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Negative Daten für Apotheken
Wirtschaftsbericht 2023: Signale eines massiven Umbruchs
Der Apothekenwirtschaftsbericht für 2023 ist voller Signale eines massiven Umbruchs mit vielen negativen Entwicklungen. Sie betreffen die Apothekenzahl, die Beschäftigung, das OTC-Geschäft und die wirtschaftlichen Ergebnisse der Apotheken. Es steigen nur die Umsätze ‒ überwiegend durch Hochpreiser ‒ sowie die Anzahlen der sehr großen Apotheken und der bedrohten Apotheken. Doch das ist erst der Anfang. Vieles spricht dafür, dass dieser Umbruch zu einer ganz neuen Apothekenlandschaft führen wird.
Am 23. April haben Claudia Korf, Geschäftsführerin Ökonomie der ABDA, und Dr. Eckart Bauer, Abteilungsleiter Wirtschaft und Soziales der ABDA, den Apothekenwirtschaftsbericht mit den Daten für 2023 beim Wirtschaftsforum des Deutschen Apothekerverbandes vorgestellt. Dieser Beitrag verbindet ausgewählte Daten aus dem Bericht und ergänzende Analysen des Verfassers. Vor einem Jahr hat der Verfasser aus dem Wirtschaftsbericht für 2022 gefolgert, dass sich die Apotheken in Schieflage befinden, und auf Zeichen eines bevorstehenden Umbruchs verwiesen. Der Bericht für 2023 bestätigt diese Diagnose auf erschreckende Weise. Offenbar ist ein massiver Umbruch im Gang.
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Eine der wichtigsten Zahlen aus dem neuen Apothekenwirtschaftsbericht war schon bekannt. Die Anzahl der Apotheken sank 2023 um den „Rekordwert“ von 497 auf 17.571, also um 2,75 Prozent. Im Vorjahr hatte der Rückgang 393 betragen und auch das war bereits ein Rekordrückgang. Nun gab die ABDA bekannt, dass die Apothekenzahl im ersten Quartal 2024 um 142 auf 17.429 fiel. Im ersten Quartal 2023 war sie um 129 gesunken. Damit bestätigt sich, dass hier eine neue strukturelle Entwicklung abläuft. Die Apothekenzahl sinkt seit 2022 mit immer weiter zunehmender Geschwindigkeit. Es lässt sich nicht absehen, wo ein Boden erreicht wird. Für 2024 zeichnet sich bereits wieder ein stärkerer Rückgang als 2023 ab.
Die Angaben zu Haupt-, Einzel- und Filialapotheken zeigen, dass der Rückgang nun auch die Filialen massiv betrifft (siehe Abbildung 1). Die Zahl der Filialen fiel 2023 um 92. 2022 betrug der Rückgang erst 30. Von den 17.571 Apotheken am Jahresende 2023 waren 9645 Einzelapotheken und 3305 Hauptapotheken mit 4621 Filialen. Von den 3305 Verbünden hatten 2287 (Vorjahr: 2.306) eine, 720 (Vorjahr: 731) zwei und 298 (Vorjahr: 315) drei Filialen. Der Rückgang betrifft also kleine und große Verbünde. Demnach hat das Konzept der Filialen die Kraft verloren, das System zu stabilisieren. Es gibt keinen Trend mehr, dass Verbünde zusätzliche Filialen aufnehmen. Eine Einzelapotheke bei einer altersbedingten Übergabe zur Filiale umzugestalten, mag im Einzelfall gelingen, ist aber immer häufiger ein Weg zur verzögerten Schließung.
Dies alles wirkt sich auf die Apothekendichte aus, die 2012 bundesweit noch 26,0 Apotheken pro 100.000 Einwohner betrug, 2023 nur noch 20,8 und damit weit weniger als der EU-Durchschnitt von 32. Gegenüber der Maximalzahl von 2008 ist die Zahl der Betriebsstätten um 4.031 bzw. 18,7 Prozent gesunken. Die ABDA verweist darauf, dass nun der niedrigste Stand der Apothekenzahl seit 1979 erreicht ist. Denn 1980 gab es 17.818 Apotheken ‒ allerdings damals in beiden deutschen Staaten zusammen, und das verzerrt die Daten. Schon im Wirtschaftsbericht des Vorjahres wurde für den Westen eine Apothekendichte wie 1975 ermittelt. Die große Gründungswelle der Siebziger Jahre wird damit rückgängig gemacht und das System steuert auf eine Apothekendichte der frühen 1970er-Jahre zu, also auf die Situation nach der ersten großen Gründungswelle infolge der Einführung der Niederlassungsfreiheit. Allerdings ist die Bevölkerung derzeit älter und es gibt viel mehr komplexe und erklärungsbedürftige Arzneitherapien als um 1970.
Erreichbarkeit seit 2018 für zwei Millionen Menschen verschlechtert
Erstmals wurden in diesem Jahr Angaben zur Erreichbarkeit von Apotheken in Deutschland vorgestellt. Gemäß Daten von IQVIA OneKey hat sich für 82,3 Millionen Menschen die Erreichbarkeit zwischen 2018 und 2023 nicht verändert. Von ihnen erreichen 47,7 Millionen eine Apotheke in weniger als einem Kilometer, 16,2 Millionen in ein bis zwei Kilometern, 14,9 Millionen in zwei bis fünf Kilometern, 3,4 Millionen in 5 bis 10 Kilometern und 103.000 in mehr als zehn Kilometern. Für 378.500 Menschen hat sich die Entfernung zur nächsten Apotheke verringert, aber für 2.067.500 Menschen ist sie gestiegen. Für 1.574.500 Menschen war dies ein Anstieg um eine der obigen Entfernungskategorien, für 493.000 Betroffene veränderte sich die Entfernung sogar um mehr als eine dieser Kategorien. Die Daten betreffen aber die Vergangenheit mit einem überwiegend linearen Rückgang der Apothekenzahl. Sie ermöglichen keine Hochrechnung, wie sich weitere Rückgänge auswirken. Dazu wären Daten zur Anzahl und Siedlungsdichte von Gebieten nötig, die jeweils nur von einer Apotheke versorgt werden.
Erstmals weniger Approbierte in Apotheken
Die Zahl der Apothekerinnen und Apotheker ist erneut gewachsen, aber in öffentlichen Apotheken ging sie erstmals zurück (siehe Abbildung 2). Der Rückgang in öffentlichen Apotheken umfasst zwar „nur“ 283 Personen, aber dies ist ein weiteres Signal für eine grundlegende Trendwende. Eine wichtige Kennzahl nach der anderen dreht ins Minus. Die Zahl der Beschäftigten mit Apothekenberufen in Apotheken sinkt bereits seit 2020 und ist 2023 erneut zurückgegangen, diesmal um 1,5 Prozent (siehe Tabelle 1). Bei Apothekenschließungen gehen demnach nicht mehr alle Arbeitsplätze auf die verbleibenden Apotheken über. Dabei ist die Zahl der Teilzeitkräfte sogar noch gestiegen. Die Beschäftigung dürfte demnach insgesamt stärker zurückgegangen sein als die Zahl der Beschäftigten.
Absatzrückgang wegen OTC
Auch der Absatz von Arzneimitteln in Apotheken ging zurück. Im Jahr 2023 setzen die Apotheken 1.388 Millionen Arzneimittelpackungen und damit 1,1 Prozent weniger Packungen als im Vorjahr ab. Allerdings stieg der Anteil der verschreibungspflichtigen Arzneimittel (siehe Abbildung 3). Der Rückgang betrifft die OTC-Arzneimittel, was durch weitere Daten untermauert wird (siehe unten). Dies ist eine weitere Schwächung der Apotheken, welche die wirtschaftlichen Probleme verschärft. Damit steigt die Abhängigkeit von den Rx-Arzneimitteln und der seit langem unveränderten Honorierung für diese Arzneimittel.
Umsatzanstieg durch Hochpreiser
Einen Anstieg gab es dagegen wieder beim Umsatz der Apotheken. Er wuchs gegenüber dem Vorjahr um 3,4 Prozent auf 66,36 Milliarden Euro (siehe Abbildung 4). Da der Umsatz sich stärker als der Absatz entwickelte, lag dies offenbar erneut an der steigenden Bedeutung der Hochpreiser. Damit ist auch der Umsatzanstieg keine Erfolgsmeldung, sondern wohl eher ein weiteres Problem. Die Hochpreiser und die Preisbildung für Rx-Arzneimittel sind die wesentlichen Gründe, weshalb steigende Umsätze nicht zu steigenden Betriebsergebnissen führen.
Versand mit wachsendem OTC-Anteil
Weitere Probleme zeichnen sich bei OTC-Arzneimitteln und Nichtarzneimitteln ab. Gemäß Daten von Insight Health und DatamedIQ hatte der Versand 2023 einen Anteil von 20,6 Prozent am Absatz und von 21,3 Prozent am Umsatz der apothekenpflichtigen und freiverkäuflichen Arzneimittel (ohne Nichtarzneimittel). Betrachtet man OTC-Arzneimittel und Nichtarzneimittel gemeinsam, sind Umsatz und Absatz im Berichtsjahr gegenüber 2022 in den Apotheken vor Ort gesunken (siehe Tabelle 2). Im Versand stieg dagegen der Umsatz, während der Absatz sank. Die Absätze zeigen, dass dies ein insgesamt stagnierender Markt ist.
Der OTC-Bereich ist damit kaum als Stütze für die Apotheken geeignet und kann die unzureichende Honorierung im Rx-Bereich nicht kompensieren. Außerdem hat sich dieses Geschäft 2023 im Versand besser als vor Ort entwickelt. Die schwache Säule geht also auch noch teilweise verloren, und das beschleunigt sich sogar. Denn gemäß Daten von Datame+dIQ ist der Umsatz des Versandes mit OTC-Arzneimitteln und Nichtarzneimitteln im ersten Quartal 2024 gegenüber dem ersten Quartal 2023 um 14,8 Prozent auf 941,1 Millionen Euro gestiegen.
Die GKV-Ausgaben im ausländischen Versand stiegen von 381 Millionen Euro im Jahr 2022 um 8,0 Prozent auf 412 Millionen Euro im Berichtsjahr. Das sind kaum mehr als ein Prozent der Arzneimittelausgaben der GKV. Unter den ausländischen Versendern hat die Shop Apotheke mit 1798,8 Millionen Euro Nettoumsatz mittlerweile DocMorris mit 1037,5 Millionen Schweizer Franken Nettoumsatz (jeweils Europaumsatz für 2023) überholt.
Apotheken abgekoppelt
Der Vergleich der Apothekenhonorierung mit verschiedenen wirtschaftlichen Kennzahlen fällt wieder erschreckend aus. Die Apothekenvergütung pro GKV-Fertigarzneimittelpackung ist Anfang 2024 um 10,2 Prozent höher als 2013. Beim Verbraucherpreisindex beträgt der Anstieg 28,9 Prozent, beim Bruttoinlandsprodukt 51,0 Prozent und bei den GKV-Einnahmen 63,8 Prozent. Die Tariflöhne in Apotheken stiegen um 40,5 Prozent, wobei die derzeit offene Forderung der Adexa nach 10,5 Prozent mehr Gehalt einbezogen ist. Die Kosten der Apotheken und die gesamte Wirtschaft entwickeln sich also viel stärker als die Vergütung je Rx-Packung, welche die Finanzierungsgrundlage der Apotheken darstellt. Hier wird zwar eine packungsbezogene Größe mit absoluten Beträgen verglichen, aber angesichts der Struktur der Apothekenhonorierung erscheint dies gerechtfertigt. Denn größere Packungsmengen verursachen auch mehr Arbeit, und der preisabhängige Anteil der Vergütung ist vergleichsweise gering.
Die weitgehend stagnierende Vergütung der Apotheken ist auch am geringen Anteil des Apothekenhonorars an den GKV-Ausgaben abzulesen. Demnach gab die GKV 2023 für das Apothekenhonorar 5,74 Milliarden Euro und damit 1,9 Prozent der GKV-Ausgaben aus (2022: 5,75 Milliarden Euro bzw. 2,0 Prozent; siehe Tabelle 3). Unterdessen sind die Finanzreserven der GKV (Krankenkassen und Gesundheitsfonds) von 22,4 Milliarden Euro im Jahr 2022 auf 17,8 Milliarden Euro im Berichtsjahr gesunken. Der durchschnittliche erwartete Zusatzbeitrag von 1,7 Prozent für 2024 nach 1,51 Prozent für 2023 spricht für eine Anspannung bei den GKV-Finanzen.
Datensammlung zu Apothekenleistungen
Zum Apothekenwirtschaftsbericht gehört auch der Blick auf einige spezielle Leistungen der Apotheken. Demnach haben die Apotheken im Berichtsjahr 134.800 Covid-19-Impfungen (2022: 305.100) und in der vorigen Impfsaison 97.200 Grippeimpfungen (2022/23: 67.300) durchgeführt. Trotz der großen Irritationen um die formalen Anforderungen wurden im Berichtsjahr 2,69 Millionen Entlassrezepte für GKV-Versicherte (2022: 2,19 Millionen) abgerechnet.
Die Apotheken erbrachten 2023 durchschnittlich jeweils 21,6 Vollnotdienste (2022: 21,4). Gemäß ABDA-Datenpanel waren es 2022 in Städten durchschnittlich 14, im städtischen Umland 24 und auf dem Land 36 Vollnotdienste pro Jahr. Dabei dominierten an Werktagen auf dem Land und im städtischen Umland Dienste mit bis zu 15 Patienten. Auf dem Land betraf dies 88,4 Prozent und im städtischen Umland 69,9 Prozent der Vollnotdienste an Werktagen. In Städten blieben dagegen nur 38,5 Prozent dieser Dienste bei einer Patientenzahl von unter 15, bei 40,4 Prozent der Dienste waren es 16 bis 35 Patienten und bei 16,7 Prozent der Dienste 36 bis 50 Patienten. Bei Notdiensten an Sonn- und Feiertagen hatten 71,6 Prozent der Stadtapotheken und 49,7 Prozent der Umland-Apotheken jeweils mehr als 50 Patienten. Auf dem Land waren die Sonntagsdienste dagegen sehr unterschiedlich besucht. Das Maximum der Häufigkeitsverteilung in Höhe von 30,0 Prozent trat bei 16 bis 35 Patienten auf. Die Entwicklung bei den Botendiensten hat sich 2023 wenig verändert. 38,7 Prozent der Apotheken liefern mehrmals täglich (2022: 42,3 Prozent) und 51,4 Prozent einmal täglich (2022: 49,4 Prozent). Angaben zu den neuen pharmazeutischen Dienstleistungen sind in der Präsentation der ABDA nicht enthalten.
Belastung durch Personalkosten
Die ABDA erinnert im Rahmen des Apothekenwirtschaftsberichts an die bekannten Eckpunkte des Bundesgesundheitsministeriums für die geplante Apothekenreform und an die eigenen, von den Reformplänen weit abweichenden Forderungen. Die ABDA unterstreicht ihre Forderung nach mehr Honorar und betont die Folgen der steigenden Personalkosten. Diese sind nach ABDA-Angaben 2022 um 590 Millionen Euro bzw. um 11 Prozent und 2023 um 420 Millionen Euro bzw. um 7,3 Prozent gestiegen. Die Forderung der Adexa von 10,5 Prozent mehr würde nach ABDA-Angaben weitere 650 Millionen Euro ausmachen. Weitere Aspekte des Wirtschaftsberichtes betreffen die Entwicklung des E-Rezeptes mit vielen Fehlerquellen, technischen Problemen und Retaxationsrisiken.
Umsatzverteilung zeigt große Umbrüche
Im zweiten Hauptteil des Berichts beschreibt die ABDA die betriebswirtschaftliche Entwicklung der Apotheken im Berichtsjahr anhand der Daten der Treuhand Hannover. Da der gesamte Umsatz der Apotheken gestiegen und die Zahl der Apotheken gesunken ist, nahm auch der Durchschnittsumsatz pro Apotheke erneut zu. Er stieg um 6,76 Prozent auf 3,443 Millionen Euro. Aufgrund der bereits dargestellten Zusammenhänge ist offensichtlich, dass dies überwiegend auf teureren Rx-Arzneimitteln und der Umverteilung zwischen den Apotheken beruht. Darum haben sich die durchschnittlichen Ergebnisse der Apotheken trotz höherer Umsätze deutlich verschlechtert. Bei allen absoluten Zahlen auf Apothekenebene muss beachtet werden, dass sie sich auf immer weniger Apotheken beziehen. Steigende Zahlen bedeuten damit noch keinen Vorteil für die Gesamtheit der Apotheken.
Die Umsatzverteilung hat sich weiter verbreitert (siehe Abbildung 5). Sie hat mittlerweile drei Häufigkeitsgipfel, davon zwei unterhalb des Durchschnitts. 64 Prozent der Apotheken setzen weniger als die durchschnittlichen 3,443 Millionen Euro um. Doch sogar diese Apotheken mit unterdurchschnittlichem Umsatz unterscheiden sich immer mehr. Der Median der Verteilung, also die typische Apotheke, liegt in der Größenklasse mit 2,25 bis 2,5 Millionen Euro Umsatz. Unterhalb dieser Größenklasse liegen 29 Prozent der Apotheken. Neben dem Median haben sich Häufigkeitsgipfel in den Größenklassen von 2,75 bis 3 Millionen Euro sowie von 4 bis 4,25 Millionen Euro Umsatz gebildet. Das deutet an, dass auch bei den überdurchschnittlich großen Apotheken ein neuer „Typ“ entsteht. Diese noch recht schwachen Signale können als statistische Artefakte abgetan werden, aber bis vor wenigen Jahren gab es solche Kuriositäten in der Umsatzverteilung nicht und sie haben gerade 2023 besonders zugenommen. In Verbindung mit den anderen Zeichen des Umbruchs sollten sie als Ausdruck der immer größeren Heterogenität der Apotheken betrachtet werden.
Die Gesetze der Statistik lassen Glockenkurven erwarten, wenn verschiedene Einflüsse in vielen Apotheken zufällig zusammentreffen. Stattdessen gibt es hier offenbar ganz unterschiedliche systematische Effekte. Bildlich gesprochen sieht das aus, als würden Äpfel, Birnen und vielleicht noch einiges anderes Obst gemeinsam betrachtet. Die Verteilung spricht für einen Umbruch, von dem die einzelnen Apotheken sehr unterschiedlich betroffen sind. Die ganz kleinen Apotheken schließen. In den mittleren Umsatzsegmenten entstehen neue Typen, und die großen Apotheken wachsen erheblich. Im Wirtschaftsbericht über das Vor-Corona-Jahr 2019 hatte die ABDA nur eine Umsatzklasse über 5 Millionen Euro ausgewiesen. Diese enthielt 5,4 Prozent der Apotheken. Für 2023 differenziert die ABDA sechs Kategorien oberhalb von 5 Millionen Euro Umsatz, die zusammen 13,6 Prozent der Apotheken ausmachen. Der Anteil dieser Apotheken ist also innerhalb von vier Jahren auf das Zweieinhalbfache gestiegen. Hier gibt es also durchaus Wachstum, allerdings nicht als Teil einer positiven Gesamtentwicklung, sondern zulasten der kleineren Apotheken. Dabei setzen 1,5 Prozent der Apotheken sogar mehr als 10 Millionen Euro um. Das dürften Spezialversorger und Versender mit bundesweitem Geschäft sein. Solche Apotheken ziehen den Durchschnittsumsatz nach oben, ohne dass dies etwas über das Gros aussagt.
Deutlicher Rückgang beim Betriebsergebnis
Die weiteren Daten beschreiben die negative wirtschaftliche Entwicklung im Berichtsjahr. Der Wareneinsatz betrug 2013 bei der vorigen Erhöhung des Rx-Fixums noch 74,5 Prozent, im Vor-Corona-Jahr 2019 noch 77,0 Prozent, im Vorjahr 78,4 Prozent und im Berichtsjahr 79,4 Prozent, jeweils bezogen auf den Nettoumsatz. Diese Entwicklung bestätigt, dass der Umsatzanstieg wesentlich auf teureren Rx-Arzneimitteln, also Hochpreisern beruht. Auch dies ist ein Aspekt des grundlegenden Umbruchs.
Die Personalkosten betrugen gegenüber dem Vorjahr unverändert 10,3 Prozent vom Nettoumsatz, was wegen des Umsatzanstieges absolut ein relevanter Anstieg ist, wie bereits erwähnt wurde. Die sonstigen steuerlich relevanten Kosten sanken von 6,7 Prozent auf 6,4 Prozent vom Nettoumsatz, was absolut ebenfalls ein Anstieg ist. Aus dieser Kostenentwicklung und dem erhöhten Wareneinsatz ergibt sich ein deutlich vermindertes Betriebsergebnis. Es betrug 2023 nur noch 147.879 Euro bzw. 4,3 Prozent vom Nettoumsatz, nach 160.333 Euro bzw. 5,0 Prozent im Vorjahr (siehe Abbildung 6). Die absolute Zahl sank damit gegenüber 2022 um 7,8 Prozent und liegt nun knapp unter dem Vor-Corona-Wert von 2019. Korrigiert um die Entwicklung des Verbraucherpreises hat das Betriebsergebnis den realen Wert von 2013 unterschritten. Dies war das Jahr der Erholung nach dem Auslaufen des damaligen Sonderopfers im Rahmen des AMNOG. Damals wurde das Rx-Fixum um 25 Cent pro Packung erhöht und der erhöhte Kassenabschlag zurückgefahren. Die Apothekeninhaber erwirtschaften nun also durchschnittlich ein Betriebsergebnis mit einer geringeren Kaufkraft als 2013, müssen dafür aber viel mehr umsetzen und ein viel größeres unternehmerisches Risiko tragen. Da es weniger Apotheken als 2013 gibt, heißt das auch, dass aus den Apotheken real ein insgesamt geringerer Gewinn erzielt wird. Noch deutlicher wird dies alles beim prozentualen Betriebsergebnis, das ein historisches Tief erreicht hat. Das Apothekensystem ist damit in seiner Gesamtheit ein Wirtschaftsbereich mit sinkender Ertragskraft, in dem sich positive Effekte nur im Einzelfall aus Umverteilung ergeben. In einer wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung gelten solche Märkte als weitgehend uninteressant und für Investitionen unattraktiv. So sehen Branchen aus, bevor sie zusammenbrechen und neu erfunden werden.
34 Prozent der Apotheken bedroht
Alle diese Daten zu den Betriebsergebnissen sind Durchschnittswerte. Sie sagen nur etwas über die Gesamtheit der Apotheken aus. Angesichts der oben dargestellten Heterogenität der Apothekenlandschaft lässt sich daraus nicht ableiten, was das für einzelne Apotheken bedeutet. Doch anders als noch im Vorjahr gibt die ABDA nun auch Daten zur Verteilung der Betriebsergebnisse an (siehe Tabelle 4). Dabei richtet sich das Augenmerk besonders auf die Apotheken mit geringen Betriebsergebnissen. Das ist angebracht, um drohende Schließungen abzuschätzen. Apotheken sterben langsam, weil sie häufig an Mietverträge gebunden sind und bei einer kurzfristigen Schließung hohe Kosten drohen. Dann kann es wirtschaftlich geboten sein, zeitweilig Verluste aus dem laufenden Betrieb hinzunehmen. Wenn der Inhaber in absehbarer Zeit das Rentenalter erreicht, können auch geringe positive Betriebsergebnisse akzeptiert werden, weil eine berufliche Neuorientierung nicht mehr gewünscht ist. Doch in allen diesen Fällen ist die Schließung absehbar, wenn sich das Betriebsergebnis nicht noch wesentlich erhöht. Die ABDA weist nun aus, dass 2023 bereits 10 Prozent der Apotheken (2022: 8 Prozent) ein negatives Betriebsergebnis erzielt haben. Bei einer Einzelapotheke bedeutet das, dass die Arbeit des Inhabers nicht entlohnt wird und dieser den Apothekenbetrieb aus Ersparnissen subventioniert und von diesen Ersparnissen auch leben muss. Bei einer Filiale bedeutet das, dass die Filiale das Gesamtergebnis des Verbundes verringert. Beides ist auf Dauer unhaltbar. Es ist daher zu erwarten, dass diese 10 Prozent der Apotheken bald schließen. Weitere 14 Prozent (2022: 11 Prozent) der Apotheken haben 2023 nur ein positives Betriebsergebnis unter 50.000 Euro erwirtschaftet. Das kann bei Filialen noch zeitweilig akzeptabel sein, bietet aber auch dort kaum eine Perspektive. Weitere 10 Prozent (2022: 9 Prozent) der Apotheken hatten ein Betriebsergebnis zwischen 50.000 und 75.000 Euro. Das sind weniger als die Bruttolohnkosten eines angestellten Krankenhausapothekers ohne Leitungsfunktion in der untersten Stufe, die 74.500 Euro jährlich (für 2024) betragen. Doch diese Angestellten tragen kein unternehmerisches Risiko. Aus wirtschaftlicher Sicht lohnt sich der Betrieb solcher Apotheken langfristig allenfalls als Filiale. Soweit die betrachteten Apotheken keine Filialen sind, verspricht die Umwandlung in eine Filiale keine Besserung, denn dann kommen die zusätzlichen Kosten für die Filialleitung hinzu und das steuerliche Betriebsergebnis sinkt weiter. Damit sind neben den 10 Prozent der Apotheken mit Verlusten weitere 24 Prozent der Apotheken mittelfristig in ihrer Existenz bedroht, insgesamt also 34 Prozent. Dies passt zum weiter oben ermittelten Befund, dass die Zahl der Apothekenschließungen nicht mehr absehbar ist. Gemäß der Verteilung der Betriebsergebnisse läge der „Boden“ bei einem Bestand von 66 Prozent der Apotheken, also etwa 11.600 Apotheken. Korf hatte bei der Präsentation der Daten erklärt, „wenn nichts passiert“, falle die Zahl der Apotheken in den kommenden drei Jahren auf 13.000, „wenn es gut läuft“. Im schlechten Fall wäre am Ende aber auch eine Zahl von 10.000 denkbar (siehe Köhler M. „Eckpunkte: Gutachten widersprechen Lauterbach“. DAZ-Update vom 29. April 2024).
Bei solchen Hochrechnungen sind auch die Folgeeffekte zu bedenken: Wenn noch tausende Apotheken schließen, würde zwar manche heute bedrohte Apotheke davon profitieren. Doch vermutlich können eher die schon heute großen Apotheken neue Umsätze bewältigen. Die obigen Zahlen vermitteln einen Eindruck von der Größenordnung des beschriebenen Umbruchs. So viele Schließungen hätten natürlich auch ganz andere Folgen für die Erreichbarkeit von Apotheken als der bisherige Rückgang der Apothekenzahl. Angesichts dieser Daten muss es aber auch Apotheken geben, die weit mehr als der Durchschnitt erwirtschaften. Bei den teilweise sehr hohen Umsätzen ist das allerdings wirtschaftlich notwendig.
Viele negative und keine positiven Tendenzen
Weiter macht die ABDA auf die vielen ungünstigen Entwicklungstendenzen aufmerksam. Die Kosten steigen, Lieferengpässe verursachen großen Aufwand und für 2024 steht ein Tarifabschluss aus. Die ABDA sieht 10.000 Euro eher als Untergrenze für die zusätzliche Personalkostenbelastung einer Durchschnittsapotheke. Außerdem lässt das Skonto-Urteil Einbußen bei den Einkaufskonditionen erwarten. Die ABDA nennt hier mindestens 5.000 bis 10.000 Euro – allerdings kursieren auch weit höhere Beträge. Daraufhin erwartet die ABDA für 2024 ein durchschnittliches Betriebsergebnis von unter 135.000 Euro. Aus der obigen Analyse ist noch die ungünstige Entwicklung im OTC-Geschäft zu ergänzen. Dagegen fehlen positive Impulse. Die ABDA folgert daraus das Risiko der Perspektivlosigkeit: „Wenn Hoffnung auf Besserung verloren geht, steht Schließung bevor.“
4 Kommentare
Abbruch
von Reinhard Rodiger am 06.05.2024 um 12:48 Uhr
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Wachstum ist endlich, der Tod kommt schleichend
von Stefan Haydn am 06.05.2024 um 11:46 Uhr
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.
von Anita Peter am 06.05.2024 um 10:23 Uhr
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AW: .
von . am 10.05.2024 um 10:08 Uhr
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