Bis 24. November 2023

Hydroxyethylstärke-Infusionslösungen behalten in Deutschland vorerst ihre Zulassung

Stuttgart - 01.07.2022, 12:45 Uhr

Neben Blutprodukten gibt es zwei Arten von Plasmavolumenersatz: Kristalloide und Kolloide. Kolloide enthalten große Moleküle wie Stärke, Kristalloide sind beispielsweise Kochsalzlösung und Ringerlösung. (s / Foto: bigy9950 / AdobeStock)

Neben Blutprodukten gibt es zwei Arten von Plasmavolumenersatz: Kristalloide und Kolloide. Kolloide enthalten große Moleküle wie Stärke, Kristalloide sind beispielsweise Kochsalzlösung und Ringerlösung. (s / Foto: bigy9950 / AdobeStock)


Schon seit 2013 wird das Risiko-Nutzen-Verhältnis von Hydroxyethylstärke-Infusionslösungen europaweit diskutiert. Sie sind zugelassen für die Behandlung von Hypovolämie, die durch akuten Blutverlust verursacht wird – wenn die Behandlung mit alternativen Infusionslösungen (Kristalloiden) allein nicht ausreicht. Aufgrund des Risikos von Nierenschäden und Todesfällen bei bestimmten Patientengruppen wurde auf EU-Ebene mittlerweile das Ruhen der Zulassung angeordnet. Doch in Deutschland haben Krankenhäuser noch bis November 2023 Zeit, sich umzustellen.

Anfang Februar hatten der Pharmakovigilanzausschuss der EMA (PRAC) und die „Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human“ (CMDh) empfohlen, die Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Hydroxyethylstärke (HES)-Infusionslösungen in der gesamten Europäischen Union auszusetzen. Die Entscheidung der Europäischen Kommission stand noch aus. Jetzt hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Bescheid vom 21. Juni 2022 die Entscheidung der EU-Kommission bekannt gegeben. Damit erfolgt die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses der EU-Kommission. 

Interessant ist das, weil die HES-Infusionslösungen tatsächlich vorerst ihre Zulassung behalten – und das, obwohl der PRAC schon 2018 das Ruhen der HES-Zulassungen empfohlen hatte. Doch im April 2019 hieß es vom BfArM, dass in Deutschland das „Programm für den kontrollierten Zugang“ umgesetzt wird – seitdem unterliegt Hydroxyethylstärke ausschließlich dem Direktvertrieb. Wie die DAZ berichtete, wird das Risiko-Nutzen-Verhältnis schon seit 2013 diskutiert. 

Jetzt heißt es vom BfArM, dass die Zulassung bis zum 24. November 2023 fortbesteht – allerdings wird dies an Bedingungen geknüpft:

  • Die mit Bescheid vom 31. Juli 2018 angeordneten Risikominimierungsmaßnahmen müssen „weiterhin vollumfänglich eingehalten“ werden: Wie die DAZ berichtete, dürfen Hersteller demnach nur noch an speziell akkreditierte Krankenhäuser / Zentren diese Arzneimittel liefern. „Voraussetzung für die Akkreditierung ist, dass relevante medizinische Fachkräfte, die diese Arzneimittel verschreiben oder anwenden, eine Pflichtschulung zu deren sicheren und wirksamen Anwendung erhalten“, hieß es. Außerdem wurden laut Rote-Hand-Brief „prominente Warnhinweise auf den Behältnissen und Verpackungen dieser Lösungen“ aufgebracht. Zusätzlich wurde auf die strenge Indikationsstellung, den möglichst kurzen Zeitraum einer Behandlung und eine kontinuierliche Überwachung hingewiesen.
  • Neu ist die Bedingung, dass der Zulassungsinhaber die Lieferung des Arzneimittels an ein zugelassenes Krankenhaus oder eine andere akkreditierte Einrichtung unverzüglich aussetzen muss, „wenn Informationen darüber vorliegen, dass sich das Krankenhaus oder eine andere akkreditierte Einrichtung nicht an die Maßnahmen zur Risikominderung hält“.

Tatsächlich hatte die EU-Kommission beschlossen, das Ruhen der Zulassungen anzuordnen, jedoch heißt es im Bescheid des BfArM: 


Gemäß Artikel 3 des Durchführungsbeschlusses kann ein Mitgliedstaat in Ausnahmefällen die Anwendung von Artikel 1, d. h. die Aussetzung der von ihm erteilten Zulassungen, für einen Zeitraum von höchstens 18 Monaten nach Erlass des vorliegenden Beschlusses aufschieben.“ 

27.06.2022 - Bescheid im Stufenplanverfahren


So soll Krankenhäusern/Zentren, die HES-haltige Infusionslösungen anwenden, genügend Zeit für die Überarbeitung und Anpassung von Therapieschemata gegeben werden. Laut BfArM stehen Behandlungsalternativen zur Verfügung, „die gemäß den einschlägigen klinischen Leitlinien sobald wie möglich ausgewählt werden sollten“.

Theoretisch haben die Zulassungsinhaber noch die Möglichkeit, das Ruhen der Zulassung wieder aufzuheben. Dazu müssen sie „belastbare wissenschaftliche Nachweise vorlegen, die ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis in einer oder mehreren klinisch relevanten Patientenpopulationen belegen, zusammen mit einer Reihe von Maßnahmen zur Risikominimierung, die Patienten mit einem erhöhten Risiko einer ernsthaften Schädigung ausreichend vor einer Exposition gegenüber HES-Infusionslösungen schützen können“, erklärt das BfArM auf seinem Internetauftritt.


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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