Apothekerin schreibt an Lauterbach

„Ihre Politik ist ein Vernichtungsschlag gegen alle Apotheken“

Stuttgart - 02.02.2023, 15:16 Uhr

In einem Brandbrief an den Gesundheitsminister zeigt Apothekerin Trautmann auf, was sich aus ihrer Sicht in der Gesundheitspolitik ändern muss. (s / Quelle: Trautmann, Apotheke Bühlau / DAZ)

In einem Brandbrief an den Gesundheitsminister zeigt Apothekerin Trautmann auf, was sich aus ihrer Sicht in der Gesundheitspolitik ändern muss. (s / Quelle: Trautmann, Apotheke Bühlau / DAZ)


Die gestern in Kraft getretene Erhöhung des Kassenabschlags von 1,77 auf 2 Euro nahm die Dresdener Apothekeninhaberin Sylvia Trautmann zum Anlass, sich in einem emotionalen Brandbrief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu wenden. „Wissen Sie überhaupt, dass Ihr verantwortungsloses Gesetz Hass und Wut betroffener Apotheken gegen Sie und Ihre Partei schürt?“, fragt sie darin und fordert die „längst überfällige Erhöhung der Apothekenvergütung bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln“.

Seit der Pleite des Apothekenrechenzentrums AvP vor rund 2,5 Jahren setzt sich die Dresdener Apothekeninhaberin Sylvia Trautmann für die Interessen ihres Berufsstandes politisch ein. Die AvP-Insolvenz hatte Trautmann damals voll erwischt und so forderte sie in einem Brandbrief die Abgeordneten des Bundestags auf, konkrete Hilfsangebote an die betroffenen Apotheken zu richten.

Das Inkrafttreten des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes nimmt die sächsische Apothekerin nun wieder zum Anlass, einen emotionalen Brief zu verfassen, den sie gestern an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sendete. Seit gestern nämlich müssen Apotheken an die Krankenkassen einen höheren Abschlag zahlen: Statt 1,77 sind es inzwischen in den nächsten beiden Jahren 2 Euro. So sieht es das von Lauterbach initiierte Gesetz vor. „Dadurch wird eine zusätzliche durchschnittliche Belastung mit 7000 Euro je Apotheke p.a. erzeugt“, rechnet Trautmann vor. Den Betrag müssten die Apotheken „von ihrer ohnehin seit Jahren stagnierenden Vergütung für ein Rx-Arzneimittel abziehen müssen“. Für jede einzelne Apotheke werden die geringeren Einnahmen schmerzlich spürbar sein. „Ihre politische Antwort auf den immensen Einsatz der Apotheken in der Pandemie und beim Engpassmanagement nicht lieferbarer Medikamente vernichtet bei allen Apothekenmitarbeitern Deutschlands das Vertrauen in diese Regierung“, schreibt Trautmann.

Hass und Wut würde das „verantwortungslose Gesetz“ von Lauterbach bei den betroffenen Apotheken schüren. Seine Politik bezeichnet sie als einen „Vernichtungsschlag gegen alle Apotheken“, es fördere krass das Apothekensterben.

Sodann zeigt die Apothekeninhaberin auf: Alle 27 Stunden schließe derzeit eine Vor-Ort-Apotheke in Deutschland für immer. Von den 21.000 Betriebsstätten im Jahr 2010 sei man nun runter auf rund 18.000 gekommen und liege damit gemessen an der Bevölkerungsgröße deutlich unter dem europäischen Schnitt.

Als Gründe nennt Sylvia Trautmann die schlechte, zu geringe Honorierung über den Fixzuschlag, die unerträglich stark angewachsenen Betriebsrisiken bei der Rezeptabrechnung sowie bei der Vorfinanzierung des Warenlagers und die ungerechtfertigte Retaxationspraxis der Krankenkassen.

Der Fixzuschlag sei nur ein einziges Mal seit 2004 angehoben worden, und zwar im Jahr 2013 von 8,10 auf 8,35 Euro je Rx-Packung. Damit hätten die Betriebskosten jedoch nur zu 10 Prozent abgedeckt werden können. Trautmann macht deutlich: „De facto sind die Betriebskostensteigerungen bei der fixen Apothekenvergütung seit 20 Jahren unberücksichtigt geblieben und werden sukzessive durch inflationäre Steigerung der Lohn- und sonstigen Betriebskosten aufgefressen.“ Gegenüber 2021 sei das Apothekenbetriebsergebnis im vergangenen Jahr um etwa 30 Prozent eingebrochen, weitere 400 Apotheken hätten für immer schließen müssen.

Für das aktuelle Jahr rechnet die Apothekerin mit einem erneuten starken Wachstum der apothekenspezifischen Inflationsrate: steigende Personalkosten aus tariflichen Gründen, Verdopplung der Energiekosten trotz Strom- und Gaspreisbremsen, Gebührenerhöhungen bei IT-Dienstleistern und Verschlechterung der Einkaufkonditionen der Apotheken bei den Großhändlern. Hinzu kommt: Lieferengpässen bei mehreren Hundert gängigen Arzneimittel seien aufwendige Zeitfresser, führten zu Mehrarbeit, verteuerten so die Personalkosten und führten zu Mindererträgen.

Trautmann wirft Lauterbach, der SPD und der Regierungskoalition vor, dass sie die vielen kostenfreien Beratungsleistungen der Apotheken im Rahmen der Selbstmedikation in ihrem Wert völlig unterschätzen würden, obwohl Leistungen den Krankenkassen Millioneneinsparungen dreistelliger Höhe erbrächten und helfen würden, medizinische Versorgungsengpässe zu überbrücken. „Herr Professor Lauterbach, wann endlich binden Sie die längst überfällige Erhöhung der Apothekenvergütung bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln in ein Gesetz ein?“, fragt sie.

Konkret fordert die Apothekerin eine Erhöhung des Fixzuschlags auf 13 Euro netto mit automatischem Inflationsausgleich und ohne Zwangsrabatt. Außerdem sollte das Management der nicht durch die Apotheken verschuldeten Arzneimittel-Lieferengpässe extra vergütet werden.

Apothekerin Sylvia Trautmann erklärt gegenüber der DAZ, dass sie diesen Brief in ähnlicher Form am heutigen Donnerstag auch an alle Mitglieder des Bundestags-Gesundheitsausschusses, an alle Fraktionsvorsitzenden und an alle Parteivorsitzende versenden wird.


Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Netter Brief

von Dr Radman am 02.02.2023 um 16:35 Uhr

Sehr nett. Aber nicht wirklich nützlich. Denn ein Funktionär aus dem BMG hat mal gesagt: die Apotheken sind selbst schuld an ihrer Misere. Und er hat damit recht. Wir haben , dank unserer Standesvertretung, alles akzeptiert. Ja sogar sämtliche Nullretax-Regularien selbst gefordert. RV, Dj, Preisanker etc. wurden von sehr klugen Apothekers gefordert und auf dem Dat sehr stolz beschlossen. Die GKV lassen sich solche Chancen nicht zweimal bieten und bekunden schnell ihr Einverständnis.

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AW: Jein!

von Stefan Haydn am 02.02.2023 um 20:19 Uhr

Nicht ganz richtig.
Erstens ist für das Honorar das BMWK und nicht das BMG zuständig.
Zweitens haben die Retax- und Vertragsregularien nichts mit dem Honorar zu tun.
Für das Honorar ist laut Gesetz nur die wirtschaftliche Angemessenheit der Betriebsführung relevant.

Da dürfte es alleine im Vergleich zur allgemeinen Teuerungs- und Lohnsteigerungsrate seit 2004 für das BMWG vor Gericht sehr eng werden.

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