Kommentar

Es darf nicht überraschen, dass es in Großstädten viel mehr Apotheken gibt

Süsel - 31.08.2023, 16:15 Uhr

Wo es mehr Menschen gibt, muss es auch mehr Apotheken und Arztpraxen geben, oder? (Foto: imago images / Wolfgang Maria Weber)

Wo es mehr Menschen gibt, muss es auch mehr Apotheken und Arztpraxen geben, oder? (Foto: imago images / Wolfgang Maria Weber)


Die kürzlich in der DAZ und auf DAZ.online veröffentlichte geodatenbasierte Analyse zur Apothekendichte in Deutschland von Dr. Christian Knobloch und Prof. Dr. Hendrik Schröder legt nahe, „dass ein Rückgang der Apothekenzahl an bestimmten Orten in Deutschland nicht unbedingt die Versorgungssicherheit gefährden muss“. DAZ-Autor Dr. Thomas Müller-Bohn möchte das nicht so stehen lassen. 

Was ist eine ordnungsgemäße oder sogar eine gute Versorgung mit Apotheken? Der Verfasser dieses Kommentars hat dazu im Beitrag „Ordnungsgemäße Versorgung – was bedeutet das?“ (siehe DAZ 2023, Nr. 12, S. 16 – 21) herausgearbeitet, dass dabei zwei Elemente des Versorgungsauftrags zu unterscheiden sind: erstens die Erreichbarkeit einer Apotheke und zweitens die Leistungs­fähigkeit des ganzen Systems. Es geht also um die Mikro- und die Makroebene. 

Auswahl, fachliche Spezialisierung und politisch gewünschten Wettbewerb er­möglichen

Erstens muss überall eine Apotheke in angemessener Entfernung vorhanden sein. Das ist die zentrale Frage in dünn besiedelten Gebieten, strukturschwachen Regionen oder sozial benachteiligten Stadtteilen. Zweitens müssen an dicht bewohnten Standorten genug Apotheken vorhanden sein, um die große Zahl von Menschen zu versorgen und eine Auswahl, fachliche Spezialisierung und den politisch gewünschten Wettbewerb zu er­möglichen. Eine Entfernung von mehreren Kilometern zur nächsten Apotheke, die im ländlichen Raum ausreicht, ist daher in Innenstädten kein relevantes Kriterium. Ein gleichmäßiges Netz über ganz Deutschland kann kein Maßstab für die Versorgung sein. Denn auch die Bevölkerung und die Arztpraxen sind nicht gleichmäßig über die gesamte Fläche verteilt.

Die kürzlich veröffentlichte Analyse von Dr. Christian Knobloch und Prof. Dr. Hendrik Schröder beschäftigt sich mit dem ersten der beiden genannten Kriterien und liefert dazu beeindruckendes Datenmaterial. Dies sollte eine gute Grundlage für die nötige Diskussion über die Versorgung in dünn besiedelten Regionen schaffen. 

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Doch die Analyse legt nahe, „dass ein Rückgang der Apothekenzahl an bestimmten Orten in Deutschland nicht unbedingt die Versorgungssicherheit gefährden muss“. Die Analyse beschäftigt sich aber gar nicht mit Maßstäben für eine angemessene Versorgung in solchen dicht besiedelten Gebieten. Das oben erwähnte zweite Kriterium bleibt unbeachtet. Damit birgt die Untersuchung die Gefahr, dass interessierte Kreise sie missbrauchen könnten, um eine angeblich zu hohe Apothekendichte an manchen Standorten anzuprangern.

Interessant wären Vergleiche mit der Verteilung der Arztpraxen

Darum sind hier folgende Über­legungen zu ergänzen: Es darf nicht überraschen, dass es in Großstädten viel mehr Apotheken gibt, als nach den Abstandsregeln für ländliche Gebiete nötig wären. Denn dort leben auch viel mehr Menschen. Interessant wären Vergleiche mit der Verteilung der Wohnbevölkerung oder der Arztpraxen. Ist die Verteilung der Apotheken ebenso ungleichmäßig oder ballen sich die Apotheken noch mehr? Die Analyse von Knobloch und Schröder bietet Ansätze, solche Fragen anhand von Streuungsmaßen zu beantworten. Doch sogar dabei wäre Vorsicht geboten. Vermutlich ballen sich die Apo­theken mehr als die Wohnbevöl­kerung, denn selbstverständlich versorgen Innenstädte auch das Umland. Das gilt auch für andere Versorgungs­aufgaben. Der Vergleich mit der Streuung der Verteilung der Arztpraxen würde daher noch mehr aussagen.

Das alles kann helfen, einen Konsens über Maße für eine gute Versorgung zu finden. Das sollte das Ziel sein. Denn das ist nötig, um eine fundierte Debatte über das Apothekensterben zu führen und damit hoffentlich den Weg zu einem besseren Honorar für die Apotheken bereiten.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Steuerung / Holger

von Wolfgang Steffan am 05.09.2023 um 9:08 Uhr

Richtig, völlig richtig !
Aber das bedeutet doch, daß man wieder, wie gehabt und wie es in anderen Staaten üblich ist ( Österreich, Schweiz u.a.), nach einer Bedarfsprüfung staatlicherseits oder seitens der Kammern eine Betriebserlaubnis erhält- oder auch nicht.
Genau diese Prinzip wurde doch in den Fünzigerjahren
höchstrichterlich abgeschafft wg. Gewerbefreiheit etc.

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Steuerung?

von Holger am 05.09.2023 um 8:20 Uhr

DIE optimale Apothekendichte gibt es gewiss nicht. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach dürfen wir hier eher eine klassische "Badewannenfunktion" erwarten, bei der es an den Rändern (Unter-/Überversorgung) Probleme gibt, in der Mitte aber einen sehr breit gepufferten Bereich, in dem eine Veränderung dieser Dichte keinen nennenswerten Einfluss auf die Versorgungsqualität hat.

Über die Analyse hinaus stellt sich mir aber die Frage, wie es denn erstens zu der heutigen Situation gekommen ist und wie wir zweitens, wenn denn die heutige Situation suboptimal ist, eine zukünftige Situation besser gestalten können. Und da sehe ich für die heutige Situation eine rein pekuniäre Steuerung - entweder "lohnt" sich eine (zusätzliche) Apotheke an einem Standort, oder halt nicht. Und dieses "lohnen" bezieht sich ausdrücklich NICHT auf die Bedürfnisse der Bevölkerung, sondern ausschließlich auf die Renditeerwartung des Betreibers. Mit allem Verlaub, aber diese Steuerung halte ich aus gesellschaftlicher Sicht für nur bedingt sinnvoll.

Wenn wir das für eine zukünftige Situation verbessern wollten, müssten wir den gesellschaftlich zu alimentierenden Teil der Apothekenerlöse (also den Rx-Anteil) irgendwie politisch so steuern, dass es sich eben mehr/auch lohnt, eine Apotheke im ländlichen Raum zu betreiben, als zu den bereits vorhandenen vier in der Bahnhofstraße noch eine fünfte zu gesellen.

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