Weniger Migränetage pro Monat

Atogepant kann Migräne wirksam vorbeugen

Stuttgart - 14.07.2022, 12:15 Uhr

Migräne vorbeugen – das dürften sich viel Betroffene wünschen.  (a / Foto: gstockstudio / AdobeStock)

Migräne vorbeugen – das dürften sich viel Betroffene wünschen.  (a / Foto: gstockstudio / AdobeStock)


Atogepant lässt monatliche Migränetage schwinden: Bei mehr als der Hälfte der Migränepatienten verringern sich die durchschnittlichen Tage mit Migräne um mindestens 50 Prozent, teilweise sogar um 100 Prozent. Derzeit gibt es Atogepant nur in den USA.

Der Migräne den Garaus machen, noch bevor der Kopfschmerz kommt: In den letzten Jahren forschen Pharmaunternehmen vermehrt an Arzneimitteln zur Vorbeugung von Migräne. CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) hat sich hier als wichtiges Ziel für die Migräneprävention herauskristallisiert und wird bereits therapeutisch genutzt: Die Migräne-Antikörper – die tatsächlich ersten, speziell zur Vorbeugung von Migräne entwickelten Wirkstoffe – greifen in das CGRP-System ein. Allerdings müssen Migränepatienten Erenumab (Aimovig®), Fremanezumab (Ajovy®) und Galcanezumab (Emgality®) subkutan, also per Pen oder Fertigspritze, verabreichen, Eptinezumab (Vyepti®, in D noch nicht verfügbar) können behandelnde Ärzte sogar nur intravenös geben.

Orale Prophylaxe gewünscht: Rimegepant und Atogepant

Praktisch wäre doch, wenn man das CGRP-System auch mit oralen Tabletten modulieren und dadurch Migräneanfällen vorbeugen könnte. Das Wirkstoff-Stichwort lautet hier: „Gepante“ – mit Rimegepant (Vydura®, in D noch nicht verfügbar) schaffte am 25. April 2022 der erste Vertreter dieser innovativen Wirkstoffklasse die Zulassung in der EU, zur Akuttherapie und Prophylaxe (in den Vereinigten Staaten erhielt Rimegepant in NurtecTM am 27. Februar 2020 zunächst die Zulassung zur Akuttherapie bei episodischer Migräne, am 27. Mai 2021 folgte die Zulassung zur Migräneprophylaxe).

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Ein zweiter – Atogepant – ist auf einem guten Weg, was im Juni veröffentlichte Studiendaten in „JAMA Network“ („Rates of Response to Atogepant for Migraine Prophylaxis Among Adults: A Secondary Analysis of a Randomized Clinical Trial“) bestätigen. In den Vereinigten Staaten erhielt Abbvie bereits im September 2021 die Zulassung für Atogepant (QuliptaTM) zur Prophylaxe von episodischer Migräne (in den Stärken 10 mg, 30 mg, 60 mg). Am 21. Juni 2022 reichte das Unternehmen nun weitere Daten bei der FDA ein, um auch eine Zulassung zur Vorbeugung bei chronischer Migräne (Kopfschmerzen an mindestens 15 Tagen pro Monat, an mindestens acht dieser Tage Migräne) zu erhalten. Damit wäre Atogepant das erste „Gepant“, das zur Migräneprophylaxe sowohl bei episodischer als auch chronischer Migräne angewendet werden dürfte.

Migräneprophylaxe – für wen und wozu?

Die „American Headache Society“ nahm 2018 Stellung zu neuen Migränetherapeutika für die klinische Praxis, ging dabei auch auf Ziele einer Prophylaxe ein und arbeitete heraus, für welche Migränepatienten und warum eine Migräneprophylaxe in ihren Augen infrage kommt (veröffentlicht in „Headache: The Journal of Head and Face Pain“: „The American Headache Society Position Statement On Integrating New Migraine Treatments Into Clinical Practice“).

Ziele:

  • Verringerung der Häufigkeit, Schwere und Dauer der Migräneanfälle
  • Weniger kopfschmerzbedingte und psychologische Beschwerden
  • Besseres Ansprechen auf die Akutbehandlung, um eine Behandlungseskalation zu vermeiden
  • Verringerung migränebedingter Einschränkungen
  • Verringerung der migränebedingten Kosten
  • Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
  • Weniger Abhängigkeit der Patienten von schlecht verträglichen, unwirksamen oder unerwünschten Akutbehandlungen
  • Patienten in die Lage versetzen, ihre Krankheit selbst zu managen, um das Gefühl der persönlichen Kontrolle zu verbessern

Vor der Zulassung von Rimegepant (Vydura®) gab es kein orales Migräneprophylaktikum, das speziell entwickelt worden war, um Migräneattacken vorzubeugen. Die Autoren in „Headache“ beschrieben die zuvor verfügbaren oralen Arzneimittel zur Migräneprophlyaxe – die ausnahmslos anderen Therapiebereichen entlehnt sind (z. B. Betablocker, Antidepressiva, Calciumkanalblocker, Antiepileptika) – mit einer „begrenzten bis mäßigen Wirksamkeit, mäßigen bis hohen Raten von unerwünschten Ereignissen, Kontraindikationen oder Wechselwirkungen, die die Anwendung einschränken“. Nur 3 bis 13 Prozent nähmen eine präventive Behandlung in Anspruch, obwohl 40 Prozent der Menschen mit episodischer und fast alle Patienten mit chronischer Migräne davon profitieren könnten, sind die Autoren überzeugt.

Eine Migräneprophylaxe empfiehlt die „American Headache Society“

  • bei mindestens vier Attacken pro Monat,
  • wenn die Attacken den Alltag der Patienten trotz Akutbehandlung erheblich beeinträchtigen,
  • wenn Akutbehandlungen kontraindiziert sind, nicht ausreichend wirken oder zu häufig angewendet werden müssen (Triptane, Opioide, Mutterkornalkaloide, Kombinationsanalgetika an mindestens zehn Tagen pro Monat; NSAR, Paracetamol oder Nicht-Opioid-Analgetika an mindestens 15 Tagen pro Monat),
  • bei Nebenwirkungen der Akutbehandlung
  • wenn Patienten eine Prophylaxe wünschen.

In der nun im JAMA veröffentlichten Studie interessierten sich die Wissenschaftler für die Ansprechraten (mindestens 25 Prozent, mindestens 50 Prozent, mindestens 75 Prozent oder 100 Prozent) der Migränepatienten (18 bis 80 Jahre, mit der Diagnose Migräne seit mindestens einem Jahr) auf Atogepant, jeweils nach Behandlungsintervallen von vier Wochen (Woche 1–4, Woche 5–8, Woche 9–12) und verglichen diese mit Placebo. Den Nutzen ihrer Untersuchung sehen die Studienautoren vor allem für die „Praxis“, da Ärzte durch die vergleichenden Daten ihren Patienten sodann einfach das unterschiedliche Ansprechen auf eine gewählte Dosis und Behandlungsdauer erklären könnten.

Zulassungsstudie von Atogepant bei episodischer Migräne

Sie zogen dafür Daten aus der Zulassungsstudie von Atogepant (randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert, klinische Phase 3, von 14. Dezember 2018 bis 19. Juni 2020 bei Erwachsenen mit episodischer Migräne – vier bis 14 Migränetage pro Monat) heran (veröffentlicht im August 2021 im „New England Journal of Medicine“: „Atogepant for the Preventive Treatment of Migraine“). Die Patienten waren in vier Gruppen 1:1:1:1 aufgeteilt und hatten entweder einmal täglich 10 mg Atogepant (n = 222), 30 mg Atogepant (n = 230), 60 mg Atogepant (n = 235) oder Placebo (n = 223) für zwölf Wochen erhalten. Zuvor – 28 Tage bis Studienbeginn – hatten die Migränepatienten ihre Migränetage dokumentiert, diese dienten als Vergleichswert. Dabei zählte als Kopfschmerztag, wenn der Kopfschmerz mindestens zwei Stunden anhielt.

Die Studienteilnehmer durften als Akutmedikation NSAR, Triptane oder Ergotalkaloide, Opioide oder Paracetamol anwenden, sofern dies nicht häufiger als an zwei Tagen (Opioide), an zehn Tagen (Triptane, Ergotalkaloide) oder 15 Tagen (NSAR, Paracetamol) der Fall war.

Deutlich weniger Migränetage

Die Patienten litten bei Studienbeginn im Durchschnitt an 7,5 Migränetagen im Monat (Atopgepant 10 mg), an 7,9 Tagen in der 30-mg-Atogepantgruppe und an 7,8 Tagen in der 60-mg-Atogepantgruppe. Unter allen Dosierungen ließen sich die monatlichen Migränetage nach zwölf Wochen um mindestens die Hälfte bei mindestens der Hälfte der Migräniker reduzieren: 55,6 Prozent unter 10 mg Atogepant, 58,7 Prozent bei 30 mg Atogepant und 60,8 Prozent unter 60 mg Atogepant – während diesen Effekt unter Placebo nur 29 Prozent der Studienteilnehmer beobachteten. Damit erhöhte Atogepant die Chance, dass sich die Migränetage um 50 Prozent verringerten, um das 3- bis 4-Fache verglichen mit Placbeo.

Eine 25-Prozent-Reduktion der monatlichen Migränetage erfuhren etwa drei Viertel der Migränepatienten unter Atogepant (73,4 Prozent unter 10 mg Atogepant, 77,1 Prozent unter 30 mg Atogepant, 81,1 Prozent unter 60 mg Atogepant), unter Placebo waren es mit knapp 60 Prozent deutlich weniger. Dass sich die Migränetage um 75 Prozent reduzierten, trat – je nach Atogepant-Dosis – bei 30,4 Prozent, 29,6 Prozent, 37,8 Prozent der Probanden auf und bei 10,7 Prozent mit Placebo.

Durchschnittlich keine monatlichen Migränetage bei manchen Teilnehmern

Bei manchen Patienten „verschwand“ die Migräne sogar ganz – sie berichteten nach zwölf Wochen Behandlung, dass sich ihre durchschnittlichen monatlichen Migränetage um 100 Prozent verringerten: Das war bei 7,9 Prozent unter 10 mg Atogepant, 4,9 Prozent unter 30 mg, 7,7 Prozent unter 60 mg Atogepant und 0,9 Prozent unter Placebo der Fall.

Wichtig ist auch die Beobachtung, dass die Ansprechraten auf Atogepant in den vier Wochen-Intervallen (meist) statistisch signifikant besser waren als auf Placeobo, das bedeutet: Die beobachteten Unterschiede in den Ansprechraten lassen sich nicht allein durch Zufall erklären.

Verstopfung und Übelkeit

Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählten Verstopfung (Atogepant: etwa 7 Prozent; Placebo: 0,5 Prozent) und Übelkeit (Atogepant: etwa 5 Prozent; Placebo: 1,8 Prozent). Behandlungsbedürftige Nebenwirkungen traten unter Atogepant und Placebo vergleichbar häufig auf (etwa 50 Prozent).

Bessere Wirksamkeit bei höherer Dosierung und längere Behandlungsdauer

Die Wissenschaftler sehen durch ihre Ergebnisse bestätigt, dass Atogepant in allen drei Stärken wirkt und die monatlichen Migränetage verringert – und dass eine Atogepanttherapie die Wahrscheinlichkeit um das Dreifache erhöht, dass die Patienten nur noch an halb so vielen Tagen pro Monat an Migräne leiden. Dabei sei Atogepant bereits in den ersten vier Behandlungswochen wirksam gewesen. Mit der Dosierung und der Behandlungsdauer nahm der Anteil der Migräniker zu, bei denen sich die monatlichen Migränetage reduzierten. Zudem sind den Studienteilnehmern zufolge die Patienten „zufrieden“ gewesen mit der Behandlung: Etwa drei von vier Migränikern gaben an, dass sie sich viel oder sehr viel besser gefühlt hätten.

Wann Atogepant auch die EMA passiert – und ob dann direkt eine Zulassung zur Prophylaxe episodischer und chronischer Migräne erfolgt –, darüber liegen derzeit keine Informationen vor.


Celine Bichay, Apothekerin, Redakteurin DAZ
redaktion@daz.online


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