zur Stelle. Preis sieht das alles sehr positiv und appelliert, das Impfangebot der Apotheken noch weiter auszubauen. Die Impfungen gegen COVID-19 seien bereits etabliert und um ein ganzjähriges Angebot an die Bevölkerung aufbauen zu können, nimmt der AVNR-Vorsitzende auch die FSME- und Pneumokokken-Immunisierung ins Visier. „Über 50 Millionen Menschen in Deutschland sind bei diesen drei Impfungen – Grippe, FSME und Pneumokokken – nicht ausreichend geimpft.“ Ein flächendeckendes, niederschwelliges Angebot in den Apotheken könnte die Impfquote laut Preis deutlichen erhöhen, wie die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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