Trügerische Fallzahlen: Experten warnen

Zecken sind schon im Winter aktiv

Stuttgart - 22.02.2024, 10:45 Uhr

Prof. Dr. Ute Mackenstedt ist Parasitologin an der Universität Hohenheim. In Ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit FSME-Naturherden, also kleinen, räumlich begrenzten Gebieten, in denen FSME-positive Zecken vorkommen. (Foto: Universität Hohenheim / Corinna Schmid)

Prof. Dr. Ute Mackenstedt ist Parasitologin an der Universität Hohenheim. In Ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit FSME-Naturherden, also kleinen, räumlich begrenzten Gebieten, in denen FSME-positive Zecken vorkommen. (Foto: Universität Hohenheim / Corinna Schmid)


Im Vorfeld des 7. süddeutschen Zeckenkongresses zeigten Experten in einer Pressekonferenz auf, dass die Impfung gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) wichtiger denn je ist. Die Zahl der in Deutschland gemeldeten FSME-Fälle ist 2023 gesunken, doch der langfristige Trend geht eindeutig nach oben. Grund hierfür ist unter anderem die mittlerweile ganzjährige Zeckenaktivität als Folge der klimatischen Veränderungen. 

FSME-Erreger werden durch Zeckenstiche übertragen, in der Regel durch den gemeinen Holzbock (Ixodes ricinus). Auch die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus) ist FSME-Träger, Menschen zählen jedoch seltener zu ihren Wirten. Für ganz Deutschland wurden im Jahr 2023 beim Robert Koch-Institut (RKI) 527 FSME-Infektionen gemeldet, für 2022 waren es 627 Fälle. „Diese Zahlen täuschen“, betonte jedoch Dr. Rainer Oehme, Laborleiter des Landesgesundheitsamts im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration in Baden-Württemberg. Eine jährliche Schwankung der Infektionszahlen sei normal, doch der längerfristige Trend zeige deutlich nach oben. 

Nach wie vor werden die meisten FSME-Fälle aus den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg gemeldet, doch grundsätzlich besteht in ganz Deutschland ein Infektionsrisiko. „Ganz Deutschland ist FSME-Endemiegebiet, wenn auch mit deutlichen regionalen Unterschieden“ betonte Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Parasitologin an der Universität Hohenheim. Prof. Dr. Gerhard Dobler, Leiter des Nationalen Konsiliarlabors FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München, führte dazu aus, dass Landkreise, in denen über einen bestimmten Zeitraum die Inzidenz von 1:100.000 überschritten wird, vom RKI als FSME-Risikogebiete ausgewiesen werden. Dies bedeute jedoch nicht, dass es in den anderen Landkreisen keine Zecken gäbe, die das FSME-Virus tragen.

Erste Infektionen mitten im Winter

Für 2024 wurden beim RKI bereits fünf FSME-Infektionen aus Bayern und eine aus Baden-Württemberg gemeldet. Bei einem durchschnittlichen Vorlauf von vier Wochen bis zur Diagnose haben diese Infektionen mitten im Winter stattgefunden. „Zecken haben also keine Winterpause mehr, das FSME-Geschehen verlagert sich nach vorne“, warnte Ute Mackenstedt. Durch die zunehmend milden Winter überleben mehr Zecken aus dem Vorjahr, und auch Nymphen aus diesem Jahr sind in den Naturherden, die von den Forschern der Universität Hohenheim überwacht werden, bereits zu finden.

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Rainer Oehme berichtete, dass FSME-tragende Zecken zunehmend in höheren geographischen Lagen gefunden werden. Während früher vor allem in Flusstälern das Risiko hoch war, sich zu infizieren, ist inzwischen in Lagen zwischen 500 und 700 Höhenmetern ein starker Anstieg der FSME-Stämme zu sehen. Auch bisher in Deutschland unbekannte Virus-Stämme treten zunehmend auf. Vermutlich, so Dobler, werden sie über Zugvögel eingeschleppt, beispielsweise aus Skandinavien. Veränderte Vogelzüge, mit denen befallene Zecken in bis dahin unberührte Regionen gelangen, sind wohl auch Folgen des immer wärmer werdenden Klimas. 

Sind die Zecken einmal „angekommen“ bleiben sie erstaunlich ortstreu: Die Naturherde, in denen ein einzelner FSME-Stamm zwischen der Zeckenpopulation und ihren natürlichen Wirten, vor allem kleinen Nagetieren, zirkuliert, haben oft nur die Größe eines halben Fußballfelds. Manche dieser Naturherde sind seit 20 oder 30 Jahren unverändert, berichtete Ute Mackenstedt. Warum sie so stabil sind und wie sie funktionieren, ist Gegenstand der Forschungen ihres Arbeitskreises an der Universität Hohenheim.

Hohe Zahl asymptomatischer Infektionen

Für 2024 rechnen die Experten mit hohen Infektionszahlen. Dabei werden längst nicht alle Infektionen bekannt, da eine FSME-Infektion auch asymptomatisch verlaufen kann. Die Dunkelziffer der nicht symptomatischen Infektionen war bisher schwer abzuschätzen. Dank eines neuen Testverfahrens, mit dem zwischen Antikörpern aus einer Impfung und aus einer natürlichen Infektion unterschieden werden kann, stellte Gerhard Dobler bei Untersuchungen von Blutproben von Blutspenderinnen und Blutspendern im Ortenaukreis (Baden-Württemberg) fest, dass das dortige Infektionsrisiko siebenfach höher ist als bisher auf Basis der gemeldeten Zahlen angenommen. 

Impfung ist ratsam

Auch wenn die meisten FSME-Infektionen symptomfrei oder mild verlaufen, sollte das Infektionsrisiko nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Je älter die Patienten, desto häufiger kommt es zum Ausbruch. Menschen mit Grunderkrankungen wie Diabetes oder Immunsupprimierte sind dabei prädestiniert für schwere Verläufe, führte Gerhard Dobler aus. Doch auch bei gesunden, jungen Menschen kommt es zu schweren Verlaufsformen mit teils bleibenden neurologischen Schäden.

Für rund 1% der Patienten, bei denen FSME ausbricht, endet die Infektion tödlich. Doch nach Daten aus einer RKI-Studie haben auch Patienten mit überstandener Frühsommer-Meningoenzephalitis noch nach 18 Monaten belastende Symptome wie Schlaf- oder Konzentrationsprobleme. Ist die Krankheit erst einmal ausgebrochen, können nur die Symptome therapiert werden. Schützen kann eine Impfung, zu der die Experten dringend raten.

Literatur

Universität Hohenheim: Digitale Pressekonferenz zu Zecken & FSME im Vorfeld des 7. süddeutschen Zeckenkongresses am 20. Februar 2024

Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 20. Februar 2024: Zecken & FSME: Forschende erwarten hohe Fallzahlen für 2024


Dr. Sabine Werner, Apothekerin und Redakteurin
readktion@daz.online


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