Interview mit Sanacorp-Vorstand Lang und seinem Nachfolger Neuss

„Die lokale sichere und zuverlässige Arzneimittelversorgung ist in Gefahr“

München - 30.05.2024, 17:50 Uhr

Führungswechsel beim Pharma-Großhändler Sanacorp. (Foto: Sanacorp)

Führungswechsel beim Pharma-Großhändler Sanacorp. (Foto: Sanacorp)


Zum 30. Juni 2024 beendet Herbert Lang seine Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender der Sanacorp. Seine Nachfolge tritt zum 1. Juli der 51-jährige Betriebswirt Patrick Neuss an. Die DAZ sprach mit dem scheidenden und dem neuen Vorstandschef über Herausforderungen der Vergangenheit und dem künftigen Kurs des Unternehmens.

DAZ: Herr Lang, Sie werden mit Ihrem Ausscheiden Ende Juni 2024 durchgehend 27 Jahre bei Sanacorp tätig gewesen sein, davon mehr als 20 Jahre als Vorstand und 14 Jahre als Vorsitzender des Gremiums. Wie hat sich das Unternehmen in dieser Zeit entwickelt?

Dr. Herbert Lang

Lang: Eine Redensart besagt, dass im Handel nichts beständiger ist als der Wandel. Und trotz zahlreicher Herausforderungen für die Sanacorp in den letzten zwei Jahrzehnten konnten der Umsatz verdoppelt, neue Niederlassungen zur Versorgung unserer Mitglieder und Kunden errichtet und darüber hinaus die zwei privaten Pharmagroßhandlungen „von der Linde“ und „Fiebig“ erworben und erfolgreich integriert werden. Digital sind wir mit unserer Shoplösung und anderen Angeboten am Puls der Zeit. So sehe ich die Sanacorp insgesamt als gut gerüstet für die Zukunft.

DAZ: Was waren die größten Herausforderungen?

Lang: Es gab und gibt vielerlei Herausforderungen, zum Beispiel aus dem Markt oder der technischen Entwicklung. Die größten und die unkalkulierbarsten Herausforderungen bestehen aber aus meiner Sicht in den immer fortwährenden Eingriffen des Gesetzgebers in den Gesundheitsmarkt und insbesondere in den Apothekenmarkt. Statt einer wichtigen und notwendigen Neustrukturierung wird fortlaufend mit immer ruinöseren Kosteneinsparungsmaßnahmen das Fundament der bewährten Vor-Ort-Apotheken unterhöhlt. Die lokale sichere und zuverlässige Arzneimittelversorgung ist in dringender Gefahr.

Mehr zum Thema

Sanacorp-Vertreterversammlung

Mehr Umsatz, weniger Gewinn

DAZ: Herr Neuss, die pharmazeutische Großhandelslandschaft wandelt sich und steht von mehreren Seiten unter Druck: Die Zahl der Apotheken nimmt ab, Onlineapotheken versenden direkt an die Kunden, die Digitalisierung schreitet voran und die Margen sinken. Wie wollen Sie Sanacorp in diesem Umfeld positionieren, damit das Unternehmen auch künftig bestehen kann?

Patrick Neuss

Neuss: Erst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich bei allen Vertreterinnen und Vertretern sowie bei Herrn Dr. Lang und dem gesamten Team der Sanacorp für den unglaublich herzlichen und freundlichen Empfang bedanken. Ich freue mich sehr, ab Juni an Bord zu sein und mich mit aller Kraft für die von Ihnen genannten Themen einzusetzen. Ich habe bereits einige Apotheken besucht und auch schon mein erstes Kurzpraktikum in einer Apotheke vor Ort absolviert. Dabei habe ich erlebt, mit welcher Leidenschaft und mit welch großem Herzblut sich die Teams für ihre Patientinnen und Patienten einsetzen.

Zu den wichtigsten Anforderungen im operativen Geschäft an uns von der Sanacorp gehören die Liefer­fähigkeit und Lieferpünktlichkeit – hierfür engagieren wir uns an aktuell 19 Standorten mit 3000 engagierten Kolleginnen und Kollegen.

Älteste Apothekenkorporation Deutschlands feiert 100. Geburtstag

  • 1924 wurde in Esslingen die „Einkaufsvereinigung Württembergischer Apotheker“ gegründet, aus der später die Einkaufsgenossenschaft Württembergischer Apotheker hervorging  (EGWA). 
  • Im Januar 1990 schloss sich die EGWA mit der Apothekengenossenschaft WIVEDA unter dem neuen Firmennamen Sanacorp zusammen.

Auf der regulatorischen Ebene setzen wir uns mit aller Kraft dafür ein, die überregulierten und teils existenzgefährdenden Auflagen entlang der realen Lebenssituation anzupassen. Ich weiß, hier gibt es für unsere Branche insgesamt dicke Bretter zu bohren.

Natürlich sind Apothekerinnen und Apotheker auch Unternehmer. Daher ist es für uns von der Sanacorp besonders wichtig, dass wir alles für ein funktionierendes Tagesgeschäft in den Apotheken vor Ort tun. Wenn man sich mit der Beschaffung, der Lagerung und der Logistik von Arzneimitteln beschäftigt, dann lernt man schnell, wie aufwendig, teilweise regulatorisch herausfordernd und teuer dieses Geschäft ist. Das übernehmen wir – ebenso wie über die Großhandelsfunktion hinausgehende administrative Aufgaben, Marketing-Unterstützung, Fortbildung, kauf­män­nische Beratung, Vereinfachung und Beschleunigung von Prozessen durch digitale Lösungen – für unsere angeschlossenen Mitglieder.

DAZ: Hat das genossenschaftliche Organisationsmodell weiterhin seine Berechtigung?

Neuss: Wenn man sich mit dem persönlichen Einsatz der Apothekerinnen und Apotheker und ihren Teams vor Ort im Dienst der Patientinnen und Patienten beschäftigt, dann versteht man schnell, welch großer Dienst am Menschen in den Apo­theken geleistet wird. Die Apotheke ist oft die erste Anlaufstelle nach einem Arztbesuch. Das Gespräch mit den Menschen nach einer Diagnose verdient den allergrößten Respekt, genau wie die Begleitung während einer Therapie. Die Apotheken ersetzen mit ihrem enorm fundierten Fachwissen für viele Menschen häufig auch den Arztbesuch.

Der persönliche Kontakt mit erkrankten Personen ist oft durch nichts zu ersetzen. Daher sehe ich eine unbedingte Notwendigkeit für die Apotheken vor Ort. Logischerweise ergibt sich daraus, dass diese von uns eine exzellente Unterstützung und ein zuverlässiges Leistungsversprechen benötigen, um sich im Alltag so gut wie möglich auf ihre Patientinnen und Patienten konzentrieren zu können.

Vor diesem Hintergrund hat ein genossenschaftliches Modell einen enormen Wert, um die unternehmerische Individualität und Vielfalt zu unterstützen und zugleich gemeinsame Interessen zu bündeln und inhaltliche wie auch ökonomische Vorteile zu schaffen. Das Genossenschaftsmodell ist die Organisationsform, die qua Definition die In­teres­sen der Apothekerinnen und Apotheker vor Ort uneigennützig in deren Sinne vertritt. Deshalb es ist unsere Aufgabe, so viel wie möglich vor Ort zu sein, gut zuzuhören, die Anforderungen der Apothekerinnen und Apotheker aufzunehmen und in ihrem Auftrag zu erfüllen.

Ich persönlich möchte weiterhin in einer menschlichen Welt leben. Und ich kann Ihnen nach meinen Besuchen sagen: Es gibt wenige Orte im Handel, in denen Freud und Leid und so viel Menschliches zusammenfinden. Daher ist es gut, dass es die Apotheken vor Ort gibt.

DAZ: Herr Lang, Herr Neuss, vielen Dank für das Gespräch!


Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.