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Das Zuzahlungsinkasso – warum der Gesetzgeber nachbessern muss

Berlin - 06.04.2023, 07:01 Uhr

Leistet der Patient seine Zuzahlung nicht, muss diese eigentlich die Krankenkasse einziehen. Die Praxis sieht anders aus. (Foto: stokkete / AdobeStock)

Leistet der Patient seine Zuzahlung nicht, muss diese eigentlich die Krankenkasse einziehen. Die Praxis sieht anders aus. (Foto: stokkete / AdobeStock)


Die Pflicht, bei der Arzneimittelabgabe auch die Zuzahlung von den Versicherten einzutreiben, kann für manche Apotheke erhebliche finanzielle Nachteile mit sich bringen. Das darf so nicht bleiben, fordert AVWL-Chef Thomas Rochell: In einem Gastbeitrag in der aktuellen DAZ erläutert er, wie sich das Zuzahlungsinkasso nach § 43c Absatz 1 SGB V zu einem Sinnbild für eine verfehlte Gesetzgebung und das Scheitern der Selbstverwaltung entwickelt hat und weshalb die Politik jetzt handeln muss.

Die Baustellen im Gesundheitswesen sind vielfältig. Lieferengpässe, die vor sich hin dümpelnde Digitalisierung und das Aufarbeiten der Fehler im Kampf gegen die Corona-Pandemie sind nur drei Beispiele dafür, meint der Vorsitzende des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL), Thomas Rochell. Einem weiteren Problem widmet er sich in einem Gastbeitrag in der DAZ 14/2023: der einseitigen Dominanz der Krankenkassen bei Verhandlungen.

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§ 43c Abs. 1 SGB V als Sinnbild für verfehlte Gesetzgebung und Scheitern der Selbstverwaltung

Risiko Zuzahlungsinkasso

Als Sinnbild für diesen Missstand führt er § 43c Absatz 1 SGB V an. „Die Norm verpflichtet Leistungserbringer dazu, Zuzahlungen, die Versicherte u.a. im Rahmen der Abgabe von Arzneimitteln zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu verrechnen“, erläutert Rochell. Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, habe die Krankenkasse die Zahlung einzuziehen (§ 43c Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Der Leistungserbringer soll demnach bei der Abgabe von Arzneimitteln das Inkassorisiko, wenn der Versicherte die Zuzahlung nicht leistet, gerade nicht tragen. Soweit die Theorie. Doch in der Praxis stoße diese Vorschrift regelmäßig an ihre Grenzen: Ob Hospizversorgung, Direktbelieferung des Arztes oder die Zytostatika-Herstellung – in vielen Versorgungsbereichen gestaltet sich Rochell zufolge das Einziehen der Zuzahlung überaus schwierig.

Faktische Selbstschädigung

„Bei alldem ist zudem zu berücksichtigen, dass die Apotheke nach den Arzneimittellieferungsverträgen gehalten ist, ein Rezept bis zum Ende des auf den Lieferzeitpunkt folgenden Monats abzurechnen“, betont der AVWL-Chef. Tue sie dies nicht, riskiere sie Abschläge auf die Rechnung. „Dem Gesetzgeber ist daher ein schlechtes Zeugnis auszustellen: Schon die Überwälzung von Aufgaben der Krankenkassen und damit die Verpflichtung zur fremdnützigen Interessenwahrnehmung stellt grundsätzlich einen Eingriff u.a. in die Freiheit der Berufsausübung dar. Mag man einen solchen noch als Beitrag der Leistungserbringer zum Funktionserhalt und letztlich auch der Finanzierbarkeit des GKV-Systems betrachten, so schwindet jedwedes Verständnis schnell, wenn die Aufgabenüberwälzung dazu führt, dass sich der Leistungserbringer faktisch selbst schädigt. Und das ist für die Apotheke, wie gesehen, der Fall: Das Zuzahlungsinkasso verzögert die Abrechnung mit der Krankenkasse und bedeutet damit einen Zinsverlust, kostet also Geld.“

Darüber hinaus bleibe der Erfüllungsaufwand für das Inkasso (Rechnungslegung, Mahnverfahren) an der Apotheke hängen. „Ohne Weiteres summieren sich diese Positionen zu Beträgen, die den maximalen Zuzahlungsbetrag von 10 Euro erreichen oder gar überschreiten. Damit ist das ganze Verfahren auch noch ökonomisch unsinnig.“

Kulanz ist Vergangenheit

Früher hätten zumindest manche Krankenkassen in begründeten Einzelfällen auch nach der Rezeptabrechnung eine Zuzahlung erstattet. „Diese Krankenkassen haben also die Norm angemessen und vertragspartnerschaftlich ausgelegt und dadurch eine Lösung zu erreichen versucht, die der Versorgungswirklichkeit Rechnung trägt und darüber hinaus die finanziellen Nachteile aus dem (zum Nutzen der Krankenkasse betriebenen) Zuzahlungsinkasso für die Apotheke möglichst geringhält“, legt Rochell dar. Doch diese Zeiten sind vorbei: Selbst die AOK NordWest informiere derzeit diverse Apotheken auf dem Schriftwege darüber, dass bislang „aus Kulanz“ erfolgte Erstattungen von Zuzahlungsbeträgen künftig unterbleiben werden, wenn sich das Rezept mit der Zuzahlung bedruckt bereits in der Abrechnung befindet.

Symptom eines tiefer liegenden Problems

Für Rochell ist dies ein Symptom für ein Problem, das deutlich tiefer liegt: „Daran zeigt sich nur einmal mehr, dass die Selbstverwaltung in weiten Teilen nicht mehr funktioniert, insbesondere nicht mehr auf Augenhöhe verhandelt, sondern vielmehr einseitig gehandelt wird, ohne die Argumente der anderen Seite zu berücksichtigen.“ Die Forderung, das Mahnverfahren künftig ausnahmslos vor der Rezeptabrechnung durchzuführen und, wenn erfolglos, das Rezept mit „0“ zu bedrucken, sei aus Sicht der Apotheke die maximal schädliche Auslegung der Norm. „Der Apotheke bleibt dann in vielen Versorgungsbereichen faktisch nur noch die Möglichkeit, die Zuzahlung aus eigener Tasche zu bezahlen.“

Gesetzgeber muss präzisieren

Es bleibe festzuhalten, dass Sichtweise und Haltung der Krankenkassen für die Apotheke „in eine desaströse und letztlich auch verfassungsrechtlich bedenkliche Situation führen“, schreibt Rochell. Aus seiner Sicht müssen auf vertragspartnerschaftlichem Wege dringend wieder Lösungen gefunden werden, die auch die berechtigten Interessen der Apotheke angemessen in den Blick nehmen. „Letztlich aber ist es am Gesetzgeber, die verfehlte Regelung des § 43c Abs. 1 SGB V präzisierend nachzubessern und endlich eine möglichst unbürokratische, praxistaugliche und vergütete, zumindest aber kostenneutrale Lösung festzuschreiben“, fordert er. „Es kann im Fall rein fremdnütziger Tätigkeiten nicht sein, dass ein Leistungserbringer mit finanziellen Nachteilen und weiteren Risiken belastet wird. Das ist weder rechtlich noch im Sinne eines Gesundheitssystems, das letztlich auch auf der Identifikation der Leistungserbringer mit diesem beruht, annehmbar.“

§ 43c Abs. 1 SGB V sei jedoch nur „ein Sinnbild für all das, was in unserem Gesundheitssystem mittlerweile schiefläuft. Weitere Beispiele sind Legion. Hier und heute sei allein an das Inkassorisiko der Apotheke für Herstellerrabatte erinnert. Auch hier wird die Apotheke ausschließlich im Interesse der Krankenkassen, also fremdnützig tätig. Zum Dank dafür schaut sie durch die Finger, wenn der zur Rabattgewährung verpflichtete Hersteller pleitegeht. Es ist an der Politik, diese und weitere Verwerfungen im System dringend zu beseitigen.“


Christina Grünberg, Apothekerin, Redakteurin DAZ (gbg)
cgruenberg@daz.online


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2 Kommentare

Herstellerrabatte, Zuzahlung, Kreditkartengebühren ...

von Rainer W. am 12.04.2023 um 14:51 Uhr

... alles durch die Apotheke geleistet und dann geben wir noch fürstliche 2€ Kassenabschlag auf die Rezeptgebühr für die "pünktliche" Begleichung der Rechnung.

Das ist doch alles nur noch peinlich.

Wann hauen wir endlich auf den Tisch?

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Die Selbstverwaltung ist schon lange tot

von ratatosk am 06.04.2023 um 9:08 Uhr

Es gibt keine Selbstverwaltung mehr , sondern nur noch GKV Machtwillen. Der einzige Weg kann sein, es juristisch versuchen dagegen anzugehen, begleitet von medialer Unterstützung. Oder glaubt jemand, daß unser Karli sich im Guten darum annehmen wird, dann glaubt er auch an den Osterhasen. Karl hat uns umfänglichen Krieg und möglichst Vernichtung der öffentlichen Apotheken nicht nur angekündigt, sondern schon durch seine Maßnahmen eingeleitet, das muß man einfach mal zur Kenntnis nehmen und versuchen dagegen zu halten. Wenn es nicht klappt, ist der Untergang eben nicht mehr aufzuhalten. Ein Ideologe wie Karl ist mit Argumenten und Fakten nicht wirklich zu beeindrucken.

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