Zwischenahner Dialog

Kooperationen, Nachwuchsmangel und Dienstleistungen – Herausforderungen für die Apotheken

Bad Zwischenahn - 21.11.2022, 09:15 Uhr

Trotz aller Widrigkeiten: Die Apotheken-Berufe haben viele schöne Seiten – von diesen ist nun noch der potenzielle Nachwuchs zu überzeugen. (s / Foto: IMAGO / snowfieldphotography)

Trotz aller Widrigkeiten: Die Apotheken-Berufe haben viele schöne Seiten – von diesen ist nun noch der potenzielle Nachwuchs zu überzeugen. (s / Foto: IMAGO / snowfieldphotography)


Am vergangenen Donnerstag lud der Landesapothekerverband Niedersachsen nach nunmehr dreieinhalb Jahren Pause wieder zum Zwischenahner Dialog. Unter anderem ging es um Kooperationen im Gesundheitswesen, Nachwuchsmangel und pharmazeutische Dienstleistungen aus Kassensicht.

Kooperationen im Gesundheitswesen sind eine nette Idee – und vielleicht schon bald unumgänglich, bedenkt man die vielfältigen Nachwuchssorgen der Leistungserbringer und die abnehmende Zahl der Betriebsstätten insbesondere in ländlichen Regionen. Doch wenn der Gesetzgeber die Zusammenarbeit wirklich will, müsse er zunächst die rechtlichen Hürden senken, betonte Rechtsanwalt Joachim Kasper am vergangenen Donnerstag beim Zwischenahner Dialog in Bad Zwischenahn, Niedersachsen.

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Aktuell stünde dem ein ganzer Strauß an Rechtsnormen im Weg – für die Apotheken allen voran der § 11 Apothekengesetz (ApoG). Dort heißt es schon in Absatz 1 Satz 1:


Erlaubnisinhaber und Personal von Apotheken dürfen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, mit Ärzten oder anderen Personen, die sich mit der Behandlung von Krankheiten befassen, oder mit Dritten keine Rechtsgeschäfte vornehmen oder Absprachen treffen, die eine bevorzugte Lieferung bestimmter Arzneimittel, die Zuführung von Patienten, die Zuweisung von Verschreibungen oder die Fertigung von Arzneimitteln ohne volle Angabe der Zusammensetzung zum Gegenstand haben. 

§ 11 Abs. 1 Satz 1 ApoG 


Damit sei bereits eine Vielzahl von Ideen, wie Apotheken sinnstiftend mit anderen Leistungserbringern zusammenarbeiten könnten, vom Tisch. Erschwerend komme hinzu, dass Streitfälle zumeist von Gerichten entschieden würden, die den Fall aus wettbewerbsrechtlicher Sicht beleuchteten und „vom Gesundheitswesen keine Ahnung haben“. Der Grund: Gegen solche Kooperationen gingen meist Konkurrenten vor, die sich im Nachteil wähnten.

Berufsordnungen: eine unterschätzte Barriere

Und auch der jeweilige Partner sei in seinem Handlungsspielraum limitiert. Ärztinnen und Ärzten etwa schränke schon das Sozialgesetzbuch V ein: In § 73 Absatz 7 heißt es zum Beispiel: „Es ist Vertragsärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Versicherten oder für die Vergabe und Dokumentation von Diagnosen ein Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.“ Auch die Berufsordnungen der verkammerten Berufe stellten eine oft unterschätze Barriere dar.

Für Apothekerinnen und Apotheker, die trotz allem eine Kooperation mit einem anderen Leistungserbringer anstreben, hat Kasper einen Tipp: „Lassen Sie den Vertrag von Ihrer Kammer prüfen!“ Gebe diese grünes Licht, bringe das zwar keine absolute Rechtssicherheit – dennoch könne deren Einschätzung Gewicht haben, sollte es vor Gericht gehen.

Nachwuchssorgen belasten Apotheken

Ein weiteres Problemfeld, das die Apotheken aktuell noch mehr belasten dürfte als Kooperationen, die auf wackeligen Beinen stehen, ist der Nachwuchsmangel. Lukas Kaminski, Geschäftsführer der Apothekerkammer Niedersachsen, widmete sich zunächst der gesamtgesellschaftlichen Situation – mit einem ernüchternden Fazit: In Zeiten, in denen Influencer als ganz normaler und lukrativer Beruf wahrgenommen werde, bedürfe es schon einiger Überzeugungskraft, junge Menschen für ein derart anspruchsvolles Studium wie das der Pharmazie mit gleichzeitig mäßigen Gehaltsaussichten zu begeistern.

Weder die Selbstständigkeit, die einen hohen persönlichen Einsatz fordere, noch die Mentalität, das Problem der Patientin oder des Patienten zu seinem eigenen zu machen und zu lösen, entspreche dem, was sich Heranwachsende erträumten. Wenn dann auch noch die Apothekenteams Interessierten gleich beim ersten Kontakt einen negativen Eindruck vom Arbeitsalltag in der Apotheke vermittelten, sei die Messe endgültig gelesen.

Im Schülerpraktikum den Nachwuchs begeistern

Kaminski rät daher allen Kolleginnen und Kollegen dazu, Kindern und Jugendlichen möglichst früh die schönen Seiten der Arbeit in einer Apotheke zu zeigen, etwa im Zuge von Schülerpraktika. Auch wenn die jungen Menschen natürlich noch nicht viele Aufgaben wahrnehmen dürften, sei doch eine erste Annäherung und eine positive Verknüpfung wichtig, um später eine Chance zu haben, sie für die Offizin gewinnen zu können. Er selbst habe erst kürzlich einer Gesamtschulklasse die verschiedenen Berufsfelder in der Apotheke vorgestellt – je früher man die Generation erreiche, die sich bald für einen Beruf entscheiden müsse, desto besser.

Auch die Kammer kämpfe um den Nachwuchs: Sie werde zum Beispiel nicht müde, Schulgeldfreiheit für angehende PTA in Niedersachsen zu fordern. Nun finde sich dieses Anliegen im Koalitionsvertrag wieder – auf die Umsetzung werde die Kammer pochen. Zudem habe sie kürzlich Mitarbeitende der örtlichen Jobcenter eingeladen, um ihnen die Apothekenberufe nahezubringen. „Die wissen darüber einfach nicht Bescheid“, sagte Kaminski. Hier gelte es aufzuklären.

Die Konkurrenz ist groß

Doch selbst wenn sich Schulabgänger für ein Pharmaziestudium entscheiden, sei die Konkurrenz groß. „Apotheker sind Generalisten und gerade diese Vielfältigkeit macht uns im Wettbewerb zu schaffen.“ Ob Krankenkasse, Industrie, Wissenschaft, Verwaltung oder Bundeswehr: Approbierten stehen alle Möglichkeiten offen. Beliebt sei auch die Arbeit im Krankenhaus, denn dort erhoffen sich viele einen echten pharmazeutischen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit.

Diesbezüglich setzt Kaminski auf die pharmazeutischen Dienstleistungen, die das Arbeiten in einer öffentlichen Apotheke für frisch Approbierte wieder attraktiv machen könnten. „Dafür haben die jungen Leute Pharmazie studiert“, meint er. Er ermunterte alle Inhaberinnen und Inhaber, diese Herausforderung als Chance zu begreifen und die neuen Dienstleistungen bei sich im Betrieb anzubieten.

Sind Dienstleistungen der große Wurf?

Ob die pharmazeutischen Dienstleistungen allerdings tatsächlich der große Wurf sowohl für Apotheken als auch die Versicherten sind, stellte Claudia Schaa von der AOK Niedersachsen infrage. Sie erinnerte an ein Projekt, das ihr Arbeitgeber zusammen unter anderem mit dem LAV und der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen im Jahr 2017 auf den Weg gebracht hatte. Ziel war es, Versicherten mit Polymedikation eine erweiterte Beratung anzubieten, um etwa Krankenhauseinweisungen aufgrund von Neben- und Wechselwirkungen zu vermeiden.

Einschreiben konnten sich Patienten, die 65 Jahre oder älter sind, am Hausarztmodell der AOK teilnehmen und eine Vielzahl an Wirkstoffen verordnet bekommen. Hausärzte konnten bei Zustimmung des Patienten gezielt eine Apotheke mit einer Beratung zur individuellen Medikation beauftragen oder wahlweise den Patienten selbst eingehend beraten. Apotheke oder Praxis bekamen für den Aufwand 60 Euro pro Polymedikationsberatung von der AOK.

Ernüchterndes Fazit

Das Fazit der Apothekerin: Gerade einmal 75 Polymedikationsberatungen seien seit Projektbeginn im März 2017 von den teilnehmenden Apotheken abgerechnet worden. 983 Beratungen hätten Hausärztinnen und -ärzte selbst vorgenommen. Eine verschwindend geringe Zahl, schaut man sich den Bedarf an: Allein bei der AOK Niedersachsen erhalten etwa 400.000 Menschen fünf oder mehr verschiedene Wirkstoffe. Im zweiten Quartal bekamen Schaa zufolge etwa 30.000 Versicherte einen sogenannten Triple Whammy verordnet. Dabei handelt es sich um eine Kombination aus einem Diuretikum, einem ACE-Hemmer oder Sartan sowie einem NSAR, die das Entstehen eines akuten Nierenversagens begünstigt. Diesen Patientinnen und Patienten könnte eine Medikationsberatung helfen, ist sich Apothekerin Schaa sicher – doch anschreiben dürfe die Kasse diese Menschen aus Datenschutzgründen nicht.


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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