Online-Portal „LillyDirect“ in den USA

Arzneimittel direkt vom Pharmakonzern

Stuttgart - 15.04.2024, 07:00 Uhr

Mit dem Online-Portal „LillyDirect“ will der US-Konzren Eli Lilly Arzneimittel direkt vom Unternehmen zum Kunden nachhause liefern. Foto: IMAGO / ZUMA Wire

Mit dem Online-Portal „LillyDirect“ will der US-Konzren Eli Lilly Arzneimittel direkt vom Unternehmen zum Kunden nachhause liefern. Foto: IMAGO / ZUMA Wire


Der US-Pharmakonzern Eli Lilly hat im Januar 2024 das Online-Portal „LillyDirect“ gegründet. US-Kunden haben dort die Möglichkeit, unter Umgehung von Großhandel und Apotheken direkt bei dem Unternehmen eine Auswahl verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu bestellen und sich nach Hause liefern zu lassen. Hierzulande verweisen Unternehmen auf die gültige Rechtslage, wonach in Deutschland verschreibungspflichtige Arzneimittel nur von Apotheken abgegeben werden dürfen. Aber wird „LillyDirect“ zum Türöffner?

Die Webseite zeigt sich freundlich und unterstützend: „LillyDirect hilft, die für die Gesundheit nötigen Elemente zusammenzubringen.“ Oder: „Sie brauchen gezielte Unterstützung? Melden Sie sich für ein unabhängiges Telemedizinprogramm an, das auf Ihr Krankheitsbild abgestimmt ist.“ Und schließlich ist da zu lesen: „Sie bevorzugen eine Betreuung vor Ort? Die finden Sie hier.“ Das Online-Portal „Lilly­Direct“ des US-Pharmakonzerns Eli Lilly bietet aber noch mehr. Scrollt der Nutzer etwas tiefer, heißt es: „Lassen Sie sich ausgewählte und verschriebene Lilly-Arzneimittel direkt nach Hause liefern.“ Gleich darauf der Zusatz: „Vermeiden Sie mögliche lange Schlangen und Wartezeiten in einer herkömmlichen Apotheke.“ Im Angebot, so erfährt der Patient, sind derzeit ausgewählte Diabetes-, Migräne- und Adipositas-Arzneimittel. Dazu zählt auch das beliebte Arzneimittel zur Gewichtsreduzierung, Zepbound®, mit dem Lilly in direkter Konkurrenz zu Novo Nordisks Ozempic® und Wegovy® steht. Die Nachfrage nach diesen Produkten ist enorm, ebenso hoch sind die Umsätze. Bei der Auslieferung bedient sich der in Indianapolis ansässige Arzneimittelhersteller der Unterstützung von Amazon Pharmacy, der Gesundheitssparte des Online-­Riesen und Versandhändlers Amazon, sowie der Online-Apotheke Truepill. Beide Unternehmen bringen die bei Lilly bestellten Arzneimittel direkt zu den Kunden nach Hause.

Das Angebot der konzerneigenen Online-Apotheke richtet sich derzeit zwar an Kunden in den USA, bringt aber auch dort eine neue Qualität in die Arzneimittelkette: Ein Pharmakonzern, der Arzneimittel entwickelt und produziert, verkauft diese nun auch selbst und direkt an die Endverbraucher. Das Unternehmen umgeht damit weitgehend zwischengeschaltete Branchen wie Pharma-Großhändler und Apotheken.

„Eine andere Art von Apothekenerlebnis“

Lilly bezeichnet das Angebot selbst als „eine andere Art von Apothekenerlebnis“. Branchenkenner sehen den Schritt auch strategisch. So dürfte Lilly damit den Zugang zu seinen GLP-1-Medikamenten verbessern wollen — vor allem vor dem Hintergrund der gestiegenen Verbrauchernachfrage, weit verbreiteten Lieferengpässen und im Wettbewerb mit Novo Nordisk und dessen Konkurrenzprodukten. Lilly weist zudem darauf hin, auf diese Weise Sicherheit vor Fälschungen gewährleisten zu wollen.

Da stellt sich die Frage: Ist das ein Beispiel, das Schule machen könnte? Springen möglicherweise weitere Pharmaunternehmen auf diesen Zug auf und vertreiben ihre Produkte künftig über einen digitalen Shop? Und: Ist das gar ein Modell für Deutschland?

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ABDA: Direktvertrieb durch Pharma ist ausgeschlossen

Nein, sagt die ABDA auf Anfrage, und verweist auf den Paragrafen 43 des Arzneimittelgesetzes, wonach hierzulande der Direktvertrieb von Arzneimitteln durch pharmazeutische Unternehmer an die Patienten ausgeschlossen ist. Auch der Direktvertrieb an Ärzte und Krankenhäuser beziehungsweise „vergleichbare Endverbraucher“ sei nur eingeschränkt möglich. „Insofern ist das Konzept mit dem deutschen Arzneimittelrecht nicht vereinbar“, so die ABDA. Im Übrigen gehöre die Apothekenpflicht von Arzneimitteln in Deutschland und anderen europäischen Ländern zu den Eckpfeilern der Gesundheits- und Arzneimittelversorgung und damit auch des Verbraucherschutzes.

Der Apothekerverband Bayern geht einen Schritt weiter und stellt klar, dass man „eine Vertikalisierung der Arzneimittelversorgung“ ablehne. „Die bewährte, horizontale Lieferkette – Hersteller, Großhandel, Apotheke – hat sich bewährt, gewährleistet die Unabhängigkeit der einzelnen Glieder dieser Lieferkette und dient damit in letzter Konsequenz einer stabilen Versorgung im Sinne der Patienten“, so der Landesverband.

Die Anfragen der DAZ bei Verbänden, Pharmahändlern und Pharmaunternehmen zeigen darüber hinaus eine starke Zurückhaltung gegenüber dem Thema – beinahe so, als wollte man sich nicht wirklich mit dem neuen Pharma-­Direktvertrieb in den USA beschäftigen. So teilt der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller vfa kurz und bündig mit: „Da es die USA betrifft, wollen wir das nicht kommentieren und darüber spekulieren, ob das für Deutschland auch denkbar wäre.“

Der Mannheimer Pharmahändler Phoenix verweist aus­weichend darauf, dass man in 29 europäischen Ländern Europas vertreten sei „und damit ein umfassendes lokales Marktwissen über die stark heterogenen Gesundheitssysteme Europas besitzt“. Ein standardisierter, „One-size-fits-all-Ansatz“ sei damit nicht möglich. Einen leichten Hinweis, dass man durchaus gewappnet für Neues sei, steckt in dem Zusatz, dass Phoenix mit seinen Omnichannel-Angeboten in zahlreichen Märkten „sehr gut für die fortschreitende Digitalisierung aufgestellt“ sei.

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Deutlicher als Phoenix positioniert sich der Essener Großhandels-Wettbewerber Noweda und schlägt eine Lanze für die Apotheken: Die pharmazeutische Betreuung durch Apotheker und deren Teams sei unumgänglich, um eine hochwertige, wohnortnahe Versorgung zu gewährleisten und Patienten zu schützen. Der Pharmagroßhandel sei ein wichtiger Teil dieses Systems, da über ihn die Belieferung mit Arzneimitteln innerhalb weniger Stunden möglich ist und Patienten auch in Akutsituationen schnellstmöglich versorgt werden. „Jede Form von Direktgeschäft, auch vom Hersteller zur Apotheke, untergräbt dieses funktionierende System, sorgt in Apotheken für drastischen Mehraufwand und begünstigt unter Umständen Therapieverzögerungen“, so eine Unternehmenssprecherin. Im Übrigen unterscheide sich der US-Pharmamarkt in sehr vielen – auch rechtlichen – Aspekten deutlich von den Vorgaben in Deutschland. Daher sehe man beim Thema Direktvertrieb an Patienten aktuell keinen unmittelbaren Zusammenhang zur Situation in Deutschland.

Novo Nordisk gibt sich etwas offener gegenüber neuen Ansätzen

Und wie stehen Pharmaunternehmen selbst zu dem Vorstoß von Lilly? Das japanische Unternehmen Takeda, das auch in Deutschland umfangreiche geschäftliche Aktivitäten betreibt, verweist ebenfalls auf die hierzulande geltenden Vorschriften, wonach die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Patienten den Apotheken vorbehalten ist. An einer Einschätzung zum Thema Direktvertrieb könne man sich „leider nicht beteiligen“. Novo Nordisk, der große Wettbewerber von Lilly bei den GLP-1-Medikamenten, gibt sich etwas offener gegenüber neuen Ansätzen. Der dänische Konzern betont, dass innovative Therapien und die Erweiterung des Zugangs zu Arzneimitteln für Patienten mit chronischen Krankheiten Priorität habe. Man treibe den Wandel in der Art und Weise, wie Menschen mit chronischen Krankheiten gesehen und behandelt werden, weiter voran. „Wir glauben auch, dass neue Kanäle wichtig sind, um die Patienten noch besser zu unterstützen.“ Und: „Wir überprüfen und überarbeiten unsere Angebote kontinuierlich und arbeiten mit verschiedenen Interessengruppen zusammen, um Lösungen für unterschiedliche Patienten­bedürfnisse zu entwickeln und die Patientenversorgung zu verbessern.“

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Lilly bereitet nächste Schritte vor

Derweil scheint Lilly in den USA schon weiter zu denken. So teilte ein Sprecher mit, dass die Website seit dem Start auf großes Interesse gestoßen sei und sich der Arzneimittelhersteller darauf freue, „LillyDirect in naher Zukunft mit weiteren Medikamenten, Partnern und Dienstleistern zu erweitern“. Frank Cunningham, Vizepräsident für Managed Healthcare Services bei Lilly, sagte, man erwäge eine Partnerschaft mit einer Einzelhandelsapotheke, um eine Abholoption für LillyDirect-Kunden anzubieten. Tim Wentworth, CEO von Walgreens, hob gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters schon mal den Finger: Kurz nach dem Start von LillyDirect gab er zu verstehen, dass seine Apothekenkette „ein sehr natürlicher potenzieller Partner für jemanden wie Lilly“ sein könnte.


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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