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Bei den wirtschaftlichen Betrachtungen zu den Apotheken im Jahr 2024 sind zwei Ebenen zu unterscheiden: erstens die ungünstige wirtschaftliche Entwicklung der Apotheken und zweitens die Pläne zum künftigen Umgang mit dieser Herausforderung, insbesondere die Reformideen von Minister Lauterbach und die Reaktionen darauf.
Im Laufe des Jahres 2024 wurden die ungünstigen betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der Apotheken von 2023 und neue Schließungsrekorde für das laufende Jahr bekannt. Hinzu kamen neue Belastungen, insbesondere durch das Skonto-Urteil und einen neuen Tarifabschluss. Die Gedanken über mögliche Gegenmaßnahmen wurden durch die Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach zu einer Apotheken-Reform überlagert. Diese hätten die Apotheken voraussichtlich noch stärker belastet. So richtete sich die Aufmerksamkeit überwiegend darauf, die Reformpläne abzuwenden. Für neue kreative Ideen blieb wenig Raum.
Ernüchternde Eckpunkte aus dem BMG
Kurz vor Weihnachten 2023 wurden Lauterbachs Eckpunkte für die geplante Apotheken-Reform bekannt (DAZ 1, S. 9 ff.). Dazu gehörte eine Umverteilung des preisabhängigen Zuschlags für Rx-Arzneimittel, der von drei auf zwei Prozent gesenkt werden sollte, wobei im Gegenzug der feste Zuschlag erhöht werden sollte. Der Ärger darüber ergab sich zunächst vor allem aus einer groben Darstellung im „Handelsblatt“ mit unrealistischen Zahlen, die keinen korrekten Ausgleich ergeben hätten. Dies wurde zwar später vom Ministerium korrigiert, aber das entscheidende Problem blieb bis zum Ende im Plan enthalten. Die Umverteilung hätte die Apotheken noch mehr als zuvor von der Preisentwicklung abgekoppelt und damit das bestehende Problem verschärft. In den Eckpunkten war außerdem eine Erhöhung des Zuschlags für den Notdienstfonds von 21 auf 28 Cent pro Rx-Arzneimittel vorgesehen. Damit sollten die Apotheken damals noch gut 50 Millionen Euro mehr pro Jahr bekommen ‒ statt der geforderten etwa 2,8 Milliarden Euro. Neben den wirtschaftlichen Aspekten bestand das herausragende berufspolitische Problem der Eckpunkte in der Idee, PTA sollten mit „telepharmazeutischer“ Unterstützung Approbierte vertreten können. Diese Idee der „Apotheken ohne Apotheker“ beherrschte die berufspolitische Debatte des Jahres. Hier soll es aber um die wirtschaftlichen Aspekte gehen.
Belastung durch Skonto-Urteil
Ein Ereignis mit großer wirtschaftlicher Bedeutung im Verlauf des Jahres war das Skonto-Urteil vom 8. Februar 2024. Jahrelang ging es in vielen Gerichtsverfahren um die Frage, wie weit die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) Raum für Preisnachlässe von Herstellern und Großhändlern gegenüber Apotheken bietet. Sie war sogar Anlass für eine Änderung der AMPreisV. Doch blieben immer noch Fragen offen. Darum hatte der Bundesgerichtshof über ein Skonto für eine vorfristige Zahlung zu entscheiden und urteilte, dass der Festzuschlag des Großhandels durch keinen Nachlass verkürzt werden darf. Jegliche Nachlässe dürften ‒ unabhängig von ihrer Bezeichnung ‒ nicht mehr als den variablen Zuschlag von 3,15 Prozent auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers umfassen. ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening erklärte daraufhin, die Folgen seien „kaum abzuschätzen“ (DAZ 7, S. 12). Stefan Hartmann, Vorsitzender des BVDAK, bezeichnete die Entscheidung als „historisch-wirtschaftliche Katastrophe“ für die Apotheken. Die Treuhand Hannover errechnete, eine Apotheke mit durchschnittlichem Umsatz könnte 22.000 Euro Betriebsergebnis verlieren. Im Verlauf des Jahres wurde vielfach gefordert, der Gesetzgeber sollte mit einer neuen Formulierung der AMPreisV Skonti ausdrücklich zulassen.
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Wer hat zugemacht?
Im Mai wandte sich die ABDA mit einem Vorschlag zur Ergänzung der AMPreisV an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (DAZ 20, S. 9). Im Juni passten die Großhändler ihre Konditionen an das Urteil an, änderten aber auch manche andere Vereinbarung als Kompensation. In einer ersten Schätzung hieß es von der Treuhand Hannover, dass höchstens die Hälfte der Skontoausfälle kompensierbar sei (DAZ 24, S. 64 f.). Die Apotheken sind offenbar unterschiedlich betroffen, und die Folgen werden letztlich erst später an den Betriebsergebnissen abzulesen sein.
Alternative Reformideen
Angesichts der gewaltigen Differenz zwischen der geplanten Apotheken-Reform und der Milliarden-Forderung der ABDA brachte die Apothekengewerkschaft Adexa im März die Idee ins Gespräch, die Apotheken sollten eine Personalzulage erhalten. Wenn der Festzuschlag pro Rx-Packung um 80 Cent steigen würde, könnten die Apotheken die Gehälter um die von der Adexa geforderten 10 Prozent erhöhen (DAZ 12, S. 15). Im April erklärte die FDP Thüringen, sie sehe „erheblichen Nachsteuerungsbedarf“ in der Gesundheitsversorgung. Der dortige Generalsekretär der Partei, Robert-Martin Montag, legte einen Sieben-Punkte-Plan zur Apothekenvergütung vor. Darunter waren ein höherer Festzuschlag, ein dynamischer prozentualer Zuschlag, ein abhängig vom Zahlungstermin gestaffelter Kassenabschlag und mehr Honorar für das Medikationsmanagement (DAZ 17, S. 9). Kristine Lütke, die im März Obfrau der FDP-Fraktion im Bundestagsgesundheitsausschuss und Berichterstatterin für Apothekenthemen wurde, beschrieb ihre Position in einem DAZ-Interview. Sie erklärte, eine reine Umverteilung würde bei der Apothekenvergütung nicht genügen. Doch gleichzeitig sei im Blick zu behalten, was innerhalb des Gesundheitssystems refinanzierbar sei. Was an einer Stelle gegeben werde, müsse an anderer Stelle genommen werden. (DAZ 18, S. 12 ff.)
Schließungen auf dem Land und in der Stadt
Da die Schließung von Apotheken das nachhaltigste Ergebnis der wirtschaftlichen Belastungen ist, besteht großes Interesse an Daten darüber, welche Apotheken geschlossen wurden. Die DAZ präsentierte dazu eine Analyse von Dr. Christian Knobloch und Prof. Dr. Hendrik Schröder von der Universität Duisburg-Essen. Aus den Schließungen von 2023 in Baden-Württemberg ermittelten sie, dass vor allem Apotheken in dichter besiedelten Gebieten schlossen. Diese waren meist bis zu 500 Meter von der nächsten Apotheke entfernt (DAZ 14, S. 66). Daraufhin trug die DAZ Daten und Argumente zur Situation der Landapotheken zusammen. Demnach ist auf dem Land die Empfindlichkeit der Versorgung beim Wegfall einer einzelnen Apotheke und die häufig große Belastung durch den Notdienst zu bedenken. Allerdings sind Schließungen nicht nur auf dem Land ein Problem. Insbesondere in sozial schwachen Stadtteilen können Apotheken an ihre Kapazitätsgrenzen kommen (DAZ 16, S. 20 ff.). Neben den ländlichen Regionen wurde aber auch die Versorgung in Städten zunehmend zum Thema. Der DAV-Vorsitzende Dr. Hans-Peter Hubmann stellte sich gegen die Umverteilungspläne des GKV-Spitzenverbandes zulasten von Stadtapotheken (DAZ 21, S. 9). Die DAZ lieferte eine Analyse zu den kursierenden Umverteilungsideen (DAZ 22. S. 11 ff.).
Schlechte Zahlen aus den Apotheken
Während des Wirtschaftsforums am 23. und 24. April in Potsdam legte die ABDA den Apothekenwirtschaftsbericht über das Jahr 2023 mit vielen negativen Daten vor. Die Apothekenzahl sank im Berichtsjahr 2023 um den „Rekordwert“ von 497 auf 17.571. Im ersten Quartal 2024 sank sie um weitere 142 auf 17.429 (DAZ 17, S. 13). Im Jahr 2023 ging erstmals sogar die Zahl der Approbierten in Apotheken zurück. Der Arzneimittelabsatz in den Apotheken sank um 1,1 Prozent, wobei der Rückgang auf den OTC-Bereich zurückzuführen war. Die Umsätze stiegen wegen der Hochpreiser weiter. Dies und die Umverteilung der Umsätze von schließenden Apotheken steigerte den Durchschnittsumsatz einer Apotheke auf 3,443 Millionen Euro. Doch das durchschnittliche Betriebsergebnis fiel auf 147.879 Euro bzw. 4,3 Prozent vom Umsatz. Letzteres war ein historischer Tiefstand. Besonders erschreckend war die Verteilung der Betriebsergebnisse. Im Jahr 2023 erzielten 10 Prozent der Apotheken Verluste und weitere 24 Prozent verdienten weniger als 75.000 Euro ‒ das sind etwa die Personalkosten für einen Krankenhausapotheker ohne Leitungsfunktion (DAZ 18. S. 26 ff.).
Außerdem stellte der Gießener Volkswirt Prof. Dr. Georg Götz beim Wirtschaftsforum ein im Auftrag der ABDA erstelltes Gutachten vor. Darin zeigte er die Unterfinanzierung vieler Apotheken auf. Um existenzbedrohte, tendenziell eher kleinere Apotheken zu unterstützen, könnte ein insgesamt erhöhter, aber gestaffelter Festzuschlag auf Rx-Arzneimittel helfen, folgerte Götz (DAZ 18, S. 24). Später wurde das Gutachten von der ABDA jedoch nicht mehr herangezogen. Unmittelbar nach der Präsentation war deutlich geworden, dass die Idee mit der Gleichpreisigkeit von Arzneimitteln kollidieren kann ‒ doch über geeignete Umlageverfahren wäre diese Herausforderung zu bewältigen.
Referentenentwurf und noch mehr Reformideen
Erst im Juni wurde der Referentenentwurf zur geplanten Reform vorgelegt (DAZ 25, S. 21 ff.). Das Geld für die Erhöhung des Notdiensthonorars sollte demnach bei den pharmazeutischen Dienstleistungen gekürzt werden. Die fehlerhaften Zahlen zur Umverteilung wurden korrigiert, aber das inhaltliche Problem blieb. Positiv für Apotheken war der Plan, Skonti wieder zuzulassen. Zusätzlich gab es Pläne für die erleichterte Zulassung von Zweigapotheken, aber das Grundproblem „Apotheken ohne Apotheker“ blieb bestehen. Der Referentenentwurf forderte Diskussionen über Alternativen heraus. Ein Expertenkreis um Holger Seyfarth, den Vorsitzenden des Hessischen Apothekerverbandes, veröffentlichte im Juli ein Diskussionspapier. Dies forderte sofort 900 Millionen Euro mehr Honorar und einige organisatorische Vereinfachungen. Dazu sollten später zahlreiche weitere Maßnahmen kommen, die schon einzeln das System grundlegend verändert hätten und in ihrer Komplexität kaum zu überschauen waren, beispielsweise Direktabrechnung, ein mehrstufiges Honorar und Einschreibungen für Patienten. Die DAZ präsentierte eine Analyse dazu (DAZ 28, S. 18 ff.). Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins, und DAZ-Wirtschaftsexperte Dr. Thomas Müller-Bohn präsentierten einen weiteren Vorschlag. Dabei stand eine neue Zwischenfinanzierung für Hochpreiser mit Hilfe des Gesundheitsfonds im Mittelpunkt. Außerdem sollten die Apotheken gemäß der Idee der Adexa sofort zusätzlich 80 Cent pro Rx-Arzneimittel erhalten (DAZ 29, S. 16). Eine Betrachtung in der DAZ unterstrich die großen kaufmännischen Risiken durch Hochpreiser (DAZ 41, S. 16 ff.). Die Forderung nach einer Soforthilfe fand sich in 2024 in nahezu allen Positionierungen der Apothekenseite.
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Neuer Tarifvertrag
Als zusätzliche Belastung ergab sich der neue Tarifvertrag, wobei auch die Arbeitgeberseite erklärte, dass die Apotheken gerne mehr Gehalt zahlen würden. Allen Beteiligten war bewusst, dass die Apotheken ihr Personal halten und deshalb auch angemessen bezahlen müssten. Doch die Mittel dafür müssten auch vorhanden sein. Ab dem 1. Juli galt ein neuer Tarif. Zum 1. August sank die Arbeitszeit von 40 auf 39 Wochenstunden oder das Gehalt sollte entsprechend steigen. Zum 1. Juli wurden außerdem Einmalzahlungen von 100 Euro vereinbart, in der jeweils ersten Berufsjahresgruppe 150 Euro. Außerdem wurde für den 1. Januar 2026 eine Gehaltserhöhung von drei Prozent vereinbart (DAZ 30, S. 22 ff.).
Vom Apothekertag bis zum Ampel-Aus
Am 9. Oktober bekräftigte Lauterbach beim Deutschen Apothekertag, es werde keine Honorarreform ohne Strukturreform geben. Die vorgesehene Honorarreform sah jedoch ohnehin keine zusätzlichen Mittel für die Apotheken vor, sondern nur die vage Idee, dass künftige Verhandlungen für die Zeit ab 2027 Verbesserungen bringen könnten ‒ oder auch nicht. Der Apothekertag forderte daher die Ablehnung der Reform und stattdessen eine Soforthilfe (DAZ 42, S. 54 ff.). Wie groß die Belastung der Apotheken war, zeigte sich im Herbst erneut an den Schließungszahlen. Bis zum Ende des dritten Quartals sank die Zahl der Apotheken im laufenden Jahr um 384 auf 17.187 (DAZ 45, S. 10). Für das Jahresende erwartete die ABDA eine Apothekenzahl um 17.000. Allerdings gab es im Laufe des Jahres positive Meldungen über steigende Absatzzahlen bei Rx-Arzneimitteln. Wegen des Festzuschlags wirkt sich dies günstig für die Apotheken aus. Dieser günstige Trend brach jedoch im Herbst. Gemäß dem Apothekenpanel von Insight Health war der kumulierte Absatz der Rx-Arzneimittel in Vor-Ort-Apotheken im Jahr 2024 bis zum Ende der 30. Kalenderwoche um 4,8 Prozent höher als im Vorjahr, am Ende der 48. Woche betrug das Plus nur noch 3,3 Prozent. Die weitere Diskussion über die Reformpläne erübrigte sich mit dem Ende der Ampel-Koalition am 6. November. Als die Koalition zerbrochen ist, hatte die Reform nicht einmal das Stadium eines Kabinettsbeschlusses erreicht (DAZ 46, S. 24 f.).
Zurückhaltung bei pharmazeutischen Dienstleistungen
Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Apotheken verwundert es nicht, dass viele Apotheken nicht genug Kapazitäten für die 2022 eingeführten pharmazeutischen Dienstleistungen hatten. Zwei Jahre nach dem Start lag im Fonds zur Finanzierung dieser Leistungen noch viel ungenutztes Geld (DAZ 23, S. 9 f.). Mehrfach wurden Vorschläge laut, das Geld umzuwidmen, aber es gelang, das Geld im Fonds zu halten und damit die Zukunftschancen für die Dienstleistungen zu bewahren. Mit einem „Gesundes-Herz-Gesetz“ sollten sogar neue pharmazeutische Dienstleistungen eingeführt werden, was zwar positive Aspekte hervorgebracht hätte, die Apotheken aber auch vor finanzielle Herausforderungen gestellt hätte, wie eine DAZ-Analyse zeigte (DAZ 26, S. 22 f.).
Unklarheit um gekündigte Hilfstaxe
Ein weiteres wirtschaftliches Thema, das die Apotheken 2024 beschäftigte, war die Kündigung der Anlagen zu Stoffen und Gefäßen in der Hilfstaxe. Daraufhin galt seit Anfang 2024 für Rezepturen wieder die AMPreisV (DAZ 1, S. 24). Erstens konnten daraufhin die tatsächlichen Einkaufspreise zugrunde gelegt werden. Zweitens gab es aber Streit darüber, welche Mengen dabei anzusetzen seien. Während der Deutsche Apothekerverband von der Taxierung ganzer Packungen ausging, sollten nach der Sichtweise der Krankenkassen Teilmengen wie zuvor gemäß der Hilfstaxe taxiert werden (DAZ 5, S. 10). Der Streit und die folgenden Retaxationen zogen sich durch das ganze Jahr.
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