Gefährliche Arzneimittelinteraktion mit Loperamid

Tod durch Limonade?

Stuttgart - 14.10.2024, 07:00 Uhr

Gin Tonic ist ein beliebter Drink. Das enthaltene Chinin ist jedoch ein P-gp-Inhibitor und kann mit verschiedenen Arzneistoffen interagieren. (Foto: feirlight/AdobeStock)

Gin Tonic ist ein beliebter Drink. Das enthaltene Chinin ist jedoch ein P-gp-Inhibitor und kann mit verschiedenen Arzneistoffen interagieren. (Foto: feirlight/AdobeStock)


Manche Arzneimittelkombinationen rufen unerwünschte oder sogar gefährliche Interaktionen hervor. Apothekern und Ärzten sind die meisten solcher Kombinationen bekannt und sie klären ihre Patienten im Gespräch darüber auf. Es gibt jedoch Interaktionen, die leicht übersehen werden. Dies demonstriert der Fall einer jungen Frau, die nach Einnahme eines rezeptfreien Arzneimittels in Kombination mit zu viel Limonade verstarb.

In dem tragischen Fall erkrankte eine 25-jährige Frau am Wochenende an einem gastrointestinalen Infekt mit Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen. Sie rief den ärztlichen Notdienst, der ihr Loperamid (Imodium®) zur symptomatischen Behandlung des Durchfalls verordnete. Die Frau nahm insgesamt drei Tabletten zu je 2 mg ein. Daraufhin wurde sie müde und legte sich schlafen. Rund eine halbe Stunde später fand ihr Partner sie bewusstlos in ihrem Erbrochenen liegend. Der Notarzt führte eine Reanimation durch, auf der Intensiv­station konnte jedoch nur noch der Hirntod diagnostiziert werden. Eine toxikologische Analyse des Blutes der Patientin zeigte keine Spuren von Drogen, lediglich Loperamid und eine erhöhte Chinin-Konzentration waren feststellbar [1].

Der Täter

Loperamid gehört zu den Opioiden. Es wirkt jedoch ausschließlich an peripheren µ-Opioid-Rezeptoren und verlangsamt die Darmmotilität. Ein hoher First-Pass-Effekt minimiert den systemisch wirkenden Anteil, und die kaum vorhandene ZNS-Gängigkeit verhindert zentralnervöse Wirkungen. Daher ist Loperamid rezeptfrei erhältlich. Eine normale Tagesdosis liegt im Bereich von 4 bis 8 mg, in der Selbstmedikation sollten 12 mg, bei ärztlicher Verordnung 16 mg nicht überschritten werden. Die Sicherheitsspanne bei therapeutischen Blutkonzentrationen ist groß, bei extremen Dosierungen kann es jedoch zu Herzrhythmusstörungen kommen [2]. Loperamid eignet sich damit zur Behandlung von Durchfall, ohne zentrale Symptome wie Sedierung oder Euphorie zu verursachen – jedenfalls bei Menschen mit intakter Blut-Hirn-Schranke. Gelangt Loperamid unter bestimmten Umständen ins Gehirn, verursacht es die typischen Opioid-Wirkungen bis hin zu Bewusstlosigkeit und Atemdepression bei einer Überdosis [3]. So auch im beschriebenen Fall. Doch wie gelangte der Übeltäter bei der gesunden jungen Frau ins Gehirn?

Die Tür

Die Blut-Hirn-Schranke verhindert durch verschiedene Mechanismen den Übertritt von Fremdstoffen aus dem Blut ins Gehirn. Dazu gehören Prote­ine, die einmal eingedrungene Fremdstoffe aktiv wieder ausschleusen. So auch Permeability Glycoprotein, kurz P-Glykoprotein (P-gp, auch multidrug resistance protein 1, MDR1), das unter ATP-Verbrauch Substraten wie Dig­oxin, Cyclosporin A, Ivermectin oder Loperamid den Eintritt ins zentrale Nervensystem (ZNS) verwehrt [3]. P-gp-Transporter befinden sich nicht nur im Gehirn, sondern sind auch Teil der Darmbarriere und der Blut-Pla­zenta-Schranke [4, 5]. Auch manche Tumorzellen überexprimieren P-gp und erlangen so Resistenz gegenüber Zytostatika wie Vinblastin oder Paclitaxel [6]. Dann besteht ein medizinisches Interesse daran, P-gp zu hemmen, um bestimmten Substanzen den Weg in die Zelle zu öffnen.

Das Opioid Loperamid ist unter Süchtigen bekannt. Gelingt es, die Substanz ins ZNS zu schleusen, lassen sich damit Entzugssymptome unterdrücken oder sogar ein Opioid-Rausch erzeugen. Die Zahl der tödlichen Loper­amid-Vergiftungen in den Vereinigten Staaten hat in den vergangenen Jahren zugenommen [7]. In einem extremen Fall konsumierte ein Patient 200 Tabletten zu 2 mg täglich, bevor er mit Herzrhythmusstörungen hospitalisiert wurde [8]. In solchen Situationen dürfte selbst ein ungehemmter P-gp-Transporter überfordert sein. Doch wer öffnete im Fall der jungen Frau die Tür für eine tödliche Dosis Loperamid?

Der Schlüssel

Bekannte Hemmstoffe des P-gp sind unter anderem Amiodaron, Erythromycin, Ritonavir, Verapamil. Die junge Frau aus dem Fallbericht hatte keinen dieser Wirkstoffe eingenommen, allerdings hatte sie eine ungewöhnliche Vorliebe für bittere Limonade. Allein am Tag ihrer Erkrankung hatte sie mindestens 2,5 Liter Chinin-haltiges Tonic Water (68 mg/l) getrunken. Chinin ist ebenfalls ein P-gp-Hemmstoff. Das Alkaloid kommt in der Rinde des südamerikanischen Chinabaums Cinchona pubescens vor. Bereits vor Hunderten von Jahren setzten die Menschen es zur Behandlung der Malaria ein. Chinin ist wirksam gegen die erythrozytäre Form des Parasiten Plasmodium falciparum, hat allerdings auch ernste Nebenwirkungen. Dazu gehören Hypotension, Hypoglykämie, Hör- und Sehstörungen und kardiovaskuläre Komplikationen [3]. Mit der Limonade nahm die Frau etwa 170 mg Chinin auf, unter normalen Umständen unproblematisch, in Kombination mit 6 mg Loperamid jedoch tödlich. Eine verschärfende Rolle könnte in diesem Fall der gastrointestinale Infekt gespielt haben. Eine beeinträchtigte Darmbarriere könnte die Bioverfügbarkeit beider Wirkstoffe erhöht haben.

Betrifft die Interaktion nur Loperamid?

P-Glycoprotein spielt auch eine wichtige Rolle als Effluxtransporter in der Darmschleimhaut. Er reduziert also die Bioverfügbarkeit seiner Substrate. Eine Hemmung von P-gp erhöht demnach nicht nur die ZNS-Gängigkeit von Loperamid und anderen ZNS-gängigen Substanzen, sondern auch die Bioverfügbarkeit - und damit Wirkung und Nebenwirkungen - anderer P-gp-Substrate.

Folgende P-gp-Substrate können durch Chinin-haltige Getränke in ihrer Wirkung verstärkt werden: Actino­mycin D, Afatinib, Aliskiren, Ambrisentan, Apixaban, Atorvastatin, Berberin, Celiprolol, Ciclosporin, Cimetidin, Clopidogrel, Colchicin, Dabigatranetexilat, Daunorubicin, Digoxin, Dilti­azem, Docetaxel, Domperidon, Doxorubicin, Edoxaban, Erythromycin, Etoposid, Everolimus, Fexofenadin, Fluorchinolone, Imatinib, Indinavir, Irinotecan, Ivermectin, Lapatinib, Loperamid, Losartan, Lovastatin, Maraviroc, Mitomycin C, Methotrexat, Nilotinib, Ondansetron, Paclitaxel, Paliperidon, Posaconazol, Propranolol, Rifampicin, Rivaroxaban, Saquinavir, Saxagliptin, Tacrolimus, Taxol, Terfenadin, Ticagrelor, Tolvaptan, Topotecan, Vinblastin, Vincristin, Warfarin.

Rechtliches

Bis 2015 war Chinin (Limptar® N) zur Behandlung und Vorbeugung von nächtlichen Wadenkrämpfen rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Limptar® N Filmtabletten enthalten 200 mg Chininsulfat. Eine einzelne Tablette enthält also durchaus genügend Chinin für eine P-gp-Hemmung. Mittlerweile ist es aufgrund möglicher schwerer Nebenwirkungen und des Missbrauchspotenzials rezeptpflichtig [9]. In der Europäischen Union dürfen alkoholische Getränke bis zu 250 mg Chinin pro Liter enthalten. Betroffen sind hier typische „Magenbitter“ oder „Kräuterbitter“, die nicht immer, aber gelegentlich Chinarinde enthalten. Für nicht-alkoholische Getränke ist der Höchstgehalt an Chinin auf 100 mg pro Liter begrenzt. Diese Getränke müssen dann als „Chinin-haltig“ gekennzeichnet werden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gibt an, dass bei einem sehr hohen Konsum von mehr als einem Liter dieser Getränke mit möglichen gesundheitlichen Nebenwirkungen zu rechnen ist [10].

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Der dramatische Fall der 25-jährigen Frau zeigt, dass das Interaktionspotenzial zwischen Chinin, P-gp und Loperamid zwar unwahrscheinlich erscheint, aber durchaus nicht zu vernachlässigen ist. Apotheker und Ärzte sollten Patienten neben gängigen P-gp-Inhibitoren auch vor der Kombination von Loperamid mit Chinin-haltiger Limonade warnen. Auch einige Phytotherapeutika aus traditionellen chinesischen Medizinpflanzen sowie Inhaltsstoffe der Grapefruit hemmen P-Glykoprotein [11].

Bei einer Loperamid-Überdosis mit ZNS-Wirkung kann Naloxon als Opioid-Antagonist gegeben werden, um die Opioid-Wirkung aufzuheben.

 

Literatur

[1] Kursun H et al. Tod durch Limonade. NeuroTransmitter 2024;35(6),43 – 45, doi: 10.1007/s15016-024-3776-z

[2] Lu HR et al. The Potential Mechanisms behind Loperamide-Induced Cardiac Arrhythmias Associated with Human Abuse and Extreme Overdose. Biomolecules 2023;13(9):1355, doi: 10.3390/biom13091355

[3] Brunton LL. Goodman & Gilman‘s. The Pharmacological Basis of Therapeutics, 11. ed.; McGraw-Hill, 2006

[4] Glaeser H. Importance of P-glycoprotein for drug-drug interactions. Handb Exp Pharmacol 2011;(201):285-97, doi: 10.1007/978-3-642-14541-4_7

[5] Ceckova-Novotna M et al. P-glycoprotein in the placenta: expression, localization, regulation and function. Reprod Toxicol 2006;22(3):400-10, doi: 10.1016/j.reprotox.2006.01.007

[6] Gerhard R et al. Toxikologie, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 4. Auflage 2019

[7] Powell JW, Presnell SE. Loperamide as a Potential Drug of Abuse and Misuse: Fatal Overdoses at the Medical University of South Carolina. J Forensic Sci 2019;64(6):1726-1730, doi: 10.1111/1556-4029.14115

[8] Eggleston W et al. Loperamide toxicokinetics: serum concentrations in the overdose setting. Clin Toxicol (Phila) 2015;53(5):495-6, doi: 10.3109/15563650.2015.1026971

[9] DAZ.online. Ab 1. April ist Limptar verschreibungspflichtig. 18. März 2015

[10] EFSA CEF Panel (EFSA Panel on Food Contact Materials, Enzymes, Flavourings and Processing Aids), 2015. Scientific Opinion on Flavouring Group Evaluation 35, Revision 1 (FGE.35Rev1). EFSA Journal 2015;13 (9):4245,37pp, doi:10.2903/j.efsa.2015.4245

[11] Mahringer A. Inhibition of P-glycoprotein at the blood-brain barrier by phytochemicals derived from traditional Chinese medicine. Cancer Genomics Proteomics 2010;7(4):191-205, PMID: 20656985


Ulrich Schreiber, MSc Toxikologie, DAZ-Autor
redaktion@daz.online


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