Erfahrungsbericht

Wenn die eigene Apotheke zum „Room of Horrors“ wird

02.10.2024, 07:00 Uhr

Mit der Anleitung zum „Room of Horrors“ können drei Patientenfälle ohne großen Aufwand für das Apothekenteam vorbereitet werden. Die eingebauten Fehler und Arzneimittelrisiken gilt es dann zu finden. (Foto: Foto: DAZ  /rr)

Mit der Anleitung zum „Room of Horrors“ können drei Patientenfälle ohne großen Aufwand für das Apothekenteam vorbereitet werden. Die eingebauten Fehler und Arzneimittelrisiken gilt es dann zu finden. (Foto: Foto: DAZ  /rr)


Einige ausgewählte Medikamentenpackungen, ein paar Requisiten aus der Apotheke, einen Drucker, Papier und Stift. Mehr braucht es nicht, um eine sowohl lehrreiche als auch unterhaltsame Inhouse-Schulung für das gesamte Apo­thekenteam zu organisieren. Wir haben es ausprobiert – ein Erfahrungsbericht von Apothekerin Rika Rausch.

Seit jeher bin ich ein großer Freund von Rätseln, verschlinge seitenweise Kriminalromane und habe selbst­verständlich auch schon bei einem Escape-Game meine kombinatorischen Fähigkeiten unter Zeitdruck getestet. Und als Apothekerin ist man ja sowieso Tag für Tag als Detektivin im Einsatz. Dass das innovative Fortbildungskonzept des „Room of Horrors“ meine Neugier weckt, war im Sinne der Beweisführung naheliegend.

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Beim „Room of Horrors“ handelt es sich um ein Simulationstraining zur Erhöhung der Patientensicherheit. In speziell dafür vorbereiteten Räumen sind mehr oder weniger offensicht­liche Gefahren versteckt, die in der ­Folge zu unerwünschten Ereignissen und Patientenschädigungen führen können. Innerhalb eines Zeitfensters gilt es, so viele Fehler wie möglich zu finden. Damit sollen die alltags­bezogenen Beobachtungsfähigkeiten, das kritische Denken und das Situa­tionsbewusstsein geschult werden.

In der Schweiz gibt es den „Room of Horrors“ für Krankenhäuser, Arztpraxen, Pflegeheime und Apotheken. Seit 2021 steht dort ein von der Stiftung Patientensicherheit Schweiz entwickeltes Manual zur Verfügung, das das Training in den Räumen der ­eigenen Apotheke ohne Fahrerei und großen Aufwand ermöglicht. Auch die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe bieten seit mehreren Jahren den „Room of Horrors“ als Pop-up-Apotheke im Rahmen von Präsenzveranstaltungen an. In diesem Jahr wurde das für deutsche Apotheken angepasste Manual zum Selbstaufbau veröffentlicht. Es folgt der Praxistest.

Einfache Regieanweisungen

Mir obliegt die Planung und Durchführung des Trainings. Das Manual kann man auf den Internetseiten der Apothekerkammer Nordrhein kostenfrei herunterladen. Durch Seitenverweise muss man sich nicht durch alle 55 Seiten kämpfen, sondern findet schnell die für das Spiel benötigten Unterlagen.

Es stehen drei Szenarien mit fiktiven Kundenfällen zur Auswahl: „Familie Costantino im Verkaufsraum“, „Herr Blank im Beratungsraum“ und „Frau Maurer im Labor“. Meine Wahl fällt schnell auf Herrn Blank, da seine Geschichte gut in unseren Apotheken­alltag passt. Für jeden Kundenfall stehen folgende Materialien zum Ausdrucken bereit: die Geschichte, Hinweise zur Umsetzung und zum Material, eine Liste mit eingebauten Fehlern, Vorschläge für zusätzliche Fehler, weitere Materialien als Requisiten (z. B. Bezugshistorie, Etiketten). Jedes Szenario enthält sieben bis zehn Fehler und Gefahren. Zudem werden Zusatzfehler vorgeschlagen, die die Suche für die Kolleginnen schwieriger und aufwendiger gestalten.

Die Vorbereitung

Die Autoren empfehlen, etwa zwei Wochen vor dem Training mit den Vorbereitungen zu beginnen. Man kann es aber auch recht kurzfristig umsetzen, wie ich aus eigener Erfahrung berichten kann.

Im Vorfeld drucke ich mir die nötigen Unterlagen aus und lese mich in den Fall ein. Herr Blank ist Stammkunde und reicht ein Rezept über Carvedilol ein. Vor vier Wochen hat ihm seine Ärztin den Betablocker erstmals verordnet. Die Dosis wurde erst gestern erhöht. Heute möchte er seinen Blutdruck kontrollieren lassen. Er besteht darauf, dass alle seine Arzneimittel mit Dosierungsetiketten versehen sind.

Die Etiketten schneide ich aus den Vorlagen aus. Ebenso wäre es möglich, die Dosierungsetiketten auf dem hauseigenen Point-of-Sales(POS)-System zu erstellen, beispielsweise angelegt als „Testkunde“.

Die passenden Arzneimittel suche ich mir aus unserem Generalalphabet. Für Carvedilol ist im Manual eine ­N1-Größe vorgeschrieben. Ich nehme eine N3-Packung aus dem Lager und notiere mir diese Bequemlichkeit als weiteren Fehler, den es zu finden gilt.

Notdienst mal anders

Für das Teamevent wähle ich einen Abend aus, an dem wir Bereitschaft ­haben. Die Urlaubssaison ist vorbei, da bleibt es nach Ladenschluss meist ­ruhig. Für den nötigen Energieschub stehen belegte Brote, Käse und Oliven bereit. Die Kolleginnen sind etwas aufgeregt und befürchten, dass es sich um eine Art Prüfung oder Wettbewerb handelt. Das ist aber nicht Sinn und Zweck des Vorhabens, be­ruhige ich sie.

Zuerst lese ich ihnen den Kundenfall vor. Dann heißt es „Vorhang auf“ für die Szene in der Beratungsecke. Zu meiner Überraschung drehen meine Kolleginnen die Requisiten nicht gleich kopflos auf links, wie man nach Erfahrungen mit Escape-Room-Spielen erwarten würde, sondern setzen sich und sondieren in Ruhe und mit großer Sorgfalt das Material. Aus der Bezugshistorie von Herrn Blank lesen sie bereits allerlei Nützliches heraus und stellen Vermutungen an. Das verordnete Inhalativum steht früh ganz oben auf ihrer Verdächtigenliste. Man hört betriebsames Gemurmel: „Die Dosierung kann nicht stimmen, das müsste locker für einen Monat reichen … Diese Therapie ist absolut nicht leit­liniengerecht … Guck mal hier, die Flasche ist abgelaufen und leer!“ Sie diskutieren jeden Punkt gemeinsam, jeder aus seiner Perspektive. Nebenbei machen sie sich gewissenhaft Notizen auf ihrem Klemmbrett mit Fehler­protokoll.

Ich versorge nebenbei an der Notdienstklappe einige Kunden mit Nasenspray und Schmerztabletten. Nach etwa 20 Minuten kommt aus der Beratungsecke ein alarmierendes „Das ist doch längst ein Fall für 112!“ – Ein ­guter Schlusssatz, wie ich finde. Ich beende das Spiel und wir beginnen mit der Auswertung.

Das Debriefing

Wir setzen uns wieder zusammen. Die Kolleginnen würden am liebsten noch weiter diskutieren. Ich lasse sie alle dokumentierten Fehler selbst vorstellen. Am Ende habe ich tatsächlich alle eingebauten Fehler auf meinem Lösungsblatt abgehakt und kann feststellen, dass meine Kolleginnen die gelegten Fährten sogar noch weitreichender hinterfragt haben als gefordert. Ihnen ist die Freude über ihren Erfolg anzusehen. Die anfängliche, leise Kritik, dass für die Therapie­empfehlungen und die versteckten Interaktionen eine Ausbildung zum Medikationsmanager nötig wäre, ist schnell verflogen, da die PTA dafür an anderen Stellen mit Wissen glänzen konnte, für die die Apothekerin keinen Blick hatte. Die Botschaft am Ende ist eindeutig: Nur als Team ist man stark. Und ganz nebenbei hat man sich prächtig amüsiert. Die Kolleginnen gehen nach Hause. Ich bleibe in der Apotheke und baue das Bühnenbild zurück, damit am nächsten Morgen das Patientenwohl nicht noch wirklich in Gefahr ist.

Mein Fazit

Eine Fortbildung, die Wissen schafft, das Gemeinschaftsgefühl stärkt, ganz nebenbei großen Spaß macht, und noch dazu ohne großen Aufwand in den eigenen vier Wänden realisierbar ist – was will man mehr? Dazu Pizza, finanziert aus der Trinkgeldkasse, und es wird ein Teamevent, das hoffentlich lange im Alltag nachhallt. Das Training wurde als weniger belehrend und trocken als klassische Schulungen empfunden. Allerdings ist es auch nichts für zwischendurch: Die Ruhe außerhalb der Öffnungs­zeiten sollte man sich für den „Room of Horrors“ schon gönnen.

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Unser Team wünscht sich eine Fortsetzung. Zwei Patientenfälle stehen noch ausgearbeitet im Manual zur Verfügung: einer für die Offizin und einer für die Rezeptur. Für größere Teams könnte man die drei Fälle parallel an einem Abend vorbereiten und die Gruppen rotieren lassen. Empfohlen werden drei bis sechs Personen pro Szene. Natürlich dürfen auch selbst Fehler eingebaut werden, solange man sie wiederfindet. Kreativität ist ausdrücklich erlaubt! Viel Spaß beim Rätseln!

CIRS-NRW steht für „Critical-Incident-Reporting-System Nordrhein-Westfalen“. Es ist ein Lern- und Berichtssystem für kritische Ereignisse in der Patientenversorgung, das sich an alle in der Gesundheitsversorgung Tätigen richtet. CIRS-NRW soll dazu beitragen, dass über kritische Ereignisse offen gesprochen und aus ihnen gelernt wird. Somit sollen Wege zur Vermeidung von Risiken diskutiert und Lösungsstrategien erarbeitet werden.

www.cirsmedical.de/nrw

Zum Weiterlesen

Ausgewählte Fälle, die an das CIRS-NRW gemeldet werden, finden Sie auch in der DAZ. In DAZ 2024, Nr. 25, S. 63 beschreibt Dr. Oliver Schwalbe im Artikel „Richtig gerechnet, falsch dosiert“, wie missverständliche Tablettenprägungen zu Medikationsfehlern führen können. Unter dem Titel „Wachsam bleiben“ beschreibt Carina John in der DAZ 2024, Nr. 5, S. 56, anhand eines CIRS-Falls, wie man mit Software-Warnmeldungen in der Apotheke umgehen sollte.


Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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