CGRP-Antikörper

Migräneprophylaxe – frühzeitiger Einsatz von Erenumab bewährt sich

Stuttgart - 06.05.2024, 13:45 Uhr

Bei häufigen Migräneattacken (drei und mehr pro Monat) mit ausgeprägten Beschwerden sollte eine medikamentöse Prophylaxe in Betracht gezogen werden. (Foto: Andrey Popov / AdobeStock)

Bei häufigen Migräneattacken (drei und mehr pro Monat) mit ausgeprägten Beschwerden sollte eine medikamentöse Prophylaxe in Betracht gezogen werden. (Foto: Andrey Popov / AdobeStock)


Kaum ist eine Kopfschmerzepisode beendet, startet auch schon die nächste. Patienten mit häufigen Migräneattacken, ausgeprägten Beschwerden oder anhaltender Aura benötigen eine Migräneprophylaxe. Hierzu zählen CGRP-Antikörper. Sie sind effektiv und sicher, gelten jedoch nicht immer als Mittel der ersten Wahl. Dabei sprechen jüngste Studienergebnisse für einen frühen Einsatz – zumindest von Erenumab.

Die Einführung der monoklonalen, gezielten CGRP(calcitonin gene-related peptide)-Antikörper hat die medikamentöse Migräneprophylaxe revolutioniert. Derzeit sind in Deutschland vier CGRP-Antikörper zur Prophylaxe der episodischen und chronischen Migräne zugelassen: 

  • Erenumab (Aimovig®) gegen den CGRP-Rezeptor sowie 
  • Fremanezumab (Ajovy®), Galcanezumab (Emgality®) und Eptinezumab (Vyepti®) gegen CGRP direkt. 

Punkten können die Antikörper durch nicht notwendige Dosistitration, rasches Ansprechen, lange Dosis­intervalle sowie gute Verträglichkeit. Aus Kostengründen wird einer direkten Prophylaxe mit Antikörpern ohne vorherige Behandlung mit konventionellen Migräneprophylaktika jedoch meist ein Riegel vorgeschoben. Patienten müssen oft erst verschiedene unspezifische Medikamente wie Betablocker, Calcium-Antagonisten, Antiepileptika und Antidepressiva ausprobieren, obwohl Studien eine geringe Adhärenz und häufige Therapieabbrüche für die oralen Migräneprophylaktika gezeigt haben. Der Hauptgrund dafür sind die Nebenwirkungen vor allem in der Eindosierungsphase.

CGRP-Antikörper: Erste Wahl?

Stellt sich also die Frage: Sollten CGRP-Antikörper bei der Migräneprophylaxe Mittel der ersten Wahl sein? Zum frühen Einsatz dieser Wirkstoffe gehen die Expertenmeinungen auseinander. Das jüngste Leitlinien-Update der European Headache Federation (EHF) von 2022 empfiehlt bei Patienten mit episodischer oder chronischer Migräne CGRP-Antikörper als Firstline-Therapieoption, weil sie wirksam und sicher sind – auch in der Langzeitanwendung. Moderate bis hohe Evidenz liegt vor aus randomisierten klinischen Studien und Real-World-Daten aus dem Versorgungsalltag. Gestützt wird die EHF-Empfehlung durch Ergebnisse der jüngst im Journal of the American Medical Association publizierten APPRAISE-Studie. Diese zwölfmonatige, randomisierte Phase-IV-Studie vergleicht die Effektivität, Verträglichkeit, Patientenadhärenz und -zufriedenheit zwischen Erenumab und unspezifischen oralen Migräneprophylaktika (orale migraine preventive medications = OMPM) bei Patienten mit episodischer Migräne nach vorherigem Therapieversagen auf ein bis zwei Arzneimittel. 

Ziel der medikamentösen Migräneprophylaxe:

Migräneprophylaxe bedeutet „nur“ eine Reduktion und kein völliges Ausbleiben der Attacken. Ziele laut Leitlinie sind:

  • Reduktion der Migränetage pro Monat in Bezug auf Schwere und Dauer
  • Reduktion des akuten Schmerz­mittelgebrauchs

Von einem Therapieerfolg einer Migräneprophylaxe spricht man bei:

  • einer Reduktion der Anfallshäufigkeit von ≥ 50% bei episodischer Migräne und ≥ 30% bei chronischer Migräne – über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten

Um Ziele und Erfolge nachzuvoll­ziehen, ist eine Dokumentation mit einem Kopfschmerzkalender ratsam.

621 Patienten nahmen teil und erhielten randomisiert 2 : 1 Eren­umab in der Dosis 70 oder 140 mg monatlich subkutan oder unspezifische orale Migräneprophylaktik. Das Er­gebnis: Unter dem CGRP-Rezeptor-­Antikörper zeigte sich eine anhaltende Adhärenz gegenüber der initial fest­gesetzten Therapie. Denn signifikant mehr Patienten blieben über zwölf Monate hinweg bei Erenumab (Medikationswechsel 2,2% vs. 34,6% unter OMPM) und erreichten zugleich eine ≥ 50%ige Reduktion der monatlichen Kopfschmerztage (56,2% vs. 16,8%; odds ratio [OR] = 6,48; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 4,28 bis 9,82; p < 0,001). Darüber hinaus kam es unter Erenumab kaum zu Nebenwirkungen wie Obstipation oder Schmerzen an der Injektionsstelle.

Zusatznutzen ermöglicht frühere Verordnung

Die deutsche Migräneleitlinie weicht von der EHF-Empfehlung ab und spricht sich bisher nicht für CGRP-­Antikörper als Mittel der ersten Wahl aus. Hier gilt aus Wirtschaftlichkeitsgründen: CGRP-Antikörper dürfen bei episodischer und chronischer Migräne erst eingesetzt werden, wenn alle bisher zugelassenen Vortherapien (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin und bei chronischer Migräne Onabotulinumtoxin A) nicht wirksam, nicht verträglich oder kontraindiziert sind. Eine Ausnahme davon besteht für Erenumab, das als einziger CGRP-Antikörper bereits nach einer einzigen erfolglosen Vortherapie budgetneutral verordnet werden darf. Diese Ausnahme von der Verordnungsreihenfolge ist zurückzuführen auf eine direkte Vergleichsstudie von Erenumab mit Topiramat zur Prophylaxe bei 777 Migränepatienten. In dieser Her-MES-Studie war Erenumab signifikant wirksamer (≥ 50% Reduktion der monatlichen Migräneattacken 55,4% vs. 31,2%) und wurde deutlich besser vertragen – mit signifikant geringeren Raten an Therapieabbrüchen (10,6% vs. 38,9 %) aufgrund von Nebenwirkungen. Daraufhin bestätigte der G-BA Erenumab einen beträchtlichen Zusatznutzen.

Generell sollte sich die Auswahl eines Migräneprophylaktikums an Attackenhäufigkeit, Begleiterkrankungen und individuellen Bedürfnissen des Patienten orientieren. Unspezifische Prophylaktika weisen weitere Wirk­effekte auf, so kommen bei Komorbiditäten wie Depressionen eher Antidepressiva infrage, bei Herzkreislauf-­Erkrankungen Betablocker. Daneben gilt aber auch: Ein zu langes Herausschieben eines CGRP-Antikörper-­Einsatzes fördert die Krankheitsprogression und Chronizität der Migräne. Und umgekehrt kann früh verordnetes Erenumab in der Migräneprophy­laxe dazu führen, dass weniger Patienten die Therapie abbrechen oder Arzneimittel wechseln müssen. Letztlich spricht das für weniger Krankheitsausfall und bessere Lebensqualität der Betroffenen. 

Literatur

Pozo-Rosich P et al. Early Use of Erenumab vs. Nonspecific Oral Migraine Preventives The APPRAISE Randomized Clinical Trial. JAMA Neurology 2024; 25:e240368

Reuter U et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia 2022;42(2):108-118, doi: 10.1177/03331024211053571

Sacco S et al. European Headache Federation guideline on the use of monoclonal antibodies targeting the calcitonin gene related peptide pathway for migraine prevention - 2022 update. J Headache Pain 2022:11;23(1):67, doi: 10.1186/s10194-022-01431-x

Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), AWMF-Registernummer: 030/057, Stand: Oktober 2022


Dr. Ines Winterhagen, Apothekerin
redaktion@daz.online


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