Analyse zur Reform der Notfallversorgung

Notfallzentren werden Apothekennotdienste grundlegend verändern

Süsel - 06.08.2024, 07:00 Uhr

Die neuen Notfallzentren können für die Apotheken eine Chance sein. (Foto: IMAGO / Eibner)

Die neuen Notfallzentren können für die Apotheken eine Chance sein. (Foto: IMAGO / Eibner)


Die Reform der Notfallversorgung wird mit den vertraglich an die Notfallzentren gebundenen Apotheken massiv auf die etablierten Notdienste wirken. Versorgungsbedarf, Personaleinsatz und Finanzierung sind ganz neu zu bewerten, aber in den Reformentwürfen geschieht dies nicht. Es wird Einschränkungen bei den übrigen Diensten geben müssen – und das bietet durchaus Chancen für die Apotheken. 

Das geplante Gesetz zur Reform der Notfallversorgung wird erhebliche Folgen für den Apothekennotdienst haben. Zu den neuen „Integrierten Notfallzentren“ sollen jeweils eine Notdienstpraxis und eine vertraglich gebundene Apotheke gehören. Diese Apotheke soll sich in „unmittelbarer Nähe“ der Praxis befinden, oder eine Apotheke in „angemessener Nähe“ – was immer das heißen mag – soll dort eine zweite Offizin betreiben.

Die Apotheke bzw. die zweite Offizin muss während der Öffnungszeiten der Notdienstpraxis geöffnet sein, also jeden Abend mindestens bis 21 Uhr sowie am Samstag und Sonntag jeweils mindestens von 9 bis 21 Uhr. Es bleibt offen, nach welchen Kriterien ausgewählt wird, falls sich mehrere Apotheken dafür bewerben.

In den Apotheken in der Nähe von Notdienstpraxen ist jetzt zu fragen, ob so viel Personal zu gewinnen ist und ob die erwartbaren Roherträge und Zahlungen aus dem Nacht- und Notdienstfonds (NNF) für dieses neue Geschäftsmodell ausreichen werden. Wie hoch die Zahlungen aus dem NNF werden, ist allerdings offen.

Viele neue Teildienste an den Notfallzentren

Die etwa 700 Apotheken an Notdienstpraxen, die an 365 Tagen im Jahr tätig sein sollen, werden jährlich 255.500 Teildienste leisten. Im Vergleich zu knapp 380.000 Volldiensten, die der Nacht- und Notdienstfonds (NNF) 2023 abgerechnet hat, wäre das eine sehr erhebliche Größe. Die Kundenzahl in den übrigen Notdienstapotheken würde daraufhin massiv sinken. Zugleich würde bezogen auf das ganze Apothekensystem der Personalbedarf außerhalb der regulären Öffnungszeiten steigen, wenn zusätzlich zum bisherigen Notdienst die Apotheken an den Notdienstpraxen betrieben werden.

Mehr zum Thema

Regierungsentwurf für Notfall-GEsetz

Die Rolle der Apotheken in der Notfall-Reform

ABDA-Stellungnahme zum Notfall-Gesetz

Absage an Parallelstrukturen und Dispensierrecht

Außerdem sollen die neuen Dienste aus dem NNF finanziert werden. Der soll zwar durch die Apotheken-Reform aufgestockt werden, aber das soll die Apotheken stärken, und das ist ohnehin nur eine Umverteilung zulasten der pharmazeutischen Dienstleistungen. Durch die neuen Notdienste könnte für den etablierten Notdienst sogar weniger Geld zur Verfügung stehen als bisher.

Übrige Dienste müssen ausgedünnt werden

Die Konsequenzen für den etablierten Apothekennotdienst werden im Entwurf zur Reform der Notfallversorgung nicht erwähnt, aber aufgrund der obigen Überlegungen ist offensichtlich, dass die übrigen Dienste reduziert werden müssen. Bei der Verteilung sollten die Dienste an den Notfallzentren berücksichtigt werden. Die Politik hat dafür allerdings bisher keine Schnittstellen vorgesehen. Bemerkenswert erscheint jedoch der Plan der Apotheken-Reform, die ständige Dienstbereitschaft durch Mindestöffnungszeiten zu ersetzen. Damit dürfte der Spielraum zur Gestaltung der Notdienste sehr viel größer werden.

Dabei sind viele Varianten denkbar. Die Erfahrung zeigt, dass Notdienste am Abend sehr viel mehr als mitten in der Nacht in Anspruch genommen werden. Das liegt auch nahe, denn am Abend arbeiten viele Arztpraxen noch ihre Wartezimmer ab. Das spricht dafür, mehr Teildienste am Abend einzuführen, diese auch finanziell zu unterstützen und dafür die Nachtdienste auszudünnen.

Abschaffung der Nachtdienste?

Das künftige Angebot von 255.500 Teildiensten an zentralen Orten wirft allerdings auch die Frage auf, ob der Notdienst – auch nachts – weitgehend auf diese Apotheken übertragen werden sollte. Möglicherweise reicht es aus, zusätzliche Dienste nur an außergewöhnlichen Standorten, beispielsweise auf Inseln, anzubieten.

Die größtmögliche Änderung wäre die Nachtdienste komplett abzuschaffen. Dafür gäbe es durchaus einen Anlass, denn die geplante Reform der Notfallversorgung soll das Angebot in der Nacht verbessern und eine telemedizinische oder aufsuchende Versorgung durch ambulant tätige Ärzte rund um die Uhr sicherstellen. Dann könnte sich der Apothekennotdienst in der Nacht erübrigen. Patienten mit „banaleren“ Anliegen müssten dann einige Stunden bis zum nächsten Morgen warten, aber das gilt auch für solche Fälle in der ärztlichen Versorgung.

Neue Chancen für die Apotheken

Diese Veränderungen mögen zunächst erschreckend wirken, aber sie könnten den Apotheken auch Chancen eröffnen. Denn weniger Notdienste oder die Bündelung von Diensten in wenigen Apotheken würden viele Apotheken entlasten. Dies könnte Apothekenübernahmen erleichtern und damit den Bestand von Apotheken sichern. Außerdem könnte der nötige zeitliche Spielraum für pharmazeutische Dienstleistungen geschaffen werden. 

Den Patienten könnte das alles mehr bringen, als sie die Ausdünnung der Notdienste belasten würde. Damit eröffnet sich ein breites Spektrum von Möglichkeiten, die jeweils viele Konsequenzen für die Versorgung, die Finanzierung und die Berufspolitik hätten. 


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


8 Kommentare

Notversorgung

von Holger am 12.08.2024 um 8:35 Uhr

Ich bin kein öffentlicher Apotheker, von daher möge man mir nachsehen, dass ich das genaue Arbeitsaufkommen im nächtlichen oder sonntäglichen Notdienst weder qualitativ noch quantitativ so exakt beurteilen kann, wie die Kolleginnen und Kollegen, die diese Dienste tatsächlich verrichten. Aber ich bin auch Patient, Kunde, Konsument ...

Für mich gibt es zwei Arten der Inanspruchnahme von Notdiensten:
1. die, bei der vor dem Gang in die Apotheke die Konsultation des ärztlichen Notdienstes erforderlich ist.
2. die bei der 1. nicht erforderlich ist (von PiDaNa über Windeln/Säuglingsnahrung bis zur Einlösung älterer Rezepte)

Braucht es für die unter 2. genannten Fälle wirklich einen flächendeckenden wohnortnahen Notdienst? Wäre es in diesen Fällen nicht legitim, den Konsumenten mit ähnlich abschreckenden Gebühren zu "erziehen", wie das der Schlüsseldienst tut, wenn ich mich nächtens daheim ausgesperrt habe? Man möge mich für zynisch halten, aber in diesen Fällen hielte ich eine Wegstrecke von MINDESTENS 30km zur diensthabenden Apotheke für legitim.

Für die unter 1. genannten Fälle macht es doch aber viel mehr Sinn, wenn der Patient vom Lande 50km in das Notdienstzentrum fährt, wo er zuesr die ärztliche Diagnose wie Verschreibung erhält, als auch direkt im Anschluss und im Haus diese Verschreibung vom Apotheker versorgt bekommt? Die Alternative, erst 30km zur notdienstenden Arztpraxis zu fahren und dann 30 km in die Gegenrichtung zur notdienstenden Apotheke, die ist sicher aufwändiger.

Also ICH bin großer Fan solcher Zentralversorgung. Das entbindet alle Kolleg:innen in der Fläche von der Verpflichtung zur Leistung nächtlicher Notdienste, lässt ihnen aber alle Freiheitsgrade zur Belieferung von Rezepten außerhalb dieser Notdienstzeiten und selbstverständlich auch der unter 2. genannten Fälle. Dass die zentralen Standorte aber für die selbständigen Kolleg:innen höchst attraktiv sein dürften und eher die "jetzt schon fetten" unter den Selbständigen noch "fetter" macht - das dürfte ein selbst gemachtes Problem sein und ist NICHT den Rahmenbedingungen geschuldet. Nebenbei: dieses Phänomen gibt es nicht nur in der Pharmazie, das ist quasi in ALLEN Berufen so.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Zentraler Apotheken-Notdienst

von Dr. Detlef Eichberg am 12.08.2024 um 8:28 Uhr

Unsere Apotheke befindet sich im zentralen Fadenkreuz der Notdienst habenden Krankenhaus-Zentralen in Erbach, Groß-Umstadt und dem bayerischen Erlenbach. Bei einer Zuordnung fest etablierter pharmazeutischer Notdienst-Versorgung in unmittelbarer Nähe der drei besagten medizinischen Zentralen wäre es in unserem Fall eine absolute Erleichterung, bei einem Wegfall der Notdienst-Vollzugs-Zwänge angesichts des "Notfall-Tote-Hose-Limits" ab 22 Uhr nicht mehr im anderthalb Stunden-Rhythmus fünf Tage alte Rezepte und/oder Nasensprays bedienen zu müssen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Lost

von Thomas Kerlag am 10.08.2024 um 23:26 Uhr

Ein Tipp. In anderen qualifizierten Berufen braucht man keine krankmachenden Nachtschichten hinlegen oder abartige Arbeitszeiten hinnehmen. Der Beruf ist kaum noch in Vollzeit zu ertragen

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Lost

von Holger am 12.08.2024 um 8:14 Uhr

Stimmt! Staatssekretäre haben ja von Mo-Do um 17 Uhr und am Fr um 13 Uhr Feierabend und sind dann nicht mehr erreichbar. Flugkapitäne müssen wegen des Nachtflugverbots nachts nie arbeiten, Feuerwehrleute und Krankenhausärzte auch nicht ...

/ironic mode off

Wir können ja gerne darüber diskutieren, in wie weit die Entlohnung des (angestellten!!! - sind ja die von mir als Vergleich herangezogenen Berufe auch alle, okay der Staatssekretär ist Beamter ...) Apothekers für seine Ausbeutung im Vergleich zu den genannten Gruppen adäquat ist. Aber wir sollten nicht dergestalt mit dem Leichentuch wedeln, dass wir uns als die einzigen Malocher in unserem Lande sehen.

Und wenn Sie unbedingt darauf bestehen, sich mit anderen Selbständigen zu vergleichen, dann sehen Sie sicher im Vergleich zum gemeinen Gastronomen oder Kioskbesitzer nicht nur hinsichtlich der Arbeitszeiten, sondern auch hinsichtlich der Rendite nicht sooooo schlecht aus. Okay, beides sind keine akademischen Berufe. Aber dass das Gesundheitswesen nun einmal rund um die Uhr gebraucht wird, der Jurist und der Architekt hingegen im Regelfall (ob die Ausnahmen in diesen Berufen ähnlich hoch sind wie die der notdienstenden Apothekers vermag ich nicht zu beurteilen) seine Arbeit auf "übliche" Zeiten konzentrieren kann - da empfehle ich: Augen auf VOR der Berufswahl. Das sind keine neuen Spielregeln, das war schon so, als Sie noch nicht geboren waren!

Ablenkung vom eigentlichen, alten Ziel

von ratatosk am 08.08.2024 um 9:27 Uhr

Wie schon bei Ulla, ist dies wohl nur ein Ansatz weiter die Apothekenstruktur auszuhelfen. Dies ist das Einfallstor für Zuweisung von Medikamentenbezug und Dispensierrecht für MVZ und weitere Kapitalkonstrukte. Man läßt so was wirken, sucht sich einen Adlaten wie damals den Hecken um das hinzubiegen - und schon hat man ein Konstrukt für die Versender und das Großkapital.
Natürlich gibt es dann noch ein paar Klagen vor Verwaltungsgerichten, die dauern aber in D viele Jahre und werden von z.B dem saudischen Staatsfond locker finanziert und nach ein paar Jahren ist die damalige Rechtslage eh irrelevant geworden.
Gerade in der Fläche kann die Politik es sich nicht erlauben die Patienten 50km oder mehr fahren zu lassen, daher wird man die Belastung für die Apotheke nur minimal absenken. Da dann kaum mehr Umsatz hier erfolgt wird es in der Fläche natürlich noch schlechter, aber das ist Karl und Konsortien natürlich egal, dann geht das Abwürgen wie gewünscht noch schneller.
Denn Geld hat Karl ja genug, dies wird jedoch in den Aufbau seiner neuen Strukturen gehen, für seine Kioske hätte er ja auch Unsummen zur Verfügung locker gemacht.
Und damit eines klar wird - Natürlich wird es an Zentren für Patienten durchaus einfacher werden können, aber man darf als Patient halt nicht mehr auf dem Land wohnen ! Jeder mit medizinischen Probleme sollte also unbedingt versuchen in städtische Lagen zu entkommen, Karl macht die Fläche bald unbewohnbar für Menschen mit medizinischem Bedarf.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

pdl

von Beldowitz am 06.08.2024 um 8:46 Uhr

Endlich wird Personal für defizitäre pdl frei. Wir sind gerettet.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Ausschreibungskriterien

von Tobias Kast am 06.08.2024 um 8:17 Uhr

"Es bleibt offen, nach welchen Kriterien ausgewählt wird, falls sich mehrere Apotheken dafür bewerben."

"Es wird geschätzt, dass der Anteil der Kosten einer erstmaligen Ausschreibung von Versorgungsverträgen
nach § 12b Apothekengesetz für die Krankenhausträger bei circa 500.000 Euro liegt"

Naja... das typische wäre "billigstes Angebot gewinnt"...

Ich frage mich eher mit was für Kosten die Träger da kalkulieren werden... gerade wenn eine neue Offizin als notwendig erachtet wird, werden die Kosten nicht unerheblich sein...

Oder wird von Anfang an ein "Belieferung für Dispensation" mit ausgeschrieben und automatisch darauf verwiesen, weil "zweite Offizin im Vergleich nicht wirtschaftlich / Räumlichkeiten nicht verfügbar"...?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Neue Chancen für Apotheken

von Roland Mückschel am 06.08.2024 um 7:58 Uhr

Also der letzte Abschnitt Herr Müller-Bohn scheint mir mehr als hoch spekulativ zu sein.
Ich glaubs nicht.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.